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Partizipation: Fach- und Alltagskompetenzen ergeben zusammen gute Lösungen

Partizipation: Fach- und Alltagskompetenzen ergeben zusammen gute Lösungen
Im Projekt BaBeL machten sich viele Akteurinnen und Akteure für die Basel-/Bernstrasse in Luzern stark. (Illustration Luca Schenardi)

Im Gespräch schaut Alex Willener auf das Projekt «BaBeL» in Luzern zurück. Das Projekt an der Basel-/Bernstrasse, das bezüglich Partizipation und Interdisziplinarität Massstäbe gesetzt hat, feiert gerade 20-jähriges Jubiläum. Für die Zukunft wünscht sich der Dozent und Projektleiter mehr Partizipation, insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeit. Auch hier steckt er mitten in einem Pilotprojekt.

Alex Willener, Sie haben das Aufkommen der Quartiersentwicklung in der Schweiz miterlebt. Wie haben Sie die Zeit in Erinnerung?
Alex Willener: Quartiersentwicklungen wurden hierzulande Ende der 1990er- bzw. Anfang der 2000er-Jahre Thema. Vorher war es für die Städte nicht üblich gewesen quartierbezogen vorzugehen. Es war jeweils mehr ein gesamtstädtisches Denken.

Das Projekt «BaBeL» hat da einiges bewirkt. Warum bestand in diesem Quartier so grossen Handlungsbedarf?
Es litt unter einer Massierung von Problemen – eigentlich als Folge der hohen Verkehrsbelastung. Das Quartier wird von einer Kantonsstrasse, der Basel-/Bernstrasse, dominiert sowie von einer Bahnlinie, die zu den höchstfrequentierten der Schweiz gehört. Topografisch ist es eng und schattig, in den Wohnraum wurde zu wenig investiert und die demografische Zusammensetzung war ungünstig. Man kann auch sagen: Drogenhandel und Rotlichtmilieu trafen auf Kinder und Familien. Die Lage war also kritisch. 

Vor Babel war es für die Städte nicht üblich gewesen quartierbezogen vorzugehen. Es war jeweils mehr ein gesamtstädtisches Denken.

Alex Willener

Wie wurden Sie darauf aufmerksam?
Ich war mit dem Sentitreff im Kontakt, der als Quartierorganisation schon lange vorbildliche Arbeit leistet. Zusammen mit dem späteren Gesamtprojektleiter, Jürg Inderbitzin von der Hochschule Luzern – Wirtschaft, nahmen wir die Signale der Quartieraktiven auf, um mehr Breitenwirkung zu erzeugen. Die Stadt konnte uns zwar vorerst nicht finanziell fördern, war aber beteiligt und so entwickelte sich das Projekt dank einer breiten Koalition gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure immer weiter. Dieses private und öffentliche Miteinander, partizipativ eine Mischform, dünkt mich noch heute modellhaft.

Damals war auch das interdisziplinäre Vorgehen neu.
Ja, genau – sowohl in der Hochschule Luzern als auch in der Stadtverwaltung. Zu Projektbeginn konnten wir alle Dienststellenleiter/innen bei einem Rundgang für die Problematik sensibilisieren. Für die Fachpersonen z. B. aus den Bereichen Integration, Schule, Liegenschaften und Stadtplanung war die interdisziplinäre, amtsübergreifende Zusammenarbeit eine ganz neue Erfahrung.

Interdisziplinarität ist sehr wichtig, denn die gesellschaftlichen Herausforderungen lassen sich nicht eindimensional meistern.

Alex Willener

Was wurde angepackt?
Am dringlichsten waren die soziokulturellen Aktivitäten für die Kinder und Jugendlichen. Man sagte uns immer: «Beginnt mit den Kindern, dort ist der grösste Handlungsbedarf.» Mit der Hilfe der Schindler-Stiftung – der Schindler-Konzern hat ja in der Sentimatt seine Geburtsstätte – und den sogenannten BaBeL-Kids-Institutionen konnte man Freizeitangebote ermöglichen, die für Mittelstandsfamilien selbstverständlich sind. Etwa Ferienpässe, Musikunterricht oder Betreuung in der schulfreien Zeit.
Auch sehr relevant waren die Aspekte Wohnraum und Wirtschaftsförderung. In den Quartierläden kam es etwa immer wieder zu Leerständen und daher zu Verslummungseffekten. Projekte wie «Shop & Food», die nach wie vor beliebt sind, sorgten für mehr Kontinuität.

Ilustrationen zum Projekt BaBeL von Luca Schenardi

Kam es auch zu Enttäuschungen?
Ja, im Bereich Mobilität und Strassenraum. Für Ideen wie Tempo 30 hatte der Kanton damals kein offenes Ohr und auch eine Tunnelunterführung unter der Bahnlinie scheiterte, obwohl das den Schulweg für die Kinder sicherer gemacht hätte. Diese jahrelangen Prozesse im Baubereich sind leider ein Grundproblem in der Quartierentwicklung.

Spielende Musikband
Zu den wichtigen Projektthemen gehörten Integration und Aktivierung.
Die Verkehrssituation ist trotz allen Bemühungen jedoch immer noch Thema.

Zwanzig Jahre später: Was hat sich nachhaltig verbessert?
Die BaBeL-Struktur, in der die Stadt involviert ist, besteht weiterhin. Auch die erwähnten Aktivitäten werden fortgeführt. Allgemein sind die Berührungsängste weniger geworden. Man geht viel mehr dort in den Ausgang. Dazu ist Partizipation in der Stadt Luzern mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.

Hatte BaBeL auch über Luzern hinaus Einfluss?
Ja. Der Bund lancierte danach das Programm Projets Urbains, um städtische Quartierentwicklungen in Gang zu setzen. Seither gibt es vielenorts die Quartierentwicklungsbeauftragten und man nimmt das Thema als interdisziplinäre Querschnittaufgabe wahr. Interdisziplinarität ist auch grundsätzlich wichtig, denn gesellschaftliche Herausforderungen lassen sich nicht eindimensional meistern.

Nun folgt der Energiesektor. Worum geht es bei Ihrem jüngsten Projekt QUBE?
Angesichts der immer dringlicheren Klimaprobleme habe ich mich gefragt, ob sich auf Quartierebene eine Klimabewegung für die Umsetzung der Energiewende ins Leben rufen lässt. Dafür gab es bislang kaum Vorbilder. Nun arbeiten wir mit Liegenschaftsbesitzer/innen aus dem Luzerner Wesemlin-Quartier an gemeinsamen Energiekooperationen. Es ist super, wie gross die Mobilisierung bereits ist.
Allerdings werden auch Hindernisse sichtbar: Unter anderem haben wir herausgefunden, dass Pensionierte keine Hypotheken etwa für Fotovoltaikanlagen bekommen. Und das nur, weil sie in Rente sind! Das bremst doch die Energiewende.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Es wäre toll, wenn man die Nachhaltigkeit stärker mit soziokulturellen Mitteln vorantreiben könnte. Denn mit Partizipation verschmilzt die Fachkompetenz mit der Alltagskompetenz und das bringt gute Lösungen.

Alex Willener

Prof. Alex Willener

Der Fachmann für Soziokulturelle Animation ist Dozent und Projektleiter am Kompetenzzentrum Regional- und Stadtentwicklung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit.

Soziokultur verbindet
Soziokulturelle Animatoren und Animatorinnen bauen Brücken. Sie motivieren Menschen zur aktiven Gestaltung ihrer Lebensräume und fördern das gesellschaftliche und interkulturelle Zusammenleben. Hier finden sich Informationen zu diesem wichtigen Berufsfeld und zur Studienrichtung.

Projekt BaBeL
Im Luzerner Quartier Basel-/Bernstrasse bestand Ende der 1990er-Jahre grosser Handlungsbedarf. In Zusammenarbeit mit der Stadt Luzern, der Bevölkerung, den lokalen Akteuren/-innen (etwa der Sentitreff) und der Hochschule Luzern wurden zahlreiche Massnahmen und Teilprojekte zu Gunsten des Quartiers realisiert. Das mehrfach ausgezeichnete Projekt ist nachhaltig: Nach Beendigung der fünfjährigen Projektlaufzeit wurde eine eigene quartierbezogene Struktur – der Verein BaBeL – gegründet und das Image des Quartiers hat sich verbessert.

Beim interdisziplinären Projekt waren viele Departemente der Hochschule Luzern involviert. Seitens Hochschule Luzern – Soziale Arbeit war das Kompetenzzentrum Regional- und Stadtentwicklung des Instituts für Soziokulturelle Entwicklung verantwortlich.

Literaturtipp:
Projekt BaBeL: Quartierentwicklung im Luzerner Untergrund

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Quartierbezogene erneuerbare Energien (QUBE)
Um den CO2-Ausstoss im Gebäudesektor Schweiz zu reduzieren, soll die kooperative Energieproduktion auf Quartierebene gestärkt werden. Das ist das Ziel des Projekts Quartierbezogene erneuerbare Energien QUBE im Luzerner Quartier Wesemlin, das von Innosuisse und Beteiligten aus Wirtschaft und Politik gefördert wird.

Lösungstipp Wettbewerb
BaBeL steht für: Nachhaltige Entwicklung Basel- und Bernstrasse Luzern oder einfach Basel-Bernstrasse Luzern

Interview: Anette Eldevik
Illustrationen: Luca Schenardi
Fotos: Rolf Notter
Veröffentlicht: 9. Juni 2022

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