26. Februar 2024

Studentische Beiträge

Die Bedeutung der Immobilien für den öffentlichen Verkehr

Die Bedeutung der Immobilien für den öffentlichen Verkehr
Abbildung 1: Bewegungsmuster von ÖV-Nutzenden (Verband öffentlicher Verkehr, Illustrationen, kein Datum).

Immer mehr Bahnhöfe an peripheren Lagen werden um- und rückgebaut. Oft verschwinden die Gebäude und damit auch Warteräume, Kioske oder Shops aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit und veränderten Gewohnheiten für immer. Ein solcher Rückbau ist mit dem «Lädelisterben» zu vergleichen und führt zu dauerhaften Verlusten von Infrastruktur und Dienstleistungen. Das Verschwinden von Angeboten hat gesellschaftliche Auswirkungen und die Standorte verlieren an Attraktivität. Dieser Trend hat Einfluss auf den öffentlichen Verkehr (ÖV) und das Klimaziel «Erhöhung des Modalsplits».

Ein Artikel von Mathias Bärtsch und Christina Wismer

Die (Sonder-)Funktionen von Immobilien am Bahnhof

Bahnhöfe gehören zum Landschafts- und Siedlungsleitbild, seit die ersten Züge vor über 175 Jahren durchs Land fuhren. Das «Ristorante Stazione» oder das «Hotel de la Gare» zeugen davon. In vielen Gemeinden verkörpern Gleisanlagen und die Bahnhofgebäude lokale Geschichte und Identität. Doch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben die Bahnhöfe in hohem Mass verändert (Verband öffentlicher Verkehr, 2023, S. 3).

Heute lassen sich die Liegenschaften am Bahnhof in die beiden Hauptkategorien «Bahninfrastruktur» und «Bahn-Liegenschaften» unterteilen.

Abbildung 2: Bahn-Liegenschaften versus Infrastruktur (eigene Darstellung).

Die Kategorie «Bahninfrastruktur» umfasst die ganzen Gleis- und betriebstechnischen Anlagen sowie Perrons und Haltestellen. Kurz – alles, was für die Bahn notwendig ist, damit die Züge verkehren können. Verantwortlich für den Betrieb, den Bau und den Unterhalt sind die Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen, wie beispielsweise die SBB und BLS.

Hingegen ist die Kategorie «Bahn-Liegenschaften» heute nicht mehr bahnbetriebsrelevant und kann von der Bahninfrastruktur losgelöst weiterentwickelt und betrieben werden. In der Vergangenheit dienten diese Bahn-Liegenschaften jedoch vorwiegend dem Bahnverkehr, sei es als Aufenthaltsräume, Billettschalter, Bahnhofbuffet etc. Die künftige Umnutzung solcher Immobilien hat jedoch grosse Auswirkungen auf das soziale Umfeld.

Bahn-Liegenschaften an peripheren Lagen unterstützen die Funktionen des Bahnhofs als Verkehrsdrehscheibe für den ÖV und sollen deshalb möglichst attraktiv ausgestaltet werden. Die Bevölkerung erwartet ÖV-Umsteigeorte, die alle Angebote miteinander verbinden und für eine gute regionale und überregionale Vernetzung der Umgebung sorgen.

Diese Erwartungen können jedoch nur erfüllt werden, wenn sich die Akteure ihrer Vielfalt bewusst sind und eine Mitverantwortung übernehmen. Das heisst: Standortgemeinden, Mobilitätsanbieter, Immobilien-Grundbesitzer usw. müssen zusammenarbeiten (Verband öffentlicher Verkehr, 2023, S. III).

Abbildung 3: Bahn -Liegenschaften als Herz der Verkehrsdrehscheibe (Faktenblatt Bundesamt für Raumentwicklung, 2021).

Lokale Verkehrsdrehscheiben (vergleiche Abbildung 3) sind Orte, an denen Menschen vorbeikommen, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, um sich zu verpflegen oder um etwas zu erleben. Saubere und sichere Immobilien können zur Kundenzufriedenheit beitragen, das Umsteigen vom Auto auf den ÖV fördern und zu einer besseren Vernetzung von Stadt und Land führen (Verband öffentlicher Verkehr, 2023, S. 11).

Der Leiter der BLS-Immobilien, Marco Imboden, spricht darum Klartext: «Ein Transportunternehmen braucht eine starke Immobilienabteilung!» (Imboden, 2022)

Was Klein- und Dorfzentren mit Bahnhöfen gemeinsam haben

Rund um den Bahnhof befinden sich viele Begegnungszonen. Der Bahnhof hat somit auch eine Quartierfunktion, wo Leute sich treffen und verweilen. Die Positionierung des Angebots an Pendlerbahnhöfen ist ähnlich wie in Dorf- und Quartierzentren. Ein Abbau der kommerziellen Nutzung und der Vielfalt des Angebots führt zu einem Verlust der Quartierfunktion.

Der Trend, die bestehenden Gebäudekomplexe an Bahnhöfen abzureissen und lediglich durch Haltestellen mit überdachten Perrons zu ersetzen, führt zu einer Veränderung der Identität des Quartiers. Zudem fällt das Angebot für Spontaneinkäufe und Verpflegungsmöglichkeiten weg. Dies ist vergleichbar mit Klein- und Dorfzentren, welche aufgrund fehlender Bezugspunkte veröden und darum vom «Lädelisterben» stark betroffen sind (Koch & Skumpija, 2023).

Das führt dazu, dass kleinere Dienstleister und Verkaufsgeschäfte den Bahnhof-Standort verlassen und in grosse Supermärkte oder Shoppingcenter umziehen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, kommt den Eisenbahn-Infrastrukturbetreibern und den Immobilien-Grundbesitzern eine zentrale Rolle zu: Das Siedlungs- und Bahnsystem ist miteinander zu verknüpfen. Durch einen Rückbau von bestehenden Immobilien veröden Grundstückflächen. Einmal abgebaute Gebäude werden selten oder nicht mehr aufgebaut. Dies kann zusätzlich zu abnehmenden Pendlerströmen führen.

Eine weitere wichtige soziale Komponente ist der Verlust des Sicherheitsgefühls. Die Umgebung hat einen hohen Einfluss auf das Wohlbefinden der ÖV-Nutzer. An hoch frequentierten, belebten, übersichtlichen und hellen Orten fühlen sich die Menschen sicher, verweilen gerne und kommen wieder dorthin. Belebte sichere Bahnhöfe tragen so zur Erreichung der vom Bund gesetzten CO2-Ziele bei (Verband öffentlicher Verkehr, 2023, S. 23).

Wie Nebenbetriebe den Modalsplit erhöhen

Immer mehr Menschen in der Schweiz nutzen den ÖV. Trotzdem stagniert der Anteil des ÖV am Gesamtverkehrsaufkommen – dem sogenannten Modalsplit – seit Jahren. Für die Steigerung des Modalsplits ist ein Bündel von Massnahmen notwendig. (Verband öffentlicher Verkehr, kein Datum)

Nebst direkten Angeboten für die ÖV-Nutzer tragen ebenfalls attraktive Mobilitätsangebote an den Bahnhöfen dazu bei, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. Mobility-Hubs werden vor allem im Zusammenhang mit Bahnhöfen eine zentrale Bedeutung als Drehscheibe beigemessen. Auch Mobility-as-a-Service (ein auf den Kundenbedarf abgestimmtes Angebot mit diversen Mobilitätsdiensten) könnte an Bedeutung gewinnen. Dies ergab eine Umfrage der Hochschule Luzern (Arnold & Grossenbacher, 2022).

Für die Liegenschaftsbesitzer und -bewirtschafter sind attraktive Orte mit hohen Pendlerströmen zudem besonders interessant. Ladenflächen an solchen Lagen mit konsequenter Ausrichtung auf die Nachfrage bringen am meisten Gewinn.

Um Nebenbetriebe und Services am Bahnhof abzubilden, haben Studenten der Uni Bern informative Visualisierungen aufgrund von Datensätzen erstellt (Collapsing Trees, Stand 16.02.2016). Mit einem Klick wird angezeigt, welche Nebenbetriebe am gewünschten Bahnhof verfügbar sind. Solche Kundenangebote steigern die Aufenthaltsqualität der Konsumenten am Bahnhof und tragen zu einer höheren Mieter- und Kundenzufriedenheit bei (SBB Visualized, kein Datum).

Die Abbildung 4 zeigt am Beispiel der SBB-Standorte Grenchen-Süd und Muttenz die vorhandenen Nebenbetriebe wie Restaurant, Fotoautomat oder Taxi Standplatz.

Abbildung 4: Visualisierungen verfügbarer Services und Nebenbetriebe an ausgewählten Bahnhöfen (SBB Visualized, Nebenbetriebe, kein Datum).

Erfolgsbeispiel Bahnhof Wabern

Ein konkretes Erfolgsbeispiel für die In-Wertsetzung eines alten Bahnhofs ist der Bahnhof Wabern. Zusammen mit den Behörden hat die BLS den komplett modernisierten Bahnhof und eine Doppelspurstrecke im Jahr 2021 eingeweiht. Die beiden Perrons, sämtliche Gleis- und Fahrleitungsanlagen wurden erneuert. Das bestehende Bahnhofgebäude (siehe Abbildung 5) aus der Gründerzeit wurde sanft renoviert.

Abbildung 5: Erfolgsbeispiel Bahnhof Wabern mit dem sanft renovierten Restaurant Gross-Wabern (Thomas Telley, 2021) & (Restaurant Gross-Wabern, kein Datum).

Das Bahnhofsgebäude war ehemals ein wichtiger Knotenpunkt für Kohlentransporte zum Gaswerkareal. Jetzt ist es ein kulinarischer Treffpunkt in Wabern. Mit der Instandsetzung des Güterschuppens konnte Bausubstanz erhalten und die Infrastruktur vom Kohle- zum kulinarischen Knotenpunkt transformiert werden. Das neue Restaurant Gross-Wabern lädt dazu ein, in historisch schön restaurierten Räumen gemeinsam zu essen, zu trinken und Beziehungen zu stärken.

Zusätzlich hat das lokale Start-up «Rüedu» im Juli 2020 einen Quartierladen in Wabern eröffnet. Dieser ist ein 18 m2 grosser Holzcontainer, wo täglich lokale, regionale und vor allem saisonale Lebensmittel 24/7 eingekauft werden können. Die angebotenen Waren werden von lokalen Produzenten direkt ins Quartier gebracht. So wie es der Claim «dein Hofladen im Quartier» zusammenfasst (Rüedu Bern AG, kein Datum).

Fazit: Immobilien am Bahnhof haben einen hohen Stellenwert

Eine attraktive Verkehrsdrehscheibe bietet auf engem Raum mehr als nur kurze Wege zum Umsteigen. Solche Knotenpunkte am Bahnhof sind ein zentraler Erfolgsfaktor für den ÖV. Sie haben eine hohe Relevanz für die Gesellschaft und bergen Potenzial, die vernetzte Mobilität voranzutreiben. Insgesamt führt dies zu tieferen Verkehrsbelastungen im Gesamtverkehrssystem und reduziert gleichzeitig die Umweltbelastungen.

Die ÖV-Nutzer haben unterschiedliche Anforderungen, die erfüllt werden sollen. Neben sicheren Wegen soll auch Raum für Erlebnis und das Verweilen vorhanden sein. Eine Verkehrsdrehscheibe agiert als Gesamtsystem. Durch eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure wie zum Beispiel Standortgemeinden, ÖV-Infrastrukturbetreiberinnen, Immobilien-Grundbesitzer und weiteren Interessensgruppen können innovative und visionäre Ideen umgesetzt werden. Dies unter Berücksichtigung, dass das Angebot mit der Lage übereinstimmt und wirtschaftlich betrieben werden kann. Das Beispiel Wabern ist hierfür ein Leuchtturm. Damit wird ein Mehrwert für die Pendler und Anwohner generiert und der Bahnhof kann seine zentrale Quartiersfunktion erfüllen. Ein Pendler hat die Möglichkeit am Bahnhof ohne weiteren Zwischenstopp auf dem Arbeitsweg einzukaufen, kann dort essen gehen, Freunde auf ein Feierabendbier treffen und Mobility Angebote nutzen. Mehrere ÖV-Anbieter setzen die Steigerung der Aufenthaltsqualität bereits erfolgreich um (Ehrbar, 2023). Zusätzlich wird durch die Belebung des Bahnhofsquartiers Sicherheit geschaffen. Die Vernetzung solcher Massnahmen fördern die vom Bund angestrebte Verlagerung auf den ÖV und sind ein wichtiger Beitrag zur Erreichung der angestrebten CO2-Klimaschutz-Ziele.

Kommentare

1 Kommentare

Raphael Ott

26. Februar 2024

Sehr spannendes Thema gut aufbereitet. Auf wirklich hohem Niveau was die HSLU mit dem Newsletter bietet! Gratuliere allen Teilnehmenden hier und freue mich auf eure weiteren Themen!

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