Arbeits- & Organisationspsychologie

Führung im Homeoffice – Nur Krisenbewältigung oder Chance für die «Neuerfindung» von Führung?!

Führung im Homeoffice – Nur Krisenbewältigung oder Chance für die «Neuerfindung» von Führung?!
Führung im Homeoffice - Foto von Anna Shvets von Pexels

Lesezeit 7′ Minuten // Ein Beitrag von Sylvia Manchen Spörri

In den verschiedenen Phasen der Coronapandemie arbeiteten Mitarbeitende immer wieder von einem Tag auf den anderen im Homeoffice. Führung, Zusammenarbeit und Kommunikation im Team wurden schlagartig komplett digital. Gemäss der aktuellen FlexWork Studie (2020), in der 2000 Mitarbeitende in der Schweiz repräsentativ befragt wurden, ist die Verbreitung von «mobil-flexibler Arbeit», d.h. Arbeit von zuhause oder einem anderen Ort zwischen 2016 und Februar 2020 von 38% auf 41% der Erwerbstätigen angestiegen. Dabei gab es während des Lockdowns im April 2020 einen starken Anstieg auf 58% und im August 2020 nach der Lockerung ein Absinken auf 48%. Ein Effekt durch das Homeoffice wurde also spürbar.

In grossen Unternehmen arbeiten die Schweizer Erwerbstätigen häufiger mobil-flexibel (52%) als in kleinen und mittleren Unternehmen (44%). Ein Grund dafür sind u.a. Arbeitsaufgaben wie handwerkliche Tätigkeiten, die nicht ortsunabhängig ausgeführt werden können.  Analysiert man die Organisationen selbst, zeigt sich, dass das mobil-flexible Arbeiten in den öffentlichen Verwaltungen viel weniger verbreitet ist und Voraussetzungen wie Arbeitsmodelle, Organisationsstrukturen und technologische Ausstattungen noch nicht vorhanden sind. Grossunternehmen spielen hier die Vorreiter gefolgt von Unternehmen mit wissensintensiven Dienstleistungen. Vor allem die technologischen Voraussetzungen haben sich von 2016 zu 2020 deutlich verbessert.

Die zwei Seiten der Medaille

Trotz des Anstiegs der mobil-flexiblen Arbeit wünschen sich von den 2000 befragten Mitarbeitenden 31% sogar noch mehr Möglichkeiten, 61% sind mit dem Ausmass zufrieden und 9% würden gerne weniger mobil-flexibel arbeiten (FlexWork, 2020). In diese Richtung weist auch die repräsentative Konstanzer Homeoffice-Studie (2020), bei der die Mehrheit der Befragten sich nach den Homeoffice–Erfahrungen in der Pandemie auch zukünftig zwei Tage Arbeit von zuhause wünscht. 

So ist die Krisensituation auch eine Chance neue Arbeitsformen auszuprobieren und darauf basierend zu definieren, wie New Work und Führung in der Zukunft aussehen könnten. Doch gerade Führung aus dem Homeoffice ist von heute auf morgen nicht so leicht wie gedacht. Nur 15% der Führungskräfte hatten bereits Erfahrung mit Homeoffice, plus 50% wenig Kenntnisse. So erlebten die Mitarbeitenden auch, dass Ansprüche an die Führung wie das Schaffen von Strukturen und Setzen von Zielen (75% Erwartung zu 49% Umsetzung) sowie die individuelle Betreuung der Mitarbeitenden (78% Erwartung zu 57% Umsetzung) nicht eingelöst werden konnten. 

5 Tipps zur Führung virtueller Teams

1. Geben Sie den Mitarbeitenden Orientierung.

Sie können dies durch die Neudefinition von Rollen, Verantwortlichkeiten und Arbeitsstrukturen umsetzen. Mit dem Team werden Ziele, Teilergebnisse und verbindliche Abgaben definiert. Klare Aufträge, konstante Informationsweitergabe und Feedback über den Prozessfortschritt unterstützen die Zielerreichung. Dabei schenken die Vorgesetzten den Mitarbeitenden, die die Aufgaben selbständig zuhause erledigen, grosses Vertrauen.

2. Verteilen Sie Führungsaufgaben und agieren Sie mehr in der Rolle eines Coaches.

Werden Aufgaben und Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt, kann das Team die geforderten und vorhandenen Kompetenzen mit einbringen («shared leadership«. Die Führungskraft übernimmt dabei immer stärker die Rolle eines Coaches und fördert zudem die überfachlichen Kompetenzen der Teammitglieder, wodurch Selbstorganisation und -motivation der Mitarbeitenden steigen.  

3. Behalten Sie die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden im Blick.

Führungskräfte sollten im persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitenden bleiben, weiterhin Einzelgespräche führen und Themen im Auge haben wie z.B. mögliche Überforderung der virtuellen Arbeitssituation und dem Boundary Management zwischen Arbeit, Familie und Freizeit. Auch in Meetings können mit einem persönlichen Austausch begonnen werden. 

4. Wählen Sie die Kommunikationstools mit Bedacht.

Gemäss dem Media Richness Modell, sind für bestimmte Aufgaben auch bestimmte Medien geeigneter. Demnach gilt, je komplexer die Aufgabe, desto mehr Kommunikationskanäle sollten zur Verfügung stehen. Dabei kann das Media Richness Modell helfen, welches davon ausgeht, dass für bestimmte Aufgaben auch bestimmte Medien geeigneter sind. Neben dem Media Richness spielen auch Medienpräferenz, -kompetenz und -verfügbarkeit eine Rolle bei der Wahl der Tools.

5. Reflektieren Sie Ihre Erfahrungen mit den Kommunikationstools regelmässig.

In den Kommunikationstools sollte die Möglichkeit enthalten sein, Feedback zu geben. Jedoch können einfache Informationen mit einem ärmeren Medium ohne Feedback kommuniziert werden z.B. rein textbasiert per Email. Im Virtual Teams Survey Report zeigte sich, dass weniger als ein Drittel der Teams Regeln für die Zusammenarbeit z.B. in Form einer Team Charta formuliert hatte. Dies bietet jedoch die Möglichkeit festzuhalten, was wie und wann kommuniziert und auch dokumentiert wird. Dadurch kann später gemeinsam reflektiert werden, ob sich das Modell bewährt und ob sich zielführende und respektvolle Kommunikationsgewohnheiten einspielen.

Zwei Ansätze zur Führung im digitalen Raum

Communities of Practice

Führung findet als sozialer Prozess immer in der Beziehung zwischen Führenden und Geführten statt, wobei diese «Communities of Practice» bilden. Vieles, was ungeplant und informell in der Pause und in den Fluren als Teil der Führungsbeziehung passiert, fällt weg und findet im digitalen Raum statt.
Das bedeutet, die Führungskraft muss neu digitale Gefässe auswählen, in denen sie ihren Führungsstil umsetzen, Führung praktizieren und dadurch gemeinsam konstruieren will. Fällt das gemeinsame, auch emotionale Erleben von Führen und Geführt werden weg, dann besteht die Gefahr, dass in Subgruppen verschiedenartige Praktiken und Verständnisse von Führung entstehen, unter Umständen abgeschottete Resonanzräume, mit negativen gruppendynamischen Effekten und unterschiedlichen Wissensständen im Team. 

Foto von Miguel Á. Padriñán von Pexels

Leading Out Loud

Ein weiterer Ansatz besteht im «Leading Out Loud», bei dem Führungskräfte ihre eigene Arbeit sichtbar machen und über ihren Führungs- und Lernprozess online und offline berichten. Sie zeigen wie sie selber die digitale Transformation bewältigen, geben Informationen breit weiter und bekommen Feedback in ihrem Führungsprozess. Dies erfordert den Mut und die Kompetenz beispielsweise soziale Medien in der Organisation oder in Netzwerken bewusst zu nutzen und sich zu zeigen. Gleichzeitig ermuntern Führungskräfte damit die Mitarbeitenden ihre Erfahrungen in der virtuellen Zusammenarbeit ebenso breit zu kommunizieren (Working Out Loud). 

Vorgesetzte können zu «digital leaders» aufblühen. Sie treiben die digitale Transformation in der Organisation voran, indem sie selber digitale Tools im Arbeitsalltag und in der Teamarbeit nutzen. Sie greifen auf die Kompetenzen der Teammitglieder im «shared leadership» z.B. generationenübergreifend zurück, um Changeprozesse sozial, organisatorisch und technologisch zu bewältigen. Die Herausforderung Homeoffice bietet die Chance Führung als Team neu zu erfinden.

Lust auf mehr zum Thema Führung? Dann lesen Sie doch unseren neuen Beitrag zum Thema Topsharing!


Referenzen

  • Dückert, S. (2019). Leitbild der digitalen Führungskraft. In T. Petry (Hrsg.), Digital Leadership : Erfolgreiches Führen in Zeiten der Digital Economy (S. 183-194). Haufe Lexware Verlag.
  • Kunze, F., Hampel, K. & Zimmermann, S. (2020). Konstanzer Homeoffice-Studie. Abgerufen am 11.5.2021 von https://www.polver.uni-konstanz.de/kunze/konstanzer-homeoffice-studie/ 
  • Virtual Team Survey (2016). Abgerufen am 11.5.2021 von https://www.rw-3.com/virtual-teams-survey-0 
  • Weichbrodt, J., Bruggmann, A., & Folie, A. (2020). FlexWork Survey 2020: Befragung von Erwerbstätigen und Unternehmen in der Schweiz zur Verbreitung mobil-flexibler Arbeit. Olten: Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. Abgerufen am 11.5.2021 von https://irf.fhnw.ch/handle/11654/31702 
  • Foto von Anna Shvets von Pexels
  • Foto von Miguel Á. Padriñán von Pexels
  • Der Artikel erschien in längerer Form im Original unter dem Titel «Führung unterwegs – Krisenbewältigung im Homeoffice oder Chance für die Neuerfindung von Führung?!» im Magazin Gespröchsstoff, Nr. 11, Juni 2021, S. 16-17. Abdruck mit Genehmigung der Herausgeber.

Informationen zur Autorin

Prof. Dr. Sylvia Manchen Spörri

Sylvia Manchen Spörri ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Dozentin an der Hochschule Luzern. Seit 2019 leitet sie den Bachelorstudiengang Business Psychology.

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.