3. November 2023

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Wachsende Knappheit und ineffiziente Nutzung von Wohnraum: Ein Makroblick auf die soziale Nachhaltigkeit des Wohnungsmarktes

Wachsende Knappheit und ineffiziente Nutzung von Wohnraum: Ein Makroblick auf die soziale Nachhaltigkeit des Wohnungsmarktes

Der Schweizer Mietwohnungsmarkt steht erst am Anfang der Knappheit. Die Planung neuer Wohnungen in Mehrfamilienhäusern steuert auf einen historischen Tiefstand zu. Die ökologische Aufwertung des Bestandes bindet viel Kapital und Kapazitäten. Bestehende Wohnungen werden systembedingt ineffizient genutzt. Das Raumplanungsgesetz lenkt neue Entwicklungen an Orte mit teurem Bauland, komplizierten Planungsverfahren und langen Bewilligungszeiten. Kumuliert gefährden diese Entwicklungen die Grundversorgung mit Wohnraum – einer Grundvoraussetzung für die Umsetzung sozial nachhaltiger Ziele.

Ein Artikel von Christian Kraft, HSLU

Mit einer 12-Monatssumme von 35´800 neu geplanten Wohnungen in Mehrfamilienhäusern näherte sich die Neubauplanung von Mietwohnungen im Juli einem historischen Tief, das bereits jetzt 23% unter dem Niveau von 2018 und 15% unter dem langjährigen Mittel seit 2009 liegt (Abbildung 1).

Abbildung 1: Geplante Bauaktivität im Wohnungsbau gemäss Baugesuchen (Baublatt/Bauinfo-Center Docu Media, 2023).

Die schwache Planung steht in einem starken Kontrast zur Bausumme, also jenem Wert, den Planer und Eigentümer als Summe der Gesamterstellungskosten in der Baueingabe notieren. Die Bausumme der Baugesuche im Neubau ist über den gleichen Zeitraum (2018-2023) nahezu konstant. Es wird also nicht weniger investiert. Aber aus dem investierten Kapital resultiert heute ein rund 20% tieferer Output an Wohnungen. Im Bereich Umbau & Erweiterung gestaltet sich diese Situation anders. Aus leicht gestiegenen Investitionen resultieren mehr umgebaute Wohnungen. Die Projektgrössen sind geschrumpft. Anstatt grosszyklischer Sanierungen werden viele Einzelmassnahmen vorgezogen.

Der Output fällt bei konstanter Bausumme im Neubau so schwach aus, weil die Stückkosten der Wohnungen markant angestiegen sind. So schätzen Planer und Bauherren gemäss Baueingaben die durchschnittlichen Erstellungskosten einer Wohnung heute auf CHF 600´000. Im Jahr 2018, bevor die Materialpreissteigerungen aufgrund internationaler Bauaktivität, Lieferkettenprobleme und Energieknappheit anstiegen, wurde noch mit Durchschnittskosten von CHF 472´000 kalkuliert. Der offizielle Baupreisindex des Bundesamtes für Statistik reflektiert diesen Kostenanstieg mit +15.5% nur partiell. Offenbar werden heute bereits weitere Faktoren, die über die reinen Materialpreis- und Fremdfinanzierungskosten hinausgehen, eingepreist (Abbildung 2).

Abbildung 2: Geschätzte Stückkosten = Bausumme pro Wohnung in Baugesuchen (Baublatt/Bauinfo-Center Docu Media, 2023); BFS Baupreisindex, Neubau MFH (Bundesamt für Statistik, 2023).

Dabei verteuern nicht isolierte Einzelfaktoren den Wohnraum, sondern eine Kumulation verschiedener, zum Teil interagierender Entwicklungen. Durch das im Raumplanungsgesetz erklärte Ziel der Innenentwicklung entstehen zum Beispiel zusätzliche Komplexitäten im Planungsprozess, Einspracherisiken und längere Bewilligungszeiten. Denn im dichten Raum zu bauen ist komplexer als auf der grünen Wiese und das Bauland ist an nachfragestarken urbanen Lagen signifikant teurer. Viele Gemeinden reagieren mit mehr Vorschriften, um den Druck zu kanalisieren und um das Wachstum zu steuern.

Eine systematische Analyse des Einflusses der Raumplanung auf die Wohnkosten wurde im Oktober im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO, 2023) von einem Forschungsteam des Center for Regional Economic Development (CRED) in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen IAZI AG publiziert. Je nach Betrachtungsweise, ob konkrete raumplanerische Instrumente im Fokus stehen oder ob die resultierenden Einschränkungen der Bodennutzung auf Gemeindeebene betrachtet werden, liegt der erklärende Anteil der Raumplanung an der Variation der Preise bei 2%-8% (Büchler et al., 2023).

Rein aus den Entwicklungen der Baueingaben könnte man einfach schliessen, dass ein Anstieg des Investitionsvolumens um 20% erfolgen müsste, um den Wohnungsoutput wieder auf das Vor-Corona-Niveau zu steigern. Doch der Markt hat sich verändert. Durch Zinsanstiege wird Kapital anders alloziert und steht dem Immobilienmarkt nicht mehr im gleichen Ausmass zur Verfügung. Die Zinsanstiege verteuern zusätzlich Hypotheken, die von vielen Eigentümern für den Neubau benötigt werden. Und letztlich wird viel vom verfügbaren Kapital bereits zur ökologischen und qualitativen Aufwertung des Bestandes eingesetzt. Auch das geht deutlich aus Wachstumsbeiträgen der Anzahl Wohnungen in Baugesuchen hervor (Abbildung 3).

Abbildung 3: Jahreswachstumsraten mit Wachstumsbeiträgen, Anzahl Wohnungen und Bausumme gesamt in Baugesuchen (Baublatt/Bauinfo-Center Docu Media, 2023).

Deshalb steht die Versorgung mit neuem Wohnraum vor grossen Herausforderungen. Besonders unter Berücksichtigung des seit 2022 starken Bevölkerungswachstums. Die effizientere Nutzung bestehender Wohnungen ist dabei eine wichtige Lösungskomponente. Ab dem 3. November beschäftigt sich der Nachfragemonitor Wohnen (Nachfragemonitor.ch) u.a. mit diesen Fragestellungen. In einem ersten Beitrag wird die Rolle der Lock-In-Effekt des Mietsystems für die effiziente Allokation von Wohnraum beleuchtet. Damit wird der Nachfragemonitor einen Beitrag zur Frage leisten, welche Ziele der sozialen Nachhaltigkeit sich in einem zunehmend knappen und teuren Wohnumfeld umsetzen lassen, ohne die Rahmenbedingungen für die Erstellung neuer Wohnungen zu verschlechtern. Denn entsteht aufgrund kontraproduktiver Rahmenbedingungen grundsätzlich zu wenig Wohnraum, erübrigt sich die Frage dessen nachhaltiger Ausgestaltung.

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Am Mittwoch, 15. November 2023, findet die Konferenz Nachhaltige Wohnungswirtschaft 2023 statt. Ein schlagkräftiger Mix aus Forschung und Praxis beleuchtet den aktuellen Stand nachhaltiger Investitionen, zukünftige Herausforderungen und Lösungsansätze. Das Ziel ist eine kritische und faktenbasierte Auseinandersetzung für eine zielführende Priorisierung der nachhaltigen Entwicklung. Melden Sie sich hier an.

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