29. Januar 2024
Die Nachhaltigkeitskriterien ESG (Environmental, Social, Governance) sind omnipräsent, doch sind dessen Bedeutung und konkrete Anwendung im Immobilienmarkt nicht immer eindeutig. Die Umsetzung gesetzlicher Nachhaltigkeitsbestrebungen setzt Investoren unter Druck, eröffnet aber zugleich auch neue Chancen. Die zukünftige Rentabilität und Sicherheit von Investitionen sind zunehmend an ESG gebunden.
Ein Artikel von Paul Schreider und Simone Vasoli
Mit der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens der Vereinten Nationen im Jahr 2015 hat sich die Schweiz gemeinsam mit 55 Staaten einer Reduktion der Treibhausemissionen verschrieben. 2017 folgte die Ratifizierung des Abkommens, bei der das Ziel definiert wurde, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Die Forderungen nach Emissionsreduktion führten nicht zuletzt zur Bestätigung des «Klima- und Innovationsgesetzes» per Volksabstimmung 2023, nach dem der Verbrauch fossiler Brennstoffe weiterhin bis hin zur Klimaneutralität 2050 gesenkt werden soll (BAFU, 2023). Da die Konvention bestimmte Richtlinien aufzeigt, die nicht nur zu einer klaren Zielsetzung, sondern auch zu Berichterstattung sowie internationaler Überprüfung verpflichten und Anpassungsmassnahmen fordern, ist es naheliegend, ESG-Standards heranzuziehen.
Die Realität des Abkommens sowie die Definition der miteinhergehenden Ziele legt nahe, dass sich der globale Trend in den kommenden Jahren immer mehr auf die Verschärfung von Klimaschutzbestimmungen ausrichten wird. Es steht ausser Zweifel, dass diese potentielle Ausrichtung erhebliche Folgewirkungen auf Industrie und Wirtschaft, so auch auf den Immobilienmarkt haben wird.
Bei genauerer Betrachtung der Definition der einzelnen Aspekte von ESG steht E für Environmental und beinhaltet Themen wie Umweltschutz, Ressourcenschonung, Energieeffizienz sowie das Ziel zur Verminderung der Treibhausemissionen. Bei Bezugnahme auf folgende Zahlen ist klar ersichtlich, welch grosse Verantwortung der Immobilienmarkt in diesem Kriterium trägt: Gemäss dem “2022 Global Status Report for Buildings and Construction” der UNO ist die Immobilienbranche weltweit für 37% der energiebezogenen CO₂-Emissionen verantwortlich (UNO, 2022, S.42). Europaweit sind aktuell nahezu 75% der Gebäude als nicht energieeffizient zu beurteilen. Von diesen sind jedoch rund 85-95% genutzt und sollen es auch bis 2050 bleiben (Paul & Schafer, 2023). Nach letztem Informationsstand des Schweizer Bundesamts für Umwelt fallen bundesweit 26% der Treibhausemissionen auf den nationalen Bausektor (BAFU, 2023).
Die zweite Komponente von ESG – S für Social ist in Bezug auf den Immobiliensektor beispielsweise mittels bezahlbarem Wohnraum und guter Verkehrsinfrastruktur zu übersetzen. G- wie Governance, als dritter Aspekt, schafft Standards in Bezug auf Unternehmensführung in der Immobilienwirtschaft, nicht zuletzt in Bezug auf Führungsebenen und Aufsichtsstrukturen sowie Regeltreue. Gleichzeitig setzt das Kriterium die Beschäftigung mit Chancengleichheit und ein Bewusstsein dafür voraus, wie sich wirtschaftliches Handeln auf gesellschaftliche Strukturen auswirkt (EXPO REAL, 2023).
Die Notwendigkeit der Einhaltung neuer Parameter führt zur Infragestellung der bisher existenten Grundprinzipien von Immobilieninvestitionen, die bislang solide erschienen. Betrachtet man das Zieldreieck von Investorenzielen, welche die Liquidität, Rentabilität und Sicherheit im strategischen Gleichgewicht über die Zeit darstellen, so scheint es durchaus plausibel, dass ESG-Kriterien, wie in Abbildung 2 dargestellt, ein zusätzliches Kriterium darstellen können.
Abbildung 2: Ziele der Investoren (Fahrländer & Kloess, 2023, S. 412).
Der unmittelbare Einfluss von ESG im Zusammenhang mit den traditionellen Elementen des Zieldreiecks wie Sicherheit und Rentabilität kann als bereits evident betrachtet werden: Einer von UBS beauftragten Umfrage unter Immobilieninvestoren und -investorinnen ist zu entnehmen, dass ESG betreffende Investitionen, trotz des damit einhergehenden kurzfristigen Renditeverzichts, durchaus ein Mittel zu langfristiger Sicherheit darstellen. Auch wenn die Gewichtung der Investitionskriterien je nach Anlagestrategie variieren kann, ist auf Investorenseite dennoch eine eindeutige Priorisierung langfristiger Sicherheit gegenüber kurzfristigen Renditen erkennbar. Kurzfristiger Renditeverzicht bedeutet unter Berücksichtigung der ESG-Kriterien im Regelfall nicht nur eine nachhaltige Wertsicherung der Immobilien, sondern auch zukünftige Konfliktvermeidung bezüglich neuer Regulierungen sowie die Vermeidung von nicht nachhaltig vermietbaren Flächen. ESG-Konformität kann also als vorbeugende Massnahme gegen Klimarisiken, geopolitische Risiken, Energiekosten sowie Regulierungsdruck verstanden werden. Insofern sehen die Autoren der Studie keinen Zielkonflikt bezüglich wirtschaftlicher Interessen und ökologischen Nachhaltigkeitsbestimmungen (Davidson et al., 2023, S.28).
Eine weitere bemerkenswerte Tendenz, welche die Umfrage aufzeigt, ist die diversifizierte Schwerpunktsetzung der Anleger und Anlegerinnen innerhalb der ESG-Kriterien. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass umweltrelevante Themen und die Reduktion des CO₂-Ausstosses unter allen Umfragebeteiligten hohe Relevanz haben (Abbildung 4). Soziale Aspekte im Hinblick auf Mieterzufriedenheit und niedrige Fluktuation, die einen positiven Einfluss auf die Renditen und Wertstabilität haben, weisen ebenso eine verhältnismässig hohe Gewichtung auf. Faktoren, die zwar unter soziale Aspekte fallen, jedoch Themen wie bezahlbares Wohnen, tiefe Nebenkosten oder den sozialen Mietermix betreffen, scheinen hingegen weniger relevant zu sein. Dies hebt einmal mehr die klare Prioritätensetzung auf Investorenseite hervor, die die Sicherung der Immobilienwerte, stabile Cashflows und wirtschaftliche Nachhaltigkeit betrifft (Davidson et al., 2023, S.32-33).
Abbildung 3: Priorisierung der ESG-Nachhaltigkeitsaspekte in der Anlagestrategie (Davidson et al., 2023, S. 31).
Eine weitere Studie, die sich mit dem Zusammenhang der Umsetzung von ESG-Massnahmen und deren Auswirkung auf Renditen beschäftigt, wurde dazu von Wüest Partner AG im Auftrag des Bundesamts für Umwelt 2022 durchgeführt. Untersucht wurden die unmittelbaren Konsequenzen bei Umstieg von Öl- oder Gasheizung auf ökologisch nachhaltige Erdwärmepumpen bei Wohnimmobilien (Schläpfer et al., 2022). Dem Ergebnis ist zu entnehmen, dass in Anbetracht der höheren Investitionskosten auch höhere Nettomietzinseinnahmen als bei Wohnungen mit konventionellen Heizungen festzustellen sind (Abbildung 3). Ferner ist auch hier die Bereitschaft zu erkennen, höhere Investitionskosten bei kurzfristig tieferen Renditeerwartungen zu akzeptieren. Dies resultiert unter anderem aus der Gegebenheit, dass auf ökologische Standards angepasste Immobilien auf dem Transaktionsmarkt im Durchschnitt als ca. 4 % wertvoller bewertet werden als jene, die mit fossilen Energieträgern betrieben sind. Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsaspekte hat somit auch einen direkten Effekt, der sich in höheren Mietpreisen, dafür im Gegenzug üblicherweise verhältnismässig niedrigeren Nebenkosten für Mieter und Mieterinnen ausdrückt. Insgesamt weisen aus Investorensicht die klimafreundlich beheizten Immobilien also ein vorteilhafteres Risiko-Renditeprofil auf als jene mit fossilen Brennstoffen betriebene Liegenschaften (Schläpfer et al., 2022).
Abbildung 4: CO₂-Ausstoss (Stand: 2020): Zusammenhang mit Marktwert pro Wohnung sowie mit Höhe der Abschlussmieten (Stand: jeweils 3. Quartal 2021) (Wüest Partner AG, online).
Prof. Dr. Thomas Beyerle am Lehrstuhl für Immobilienforschung an der Hochschule in Biberach erklärt die Relevanz von ESG in der Immobilienbranche in Bezug auf Bestandsgebäude wie folgt und verweist auf die Komplexität deren regulatorischer Anpassung: «Es geht um Elementares, die Beibehaltung oder Steigerung der Immobilienwerte in den eigenen Portfolios. Angesichts der vielen Trends und des Themas ESG gilt es nicht zuletzt sogenannte Stranded Assets zu vermeiden. Viele Bestandsgebäude sind nur schwerlich auf einen ESG-konformen Stand zu bringen, insofern werden die Märkte eine grosse Portfoliobereinigung erleben. Kurz, auf die Branche kommt ein gewaltiger Wandlungsprozess zu und der wird uns nur wenige Jahre Zeit lassen.» (Immobilien-Fondsforum, 2022). So liegt also ein wesentlicher Risikofaktor in der Anpassungsfähigkeit bestimmter Gebäude, da bei Nichteinhaltung der Parameter akuter Wert- und Attraktivitätsverlust sämtlicher Objekte droht.
Während Neubauten bereits nach Nachhaltigkeitsstandards geplant und daher auch mittel- bis langfristig den gesetzlichen Anforderungen entsprechen werden (Kraft, 2023), weist der Bestandsmarkt, der einen hohen Anteil des Immobilienmarkts einnimmt, durch fehlende Informationen über Bauqualität potentielle Unsicherheiten auf. Für Klarheit bei Gebäudespezifikationen sollen ESG-Bewertungsstandards sorgen. Hierfür bieten eine Vielzahl von Ratingagenturen Bewertungsdienstleistungen an, die jedoch keine einheitlichen Standards verfolgen und deren unterschiedliche Methoden die Vergleichbarkeit von ESG-Scores erschweren. Es sind somit einheitliche Ratingstandards zur Schaffung eines vergleichbaren ESG-Scores notwendig, der für die qualitative Beurteilung und die etwaige Eruierung ökologischer Optimierungsvorschläge herangezogen werden kann (Rinka, 2023; EXPO REAL, 2023). Dies ist unter anderem essentiell, um Interessenskonflikte aufgrund differenzierter Bemessungsgrundlagen zu vermeiden.
Einen vielversprechenden Ansatz hierfür bildet das 2023 eingeführte System des REMM-Monitorings «Real Estate Meta Rating and Monitoring on Sustainability», welches ein flächendeckend standardisiertes Rating bei Neu- und Bestandsimmobilien ermöglichen soll. Die privaten und institutionellen Investoren erhalten Zugang zur REMM-Informationsdatenbank, auf der Immobilienkriterien erfasst und ausgewertet werden können. Die Plattform bietet also die Möglichkeit, die rund zwei Millionen Immobilien in der Schweiz detailliert und gesamtheitlich nach ESG-Kriterien zu beurteilen und ist somit ein wichtiger Versuch einen höheren Grad an Transparenz zu schaffen. Thomas Beyerle sieht die Immobilienbranche insofern in der grössten Transformation seit dem zweiten Weltkrieg und appelliert zur rechtzeitigen Entwicklung aussagekräftiger ESG-Benchmarks (Immobilien-Fondsforum, 2022).
ESG ist aus der Realität des Immobiliensektors nicht mehr wegzudenken und hat seinen Preis, denn Sanierungsmassnahmen bedürfen hoher Investitionen. Während die Stabilhaltung der Immobilienwerte sowie die Sicherstellung zukünftiger Renditen als wesentliche Zielsetzungen betrachtet werden können, ist insgesamt eine Priorisierung des Teilaspekts Environmental von ESG, gegenüber Social und Governance zu beobachten.
Während Investoren und Investorinnen zwar oftmals in der Situation sind, kurzfristig niedrigere Renditen in Kauf nehmen zu müssen, scheint dies sich jedoch langfristig zu lohnen. ESG-Konformität ist ein relevanter Faktor beim Kauf sowie bei der Verwaltung von Immobilienassets geworden und wird systematisch in die Analyse, Entscheidungs- und Monitoringprozesse mit einbezogen. Die Schaffung von standardisierten Ratings zur Beurteilung von Neu- und Bestandsimmobilien ist hierbei von besonderer Bedeutung.
ESG ist schlussfolgernd ein wichtiges Instrument, um ökologische, ökonomische und gesellschaftspolitische Nachhaltigkeit im Bauwesen sicherzustellen, und trägt damit eine grosse Verantwortung. Langfristig ist das Anstreben der ESG-Standards nicht nur auf Gesetzesebene unvermeidlich geworden, sondern wie diverse Studien belegen, können wirtschaftliche Interessen und regulatorische Nachhaltigkeitsbestrebungen durchaus miteinander vereinbar sein.
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