18. März 2024

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Versicherungen gut positioniert, doch wer das Amazon der Immobilienbranche wird, steht noch nicht fest

Versicherungen gut positioniert, doch wer das Amazon der Immobilienbranche wird, steht noch nicht fest
Abbildung: Das Ökosystem Wohnen der Mobiliar.

Versicherungen investieren zunehmend in Ökosysteme in der Immobilienbranche. Die Mobiliar hat in der Schweiz ein Ökosystem Wohnen aufgebaut, das sich über mehrere Phasen des Immobilien-Lebenszyklus erstreckt. Neue Entwicklungen wie der Verkauf von Flatfox zeigen jedoch auch die Grenzen der Ökosystemstrategie auf.

Ein Artikel von Lorenz Affolter und Eric Lustenberger

Plattformökonomie: Das dominierende wirtschaftliche Paradigma

Der Digital Economy Report (2019) zeigt, dass sieben Plattformen den weltweiten Markt dominieren, darunter Microsoft, Amazon und Alibaba.

Doch wie entstehen solche Plattformen und wie funktionieren sie? Die Plattformökonomie beschreibt ein Wirtschaftsmodell, das auf digitalen Plattformen basiert. Diese Plattformen dienen als Vermittler zwischen verschiedenen Nutzergruppen, wie beispielsweise Käufern und Verkäufern, und schaffen so ein interaktives Ökosystem. Im Businesskontext beschreibt der Begriff ‹Ökosystem› ein vernetztes System aus Unternehmen, Kunden und Partnern, die in einer dynamischen, interaktiven Beziehung Innovationen und Werte schaffen (Detecon International GmbH, o. D.). Die Plattformen ermöglichen es, Produkte, Dienstleistungen und Informationen effizient zu teilen und zu handeln. Das Geschäftsmodell einer Plattform unterscheidet sich von traditionellen Geschäftsmodellen, da es nicht nur auf dem direkten Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen basiert, sondern vielmehr auf der Vernetzung unterschiedlicher Nutzergruppen. Wesentliche Eigenschaften sind Skalierbarkeit, Netzwerkeffekte und Datenzentriertheit. Die Entstehung von Plattformen wird oft durch neue Akteure vorangetrieben, die traditionelle Branchen disruptieren. Beispiele hierfür sind Amazon im Einzelhandel oder Airbnb in der Tourismusbranche. Diese zeigen, wie Plattformen traditionelle Geschäftsmodelle revolutionieren können (Noelling, 2022).

Es gibt bereits Evidenz dafür, dass die Plattformökonomie in der Immobilien- und Baubranche Einzug hält. Bekannte Vermarktungsplattformen sind beispielsweise Zillow in den USA oder Immoscout24 in der Schweiz. Durch ausgeklügelte Lösungen sollen Planung, Bau, Vermarktung und Bewirtschaftung vernetzter und somit effizienter werden (Gawlitta, 2019).

Wie ist die Lage auf dem Schweizer Immobilienmarkt? Wer sind die führenden Akteure und welche Phasen des Immobilienlebenszyklus decken sie ab?

Plattformen in der Schweizer-Immobilienbranche – Eine Übersicht

Staub et al. (2022) haben eine detaillierte Analyse der Plattformen und Ökosysteme in der Schweizer Immobilienwirtschaft durchgeführt.

Die Autoren haben drei Hauptakteure identifiziert. Der erste Akteur sind Banken und Versicherungen, wie zum Beispiel Helvetia mit ImmoWorld, UBS mit key4, die Ökosysteme Wohnen der Mobiliar und der Raiffeisen sowie die PostFinance mit Valuu. Der zweite relevante Akteur sind Technologieanbieter und PropTechs, wie zum Beispiel Plattformen wie Allthings, BuildingMinds, Houzy Garaio REM oder auch die SMG (Swiss Marketplace Group). Der dritte Akteur sind Immobilieninvestoren. Dabei handelt es sich um Swiss Life Asset Managers und das Credit Suisse Asset Management.

Besonders interessant ist, dass die verschiedenen Akteure sich in Bezug auf die Abdeckung der Phasen des Immobilienlebenszyklus durch ihre Plattformen und Ökosysteme unterscheiden. Während sich Technologieanbieter und PropTechs auf eine Phase konzentrieren, decken beide Investoren zwei Phasen ab: die Phase des Property-, Facility-Managements sowie die Phase des Investitions-, Portfolio- und Assetmanagements.  Die Versicherungen und Banken sind die wichtigsten Akteure im Kontext einer möglichen vollumfassenden Plattform. Die Mobiliar und die UBS mit key4 decken bis zu fünf von insgesamt acht definierten Phasen des Lebenszyklus einer Immobilie ab. Die UBS setzt bei der Gestaltung des Ökosystems primär auf Partnerschaften, während die Mobiliar mit direkten Investitionen (Beteiligungen oder Akquisitionen) arbeitet.

Versicherungen wollen mit Ökosystemen näher an den Bedürfnissen ihrer Kunden sein

Insbesondere bei Versicherern weltweit ist ein Trend zu beobachten, dass sie gezielte Ökosystemstrategien im Bereich Wohnen verfolgen. Ein führendes Beispiel ist Ping An, ein chinesischer Versicherer, der Ökosysteme in den Bereichen Immobilien, Wohnen, Auto, Gesundheit und weiteren aufgebaut hat. In Deutschland verfolgt die Generali mit Vitality eine ähnliche Strategie.

Versicherungsunternehmen erweitern ihre Ökosysteme, um ihre Kundenschnittstellen konsequent auf die Bedürfnisse der Kunden auszurichten. Kunden erwarten, dass sie Versicherungen im Zusammenhang mit der Leistung erwerben können, die sie benötigen. Zum Beispiel können sie beim Abschluss eines Mietvertrags auch eine Mietkautionsversicherung abschliessen. Das Ziel ist ein One-Stop-Shop für Endkunden (Accenture, 2020).

Das Ökosystem Wohnen der Mobiliar Versicherung

Das Ökosystem Wohnen der Mobiliar setzt sich aus verschiedenen Akteuren sowie unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit zusammen. Letztere sind sowohl Beteiligungen als auch eigene Gesellschaften sowie strategische Partnerschaften.

Abbildung 1: Das Ökosystem Wohnen der Mobiliar. Die Abbildung zeigt die verschiedenen Unternehmensbeteiligungen und Partnerschaften. Die ursprüngliche Abbildung aus PropTech News (2021) wurde aufgrund von Veränderungen überarbeitet und der heutigen Marktsituation angepasst.

Strategische Partnerschaft: Die Mobiliar und Raiffeisen arbeiten seit 2021 in einer strategischen Partnerschaft zusammen. Diese bleibt auch nach dem Verkauf der Liiva-Anteile von Raiffeisen an die Mobiliar (siehe weiter unten) weitergeführt (Müller, 2023) (Mobiliar, o. D.).

Eigene Gesellschaften: Die Swisscaution ist eine der grössten und bekanntesten Mietkautionsbürgschaften in der Schweiz. Im Jahr 2016 wurde sie von der Mobiliar übernommen (Mobiliar, o. D.). Buildigo soll dabei helfen, Handwerker für Bauvorhaben auf einfache Art und Weise zu finden. Die Plattform bringt Handwerker und Bauherren zusammen. Sie wurde im Jahr 2017 gegründet und im Jahr 2020 von der Mobiliar übernommen (Mobiliar, o. D.). Im Jahr 2019 erwarb die Mobiliar das Business-Software-Unternehmen Bexio (Bexio, 2019). Als B2B-Lösung für KMUs kann sie auch zum Ökosystem Wohnen gezählt werden. Die Wohneigentumsplattform Liiva unterstützt bei der Hypothekarfinanzierung und der Bewirtschaftung von Wohneigentum. Liiva wurde 2021 von der Mobiliar und der Raiffeisen Bank lanciert. Im Oktober 2022 wurde die Liiva AG vollständig von der Mobiliar übernommen (Mobiliar, o. D.).

Beteiligungen: Die Mobiliar hat sich an mehreren Start-ups beteiligt. Im Jahr 2019 wurde die Mieterkommunikationsplattform aroov in Kooperation zwischen dem Softwareunternehmen Garaio Rem und der Mobiliar entwickelt (Enz, 2019). Im April 2021 wurde der Immobilienmarktplatz Flatfox, der das Mieten und Verkaufen von Immobilien digitalisiert, von der Mobiliar übernommen (Mobiliar, o. D.). Im August 2021 hat die Mobiliar aroov in Flatfox integriert. Dadurch soll das Unternehmen zu einem innovativen und führenden Marktplatz für Wohnungsinserate, Mieterkommunikation und Bewerbungsprozesse weiterentwickelt werden (Flatfox, o. D.). Kürzlich wurde bekannt, dass die Mobiliar die Mehrheit von Flatfox an die Swiss Marketplace Group verkauft hat (Inside-It, 2023). Seit Juni 2020 arbeitet die Mobiliar mit PlanyourMove zusammen. Das Westschweizer Start-up positioniert sich als digitaler Assistent, der bei Wohnungsumzügen entlastet. Die Mobiliar ist ausserdem mit 25% an Ringier beteiligt (Mobiliar, o. D.).

Besondere Aufmerksamkeit gilt der SMG, an der die Mobiliar als eines der Gründungsmitglieder zu 29,5% beteiligt ist. Die Swiss Marketplace Group umfasst alle grossen, heimischen Plattformen zur Vermarktung von Immobilien.

Abbildung 2: Swiss Marketplace Group (SMG). Die Abbildung zeigt die verschiedenen Unternehmen der SMG, an der die Mobiliar zu 29.5% beteiligt ist. Auffällig ist, dass es sich bei den Unternehmen hauptsächlich um Vermarktungsplattformen handelt (SMG Swiss Marketplace Group, 2023).

Die SMG hat weitere Eigentümer, nämlich die TX Group mit 31%, Ringier mit 29,5% und den Wachstumsinvestor aus den USA General Atlantic mit 10% (Mobiliar, o. D.).

Das Ökosystem der Mobiliar deckt damit unterschiedlichste Phasen des Immobilien-Lebenszyklus ab. Das Ökosystem begleitet Immobilieneigentümer und Mieter von der Finanzierung und Versicherung über die Phasen Vermarktung, Baumanagement, Property- und Facility-Management bis hin zur Nutzung (z.B. Wohnen oder Produktion). Liiva begleitet den Prozess des Wohneigentums und Flatfox den Prozess des Mietverhältnisses (Staub et al., 2022, S. 28).

Versicherungen in guter Position – die Würfel sind aber noch lange nicht gefallen

Die Mobiliar hat in den letzten Jahren verschiedene Akquisitionen getätigt und sich an unterschiedlichen Firmen strategisch beteiligt. Es ist offensichtlich, dass die Mobiliar ein starkes Ökosystem im Bereich Wohnen aufgebaut hat. Ähnliche Strategien werden auch von anderen Versicherungen verfolgt, wie zum Beispiel von Ping An oder der Allianz. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Rolle der Versicherer im Immobilienmarkt an Bedeutung gewinnt und sie vermehrt als Dienstleister über den gesamten Immobilien-Lebenszyklus auftreten.

Es ist jedoch verfrüht zu behaupten, dass Versicherer eine umfassende Plattform für den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie bieten. Der Verkauf von Flatfox von der Mobiliar an die SMG zeigt, dass die Strategie noch nicht gefestigt ist, insbesondere, da Flatfox erst vor etwas mehr als 2 Jahren von der Mobiliar erworben wurde. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine Integration der verschiedenen Geschäftsfelder, insbesondere auch ins Kerngeschäft des Versicherers, möglich ist. Eine potenzielle Hürde könnte beispielsweise die Austausch- und Nutzbarkeit von Daten innerhalb des Ökosystems darstellen. Diese sind entscheidend für ein skalierendes Plattformmodell.

Plattformen bieten, wie andere Branchen bereits gezeigt haben, ein enormes Potential. Ob und wer eine Rolle als Amazon der Immobilienbranche einnehmen kann, wird sich noch zeigen müssen.

Kommentare

1 Kommentare

Christian Andres

19. März 2024

Gratuliere herzlich zum Beitrag. Sehr lesenswert und äussersts informativ. Sind wir gespannt wohin sich die Reise diesbezüglich in der Immobilienbrache entwickelt.

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