Die Marke 4.0: Fokussierung auf Kernleistung über alle Kanäle

Die Marke 4.0: Fokussierung auf Kernleistung über alle Kanäle

Die Grundsatzfrage: Besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen digitaler und sogenannter klassischer Markenführung? Ja, weil es sich um zwei unterschiedliche Kanäle mit unterschiedlichen Gegebenheiten, Kontaktpunkten sowie Ort- und Zeithorizonten handelt. Nein, weil beide den identischen Leistungskörper voranbringen sollen: Die Marke. Die Trennung beider Varianten hilft im Sinne der operativen Effizienz. Im ganzheitlichen Verständnis von Marke sollte hier jedoch auf keinen Fall eine strategisch-strukturelle Unterscheidung vorgenommen werden.

Marke 4.0

Wachstum an Komplexität in der Markenführung

Die Gesamtherausforderung liegt darin, dass die Markenführung mit einem weitaus umfassenderen Komplexitätsgrad konfrontiert ist als noch vor einem Jahrzehnt. War bis in die 2000er Jahre hinein allein ein Verkaufskanal zum Kunden zu kontrollieren, der Point-of-Sale, so muss das Unternehmen heute mit einer fast unkontrollierbaren Anzahl von Marken-Auftrittspunkten umgehen: Der analoge POS, der eigene Online-Shop, Portale, Partner-Webshops – national und international. Und immer muss penibel darauf geachtet werden: Wird die Marke an diesem Auftrittsort in typischer Art und Stilistik repräsentiert? Der Fortschritt hat zur Entwicklung von Geräten geführt, die den Zugriff auf das Internet permanent machen („Always on“). Gerade eine global vertretene Marke kommuniziert heute pausenlos „24/7“ und sie muss dabei immer und überall kulturübergreifend die Kernaussage der Marke treffen bzw. pointiert variieren.

Es muss auch klar sein, dass die Vorstellung von einer rein digitalen Welt nicht aufgeht, denn virtuelle Welten rufen gleichzeitig eine soziale Gegenbewegung hervor, in der Menschen analoge Genüsse (wieder-) entdecken, z.B. der Erfolg von Kochshows oder die hohe Auflagenzahl von Gartenmagazinen usw. Auch Banken und andere Unternehmen, die zunächst rein digital auftreten wollen, müssen irgendwann über einen stationären Auftritt nachdenken, denn bisher stößt die unbegrenzte virtuelle Welt manchmal noch an Grenzen. Der „Faktor“ Mensch ist einfach noch nicht perfekt integriert. „Digital Detox“ ist daher kein Smoothie-Name, sondern ein gern genommenes mediales Thema – inzwischen bloggen darüber sogar Krankenkassen, um ihre Kundschaft stundenweise vom Smartphone zu befreien. Um dies erfolgreich zu meistern, gibt es übrigens von der Krankenkasse extra eine App…

Auch im Netz geht es um Vertrauen und Bindung

In einer digitalisierten Welt kann eine Markenleistung global deutlich schneller bekannt werden als vor hundert Jahren. Diese Tatsache hebelt aber nicht den notwendigen sozialen Mechanismus des Vertrauensaufbaus aus: Bevor Geld investiert wird, muss ein gewisses Maß an Vertrauen vorhanden sein, ob real oder digital. Der gute Verkäufer will den Menschen an sich binden, er will eine reale persönliche Bindung zu seinem Kunden aufbauen. Er weiß: Ein dauerhaftes, seriöses Geschäft funktioniert nur über Vertrauensaufbau und Authentizität. Gerade in einem per se als eher unpersönlich wahrgenommenen Medium wie dem Internet liegt die Herausforderung darin, diesen analogen ehrbaren Verkäufer erfolgreich dorthin zu transferieren. Und was für den einzelnen Verkäufer gilt, gilt für jedes Unternehmen, das sein Angebot verkaufen will (wo auch immer). Die Marke muss digital konsequent ihr analoges Muster durchsetzen, um das Vertrauen und damit die Wiedererkennung auch an diesem (neuen) Auftrittspunkt bzw. diesen neuen Sendemöglichkeiten für die Marke sicherzustellen.

Umso wichtiger ist es, weiterhin den Blick nach innen zu richten, in der eigenen Marke die Besonderheiten herauszuarbeiten, die für Resonanz in der Kundschaft sorgen und genau diese auf den neuen Kanälen zu spielen: Kreativität bedeutet für Marken nicht das Sprengen von Grenzen, sondern das kreative Agieren innerhalb der Grenzen der Marke – die neuen Sendekanäle sind diesbezüglich eine Chance, gerade auch für kleinere Betriebe.

Das Smartphone als Rettungsanker großer Marken?

Aus Sicht der wissenschaftlichen Markenführung erfordert die Durchdringung des Smartphones von den Unternehmen deutlich mehr: als „first device“, bedingt es eine noch stärkere Verdichtung der relevanten Leistungsinhalte einer Marke (Empfehlung: Mobile Markenführung – Chancen und Herausforderungen). Es geht in den bespielten medialen Kanälen nicht primär darum, möglichst viele Informationen zur Verfügung zu stellen, jedenfalls nicht auf den ersten Blick bzw. Klick, sondern die Informationen auf zwei bis maximal drei Inhalte zu verdichten und diese möglichst bildhaft und beeindruckend zu inszenieren – das kleine Display eines Smartphones gibt die inhaltliche Richtung und den gestalterischen Korridor vor. Es gilt jetzt: Fokussierung, Fokussierung, Fokussierung.

Was soll Menschen spontan, ohne nachzudenken, einfallen, wenn sie den Markennamen hören, den ersten Kontakt aufnehmen? Dem Thema Digitalisierung lässt sich daher aus Markensicht viel Positives abgewinnen. Sie kann Firmen zur besseren Markenarbeit zwingen: Diese müssen ihre unternehmerische Komplexität extrem fokussieren, um in dem Medium mit ihren Inhalten durchzukommen. Denn Marke bedeutet Fokussierung von Komplexität auf ein bestimmtes positives Vorurteil bzw. maximal zwei bis drei Vorurteile. Exakt das Gegenteil von dem, was viele Konzerne in den letzten Jahrzehnten betrieben haben: In jede Nische vorstossen, um alles für alle in jeder Form- und Preislage anzubieten. Der Siegeszug des Smartphones könnte somit zu einer Renaissance führen: Unternehmen, die wirtschaftlich weiterhin erfolgreich bleiben wollen, sind gezwungen sich auf ihre Leistungsinhalte zu beschränken. Viele umtriebige Big-Player füllen momentan ihre digitalen Kanäle mit Filmen über US-Rapper um die Marke zu verjüngen und bezahlen dazu noch ein Heer an Influencern. Gleichzeitig erzählen sie umfassende mega-coole Alltagsgeschichten per youtube und bauen damit kräftig an sonnigen Emotionalwelten. Man könnte denken das sie stolz sind, wenn ihr Produkt dabei kaum eine Rolle spielt in dieser, mit gleichförmigen Hipstern bevölkerten Parallelwelt. Meistgehörter Satz in Konzernpräsentationen der letzten zwei Jahre: Wir verkaufen ja keine Leistungen, wir verkaufen heute einen Lifestyle! Das kleine Display des Smartphones könnte diese Firmen zwingen, den Fokus auf etwas Neues bzw. Ur-Altes, längst Vergessenes, zu richten: Ihre Kernleistung, die konkreten Gründe, warum Menschen bei ihnen ihr Geld investieren. Eine Chance für die Marke.

Die Marke wird sowohl als Profiteur wie auch als Opfer aus dem Digitalisierungsprozess gehen. Denn an dieser Stelle kommen die Menschen ins Spiel, welche Marken lenken: Tun sie es verantwortungsbewusst oder nicht? Die Marken, die es schaffen trotz all des Digitalisierungs-Hypes nicht zu vergessen, dass es bei seriöser d.h. langfristig orientierter Markenarbeit darum geht, das positive Vorurteil über die Leistung der Marke zu vertiefen werden profitieren. Auf dem analogen wie auf dem digitalen Marktplatz gibt es eine einzige Aufgabe: Die Komplexität hinter der Marke auf die eigene Kernleistung fokussieren um zu verkaufen.

Selbst wenn es nicht alle Marken schaffen: Der Mensch kann nicht nicht Marke machen (frei nach Paul Watzlawick). Marken wird es immer geben, das zeigen gerade die zahlreichen neuen Marken, die das junge Digitalzeitalter hervorgebracht hat – und die teilweise vorführen, wie es geht, indem sie es trotz des unendlichen Angebotes im Worldwide Web geschafft haben, eine nahezu uneinnehmbare Spitzenposition zu besetzen, weil sie verstanden haben, worum es bei Marke geht: Zu einer Gewohnheit im Leben möglichst vieler Menschen zu werden. Denn auch digital bleibt der Mensch im Vollbesitz seiner sozialen Wünsche und Eigenschaften. Oder anders: Er bleibt Mensch.

Lese-Empfehlung: Wie funktioniert Markenführung in Social Media?

Aktueller Buchtitel von Arnd Zschiesche und Oliver Errichiello: Marke statt Meinung. Die Gesetze der Markenführung in 50 Antworten (GABAL).

Marke statt Meinung

Kommentare

1 Kommentare

Die Marke 4.0: Analoger Anstand für die digitale Performanz

2. Juli 2019

[…] es im ersten Teil von «Die Marke 4.0» generell um die Herausforderungen für die Markenführung im Digitalzeitalter ging, d.h. die erfolgreiche Überführung des analog aufgebauten Marken-Vertrauens ins Web, steht […]

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