Die Theorie der Autoren Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein rund um die sanften Stupser feiert in diesem Jahr den 10ten Geburtstag. Das Buch «Nudge» vom 8. April 2008 löste eine Welle der Begeisterung, Verwirrung, Ablehnung und facettenreichen Umsetzung aus. Rund um die Welt, in wohl fast allen Sprachen. Die Achterbahnfahrt der Verbreitung im Bereich Verhaltensökonomie mit Experimenten, verblüffenden Ergebnissen und harter Kritik erreichte im Oktober 2017 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft an Thaler schliesslich die Salonfähigkeit.*
Von verkleinerten Tellern im Corporate Restaurant (zwecks Reduktion der täglichen Essensmenge) über musikalisch klingende Bodenbänder auf einer Fussgängerbrücke (zur Vermeidung der risikoreichen Schnellstrassen-Überquerung) bis zum temporären Sparkonto für Rauchende mit abschliessendem Nikotintest und dem Geldgewinn bei Entwöhnung oder Auszahlung an die Wohltätigkeit bei Suchtfortsetzung – zwischen realen und digitalen Aktionen erfasst Nudge jeden Winkel des täglichen Lebens.
Trotz einem Berg von Best Practices wie vom englischen «The Behavioral Insights Team», Nudge Units in Regierungen und eigenen Nudge Konferenzen wie in Beirut oder Utrecht, funktioniert Nudging nicht mit einem «Rezeptbuch». Jede angestrebte Änderung von Verhaltensweisen und Wahrnehmungen verlangt eine individuelle Adaption der Grundlagen.
Die Arbeit mit Nudge ist für Kommunikation, Marketing, Change Management, Personalangelegenheiten usw. keine blosse Neuauflage eines Prospekts oder die grafische Lösung einer Botschaft. Die Einladung an Menschen, eine bessere Entscheidung für sich selbst und das Allgemeinwohl zu treffen oder auf dem persönlichen Default bzw. der vertrauten Gewohnheit zu verbleiben, geht weit über Kalauer Verdächtige oder andersartige Werbesprüche hinaus.
Diese sogenannte Entscheidungsarchitektur mit dem Prädikat «Libertarian Paternalism», übersetzt «freiheitsliebende Bevormundung», verlangt ein interdisziplinäres Produktionsteam und Kenntnisse im Umgang mit persönlichen Werten und Normen von Menschen. Der in der Wirtschaftswelt überdehnte Begriff der Achtsamkeit trifft bei Nudge vergleichsweise wirklich ins Schwarze. Ein gehöriges Mass an kollaborativen Wissenssymbiosen ist der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg. Erfolg, der allerdings Verpuffungspotential aufweist, wenn keine Messpunkte gesetzt und keine Nachbearbeitungs- und Weiterführungsmodelle gestaltet sind.
Nudging fordert, macht Spass, erschöpft und bringt allen Beteiligten und meist auch den Zielgruppen den Sommerstrand-Effekt einer wohlig warmen Meeresböe, die lange und erfrischend alle Haare nach hinten pustet und auch gleich noch die Haarwurzeln angenehm touchiert. Mit dem Nudge-Modul im CAS Digital Customer Experience leistet die HSLU Pionierarbeit und bringt diesen Wind ins Plenum. Die Studierenden erfahren die Leitplanken von Nudge und erarbeiten in Gruppen im Rapid Prototyping-Format Vorschläge für eine Intervention. Ziel ist nicht eine beispielhafte Lösung, sondern die Kurzpräsentation der OnePager-Skizze und die hochinteraktive Zimmerdiskussion. Didaktisch angereichert und auf der Basis «Appreciative Inquiry», der wertschätzenden Grundhaltung in Teams, zeichnet sich das Modul durch eine holistische Sensibilisierung aus.
*«Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstösst (2009)». Das 400-Seiten-Buch der Autoren Thaler und Sunstein liefert Details und Best Practices zur Theorie. Beispielsweise der legendäre Fliegenkleber in den Flughafen-Pissoirs in Schiphol AMS, welcher durch spontane Zielübungen der Nutzer zu 80% weniger Flüssigkeitsverschmutzung ausserhalb des Sammelbeckens führte.
Mit einem zumutbaren Schubs eine Person in eine neue, richtige, bessere Richtung lenken, ohne dabei deren Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Bei Akzeptanz der neuen Richtung fällt die Person eine eigene Entscheidung zur Veränderung der Wahrnehmung und des Verhaltens. Die angestrebte Verbesserung der eigenen Situation kann auch positiven Einfluss auf das Allgemeinwohl und damit auf die Gesellschaft haben.
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