Markt- & Konsumentenpsychologie
Lesezeit 5’ Minuten // Ein Beitrag von Hannes Wallimann
Feierabend. Du rennst an den Bahnhof und hast Glück. Du erwischst den Zug gerade noch. Aber dann, kein Platz ist mehr frei. So ein Mist! Du wolltest doch noch die letzten E-Mails verschicken. Du läufst durch den Zug. Nach gefühlt halber Fahrt – und die dauert ja dann doch nicht nur zehn Minuten von Bern nach Zürich – findest du noch einen freien Platz. Du öffnest deinen Laptop, aber kannst dich nicht konzentrieren. Die Wanderer in deinem Abteil schwatzen über das Wetter, irgendein Restaurant und sonst Unwichtiges! Haben die Schweizer Bundesbahnen (SBB) denn gar keine Möglichkeit diese Damen und Herren so zu lenken, dass sie einen früheren (oder späteren) Zug nehmen?
Die Hochschule Luzern ist, gemeinsam mit der Universität Fribourg und der Universität Bern, dieser Frage nachgegangen. Spezifisch wurde in einem vom SBB-Forschungsfonds finanzierten Projekt untersucht, ob die Sparbillette der SBB (Tickets mit einem Rabatt von bis zu 70% auf den regulären Preis) den Zeitpunkt einer Reise beeinflussen können. Eine solche Analyse ist für ein im öffentlichen Verkehr tätiges Unternehmen interessant, da in der Gesamtbetrachtung die Züge und Busse alles andere als voll sind.
Im Jahr 2019 beispielsweise waren im Fernverkehr in der Schweiz durchschnittlich nur 30% der Sitzplätze besetzt. Einerseits, und was hauptsächlich untersucht wurde, könnten Kunden ‹gelenkt‹ werden. Gelenkt bedeutet, dass Reisende aufgrund von Spartickets eine andere Verbindung oder Abfahrtszeit wählen, beispielsweise weg von Stosszeiten zu Zeiten, zu welchen die Züge nicht stark ausgelastet sind. Andererseits könnte die SBB mit Sparbilletten neue Kunden anlocken, die sonst die Reise gar nicht oder stattdessen mit dem Auto gemacht hätten.
Der Absatz an Sparbilletten nahm in den Jahren vor der Coronakrise stark zu. Nach generellen Preiserhöhungen im öffentlichen Verkehr einigten sich die SBB und der Preisüberwacher 2014, Sparbillette in grossem Umfang anzubieten. Den Sparticket-Absatzrekord erreichte die SBB 2019 mit 8.8 Millionen verkauften Tickets. Als Folge der Corona-Pandemie wurden dann aber die Sparbillette im Frühjahr 2020 für eine kurze Zeit nicht verkauft.
Aktuell sind die Sparbillette-Absätze wieder ansteigend. Die Sparbillette gewannen diesen Sommer noch mehr an Bedeutung, da sie seit Neustem auch im Zentralschweizer Tarifverbund Passepartout verkauft werden. So will Passepartout auf das veränderte Mobilitätsverhalten infolge der Coronakrise reagieren.
Für das Projekt wurde ein Markforschungsdatensatz der SBB verwendet. Dieser entstand aus einem Fragebogen, welcher zufällig ausgewählten Sparbillett-Kunden in den Jahren 2018 und 2019 zugestellt wurde. Der Datensatz wurde mit weiteren Informationen verknüpft, beispielsweise Sitzplatzkapazitäten und Auslastungen einzelner Strecken. In einer ersten Analyse wurde untersucht, welche Variablen das Kundenverhalten (beispielsweise, ob Kunden mit einem Sparticket gelenkt werden oder ob die Kunden die Reise auch ohne Rabatt mit dem Zug angetreten hätten) gut vorhersagen können.
Es zeigte sich, dass Attribute wie:
wichtige Prädiktoren sind, um Kundenverhalten vorherzusagen.
Im Hauptteil des Projekts wurden die Wirkungen der rabattierten Tickets auf KäuferInnen untersucht, welche die Reise auch ohne Sparbillett angetreten hätten. Es konnte gezeigt werden, dass wenn der Rabatt für ein Ticket um ein Prozentpunkt steigt (z.B. von 10% auf 11%), die Anzahl an Personen, welche auf Grund des Spartickets eine andere Verbindung gewählt haben, um durchschnittlich 0.16 Prozentpunkte zunimmt.
Weiter ergaben die Analysen, dass die Lenkungswirkungen während Stosszeiten und für Freizeitreisende grösser sind. Statistisch nennt man das «Effektheterogenität», wenn Massnahmen (hier Rabatt auf ein Bahnticket) für unterschiedliche Kundengruppen anders wirken. Solche Erkenntnisse können bei Wirkungsanalysen von grosser Bedeutung sein.
Die SBB könnte nun beispielsweise gezielt Spartickets-Werbung für Freizeitreisende schalten, da man nun weiss, dass diese Kundengruppe sich von den Tickets mehr angesprochen fühlt. Weiter zeigt sich, dass die Kunden leicht zufriedener sind, wenn sie einen Rabatt von 30 oder mehr Prozent erhalten (verglichen zu Kunden mit einem Rabatt unter 30%).
Die Resultate kamen durch die Anwendung von maschinellen Lerntechniken und modernsten ökonometrischen Verfahren der Wirkungsanalyse zu Stande. Bei diesem Projekt handelte es sich um die erste Kausalanalyse der Spartickets. Unsere Methoden und Resultate bilden für zukünftige Evaluation von preislichen Massnahmen im öffentlichen Verkehr im Allgemeinen und Sparbilletten im Spezifischen eine gute Grundlage. Und wer weiss, vielleicht werden die Wanderer das nächste Mal gelenkt, beziehungsweise nehmen einen früheren (oder späteren) Zug. Und du kannst in Ruhe arbeiten.
Das Projektteam:
Sie interessieren sich für weitere Themen der Markt- und Konsumentenpsychologie? Dann empfehlen wir einen Blick in die gleichnamige Reihe auf diesem Blog. Passend zum Thema Reiseverhalten hat Lisa Dang in ihrem Beitrag die Auswirkungen des Coronavirus auf das Reiseverhalten der Schweizer Bevölkerung untersucht.
Referenzen
Hannes Wallimann
Hannes Wallimann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kompetenzzentrum Mobilität an der Hochschule Luzern. In seiner Forschung wendet der Ökonom quantitative empirische Methoden an, um das Verhalten von Konsumenten und Unternehmen zu analysieren. Er reist häufig und gerne mit der Bahn und bei Fernverkehrsreisen informiert er sich immer, ob Sparbillette verfügbar sind.
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