Im Dezember gönnen wir uns mehr, im Januar schalten viele in den Modus des Verzichts. Hinter diesem Wechsel zwischen Genuss und Askese stehen klare psychologische Mechanismen. Konsumentenpsychologe Marcel Zbinden von der Hochschule Luzern zeigt auf, wie Belohnungssysteme, soziale Normen und Framing unser Verhalten rund um den Jahreswechsel steuern – und was daraus für Marken folgt.

Der Dezember ist mehrfach emotional aufgeladen. Soziale Rituale, Familie, «so haben wir das schon immer gemacht». Man gönnt sich das bessere Essen, das Spielzeug, den Ausflug, weil es sich «richtig anfühlt» und nicht, weil es rational optimal ist. Die dunklen Tage, der stressige Jahresabschluss im Geschäft und der 13. Monatslohn tragen auch ihren Teil dazu bei, dass der Geldbeutel bzw. die Kreditkarte im Portemonnaie oder auf dem Smartphone lockerer sitzt. Im Alltag haben viele von uns implizite Regeln hinsichtlich eines gesunden und vernünftigen Verhaltens, die im Dezember als letztem Monat des Jahres bewusst oder halb-bewusst ausser Kraft gesetzt werden. Psychologisch betreiben wir eine Art mentale Buchhaltung: Heute darf ich über die Stränge schlagen, weil ich mir innerlich verspreche, es später wieder auszugleichen. In der Forschung spricht man hier von «Moral Licensing». Im Dezember verschieben wir unser persönliches Limit nach oben und erfinden gute Geschichten, warum das «jetzt schon okay» ist.
Diese Dezember-Entgleisungen ignorieren wir mental nicht. Häufig schon zwischen Weihnachten und Neujahr denken sich viele, dass im Januar alles besser werden muss. In der Verhaltensforschung spricht man von einem «Fresh Start». Häufiges Problem ist, dass das «neue Ich» im gechillten Ferienmodus definiert wird. Zurück im stressigen Alltag funktioniert die grosse Willenskraft deutlich weniger gut, weshalb viele Vorsätze schon während des Januars oder kurz danach wieder über Bord geworfen werden. Das hat auch damit zu tun, dass viele Menschen geplante Verhaltensänderungen komplett falsch angehen. Dazu mehr in unserer neuen Podcast-Folge von VOLL PSYCHO, die am 18. Dezember erscheint: «Neujahrsvorsätze: Hot oder Schrott?».
Unser Belohnungssystem spielt im Dezember durchaus etwas verrückt. Alles ist ein wenig drüber. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass schon die Erwartung einer Belohnung Dopamin ausschüttet. Im Dezember stehen wir praktisch permanent vor der nächsten kleinen «Belohnungsecke»: Black-Friday-Schnäppchen, Weihnachtsmärkte, Lichter, Firmenapéros, Adventsanlässe, das Finden eines passenden Geschenks, überall Glühwein und Guetzli. Mit jedem erlebten Reiz verstärken wir die Belohnungsschleife. Dazu kommt, dass Alkohol und Süsses fest mit dieser Jahreszeit verknüpft sind, was das Belohnungssystem zusätzlich mit schnellen, intensiven Reizen füttert.
Im Januar kippt für viele der Fokus um 180 Grad. Die Völlerei im Dezember ist noch sehr präsent, die Diskrepanz zwischen Idealbild «gesund, diszipliniert» und dem, was wir gerade gelebt haben, ist maximal. Genau das macht viele Menschen in der Schweiz besonders empfänglich für Vorsätze. Dazu kommt der sogenannte Fresh-Start-Effekt. Der Jahreswechsel markiert im Kopf ein neues Kapitel. Das Verhalten des vergangenen Jahres wird dem «alten Ich» zugeschoben, das «neue Ich» soll ab 1. Januar alles besser machen. Medien, Freunde und Kampagnen wie Dry January oder Veganuary verstärken dieses Gefühl, jetzt sei der Moment für Selbstdisziplin und Verzicht. Viele planen ihre Vorsätze zudem im entspannten Ferienmodus. In dieser Stimmung wirken radikale Pläne machbar, auch wenn sie später im Alltag an Zeit, Energie und Willenskraft scheitern.
Marken sollten den Dezember als hoch emotionalen Monat verstehen, nicht als Lizenz, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu verkaufen. Viele Menschen sind müde, gestresst, geben mehr aus als sonst und gönnen sich bewusst etwas. Genau dort können Marken ansetzen, indem sie Produkte und Services als sinnvolle Belohnung und echte Entlastung inszenieren, d.h. weniger Sucherei, mehr Orientierung. Botschaften wie «Wir machen dir das Fest einfacher» passen besser in diese Stimmung als das reine «Kauf noch mehr».
Wichtig ist auch der Blick über den 31. Dezember hinaus. Wer hilft, Fehlkäufe zu vermeiden, faire Umtauschmöglichkeiten bietet und auf Qualität und passende Geschenke setzt, wird nach den Feiertagen als verlässlich und vertrauenswürdig erinnert.
Marken sollten also den emotionalen und sozialen Charakter des Dezembers respektieren und so kommunizieren, dass sich die Entscheidung auch im Januar noch gut anfühlt.
Ein häufiger Fehler ist, dass Marken den Januar genauso behandeln wie den Dezember, einfach in gesund. Statt Genuss wird dann Verzicht verkauft, aber mit derselben Logik: «In 30 Tagen zum neuen Ich», radikale Diäten, Fitness- oder Sparprogramme, die im Alltag kaum realistisch sind. Damit sprechen Marken zwar das Reset-Gefühl an, aber sie überschätzen massiv, wie viel Willenskraft Menschen im echten Januar zwischen Job, Familie und grauem Alltag haben. Psychologisch sinnvoll wäre, an das anzuknüpfen, was realistisch umsetzbar ist: kleine, machbare Schritte, flexible Einstiege, Unterstützung beim Dranbleiben. Das erzeugt Vertrauen und Markenbindung.
Dies ist eine schwierige Frage, nicht einfach zu beantworten. Was mich aber jedes Jahr von Neuem erstaunt, ist die zu starke Fokussierung von Marketingansätzen, die den radikalen Neustart betonen. Es wäre wünschenswert, die Menschen dort abzuholen, wo sie Mitte Januar stehen. Mit realistischen Zielen, die machbar sind und zu Erfolgserlebnissen führen. Zum Beispiel ein Fitness-Abo, das mit einem Training pro Woche startet, oder Sparziele, die kleine Schritte belohnen statt den Totalverzicht. Auch wenn sie nicht speziell auf den Januar zielt, finde ich eine Kampagne wie «Du musst nicht perfekt sein, um das Klima zu schützen» vom WWF sehr gelungen. Sie nimmt den Druck aus der Perfektion, setzt auf kleine, machbare Schritte und holt die Menschen dort ab, wo sie tatsächlich stehen.
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