Markt- & Konsumentenpsychologie
Lesezeit 7’min // Ein Beitrag von Giorgia Travaglione
Die Coronapandemie hat die Weltsicht der Schweizerinnen und Schweizer verändert. Viele konnten nicht verreisen und sahen sich gezwungen, ihre Ferientage in der Schweiz zu verbringen. Während des Lockdowns fiel die Wahl beim Einkaufen öfter auf saisonale und lokale Produkte. Es hat sich gezeigt, dass die Pandemie unter anderem einen Einfluss auf das Konsumverhalten der Schweizer Bevölkerung hatte. Das Interesse an Trends wie Regionalität und Schweizer Herkunft ist deutlich gestiegen. Diese Aspekte haben wir in dem Beitrag «Slow und Regional: Wie Corona langfristig unser Konsum- und Freizeitverhalten beeinflusst» erörtert, schauen Sie gerne einmal rein.
Das Konsumverhalten der Schweizer Bürgerinnen und Bürger liess sich verändern und anpassen, dennoch sehnten sich wohl die meisten nach mehr Normalität. Eine mögliche Lösung hierfür, bot die Impfung gegen das Corona Virus. Seit Anfang 2021 können sich Schweizer Bürgerinnen und Bürger gegen das neuartige Virus impfen lassen. Diese Impfung ist wohl weltweit die bisher umstrittenste. Denn, dass eine Impfung eines Tages zu einem solchen Privileg wird, hitzige Diskussionen auslöst oder eine gesamte Bevölkerung spaltet, hätte wohl niemand gedacht.
Eine Studie der Hochschule Luzern hat sich im Frühjahr 2021 mit genau diesen Fragen auseinandergesetzt. Zwischen dem 28. April und dem 4. Mai 2021 wurden über 1’000 Schweizer Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich ihrer Haltung zu verschiedenen Impfprivilegien befragt.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Befragten in den meisten Lebensbereichen keine Privilegien für Geimpfte wollen. Insbesondere bei Tätigkeiten des täglichen Lebens war der Zuspruch am niedrigsten. Nur 24 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass Geschäfte nur noch mit Vorweisen eines Impfpasses betreten werden dürfen. Bei der Nutzung des regionalen, öffentlichen Verkehrs waren es 28 Prozent. Und auch beim Besuch von Restaurants oder Fitnessstudios war die Akzeptanz von Impfprivilegien eher tief.
Eine solche Reaktion ist laut Marcel Zbinden, Studienautor und Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Luzern, «wenig erstaunlich», denn «ein Zugang nur für Geimpfte wäre in diesen Bereichen für viele eine massive Einschränkung in die persönliche Bewegungsfreiheit.» Stellen Sie sich vor, Sie könnten nicht mehr einkaufen gehen, sofern Sie nicht geimpft sind. Rückblickend kann sich das niemand mehr vorstellen.
Bei Grossanlässen und Flugreisen sah es hingegen anders aus. Denn sobald die Aktivitäten weniger alltäglich und vermeidbar oder als Erlebnis angesehen werden, steigt die Akzeptanz für Impfprivilegien markant an. Die höchste Zustimmung lag bei Flugreisen, wobei rund 51 Prozent der Befragten sich einig sind, dass Flugzeuge nur von geimpften Personen betreten werden dürfen. Grossveranstaltungen wie Konzerte oder Fussballspiele wurden ebenfalls von mehr als 50 Prozent der Befragten als Impfprivileg deklariert – ein Piecks wäre die Voraussetzung für eine Teilnahme.
Besonders überraschend waren die Umfragewerte betreffend Ausübung bestimmter Berufe. 51 Prozent der Befragten waren der Ansicht, dass Pflegeberufe nur noch von geimpften Personen ausgeübt werden dürfen. Im Bereich «Erziehung» teilten 43 Prozent diese Meinung.
Die Schweiz nahm im Frühjahr 2021 drei Stellungen ein: Rund 35 Prozent der Befragten lehnten jegliche Impfprivilegien ab, weitere 37 Prozent waren dafür, dass es in einigen Bereichen Privilegien für Geimpfte gibt, während 29 Prozent dafür waren, dass (fast) alle abgefragten Aktivitäten nur noch für Geimpfte erlaubt werden.
Und wie sieht es mit der Impfbereitschaft aus?
Drei Viertel der Bevölkerung, gab im Frühjahr 2021 den Wunsch an, sich impfen zu lassen. Die Impfbereitschaft der Schweizer Bevölkerung ist hoch. Nicht überraschend ist die besonders hohe Impfbereitschaft der Altersklasse der über 65-Jährigen. Und auch die übrigen Alterskategorien wollten sich im Frühjahr mehrheitlich impfen lassen. Den tiefsten Wert wiesen die 30- bis 49-Jährigen auf (65 Prozent), gefolgt von den 18- bis 29-Jährigen (69 Prozent).
Überraschend war die Impfbereitschaft nach Geschlecht: Männer lehnten eine Impfung zu neun Prozent ab, wobei Frauen sich zu 14 Prozent auf keinen Fall impfen lassen wollten. Der Konsumentenforscher, Georgi, vermutet, dass dies damit zusammenhängen könnte, dass sich Frauen bezüglich Nebenwirkungen grössere Sorgen machen als Männer. Dies sei vor allem auf die vielen Schlagzeilen zurückzuführen, die über Nebenwirkungen bei gewissen Impfstoffen berichten, von welchen vor allem Frauen betroffen sind.
Glücklicherweise hat die Schweiz nach rund zwei Jahren Social Distancing, Abstands- und Hygienemassnahmen, inzwischen eine weitere Phase der Pandemie mit Auflockerungen erreicht. Zu verdanken ist dies sicherlich der bis dahin hohen Impfbereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer sowie der mehrheitlichen Einhaltung der Coronamassnahmen. Ein Impfzwang war dafür nicht nötig und für viele wohl kaum denkbar, denn dies wäre meiner Auffassung nach ein grosser Eingriff in die persönliche Meinungsfreiheit.
Seit dem 17. Februar 2022 ist sowohl die Masken- wie auch die Zertifikatspflicht grösstenteils entfallen. Die Normalität kehrt langsam, aber sicher in den Schweizer Alltag zurück und eine gesamte Bevölkerung kann aufatmen. Die hitzigen Diskussionen nehmen laufend ab, weil es zwischen geimpften und ungeimpften Personen keine grösseren Unterschiede mehr gibt. Dennoch bleibt die Impfung ein heikles Thema, das teils ungern angesprochen wird und noch immer zu Uneinigkeiten führen kann.
Giorgia Travaglione
Giorgia Travaglione hat sich für ein Studium in Business Psychology entschieden, weil es sich um eine zeitlose Disziplin handelt, die laufend an Bedeutung gewinnt. Denn im aktuellen «System» gibt es einiges zu überdenken – wir müssen die Schwerpunkte vielleicht anders setzen, uns neu orientieren und unseren Horizont erweitern.
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