19. Februar 2024

Studentische Beiträge

Re-Use im Bausektor: Ein Game Changer zur Senkung von CO2-Emissionen

Re-Use im Bausektor: Ein Game Changer zur Senkung von CO2-Emissionen
Abbildung 1: Visualisierung von geeigneten Bauteilen zur Wiederverwendung. In Anlehnung an das Logo des Forschungsprojektes BuildReUse Quelle: IBO Verein und GmbH (© AEE INTEC und Baukarussell)

Die Verknappung von Rohstoffen und die globale Klimazielsetzung zur Reduktion von CO2-Emissionen sind grosse Herausforderungen unserer Zeit. Im Bausektor ist der Hebel bei der Reduktion aufgrund des hohen Ressourcenverbrauchs enorm. Re-use von Bauteilen ist daher unumgänglich und durch gezielte Massnahmen attraktiver zu gestalten. Pionierprojekte weisen den Weg.

Ein Artikel von Arbnesha Berisha und Ruth Wenger

Definition von Re-use in der Kreislaufwirtschaft

Das Ziel der Kreislaufwirtschaft besteht darin, Material- und Energieverbrauch, Abfallmenge, Emissionen und Energieverlust auf ein Minimum zu reduzieren. Im Vordergrund steht die Idee, alle verwendeten Materialien am Ende ihrer Lebensdauer wieder in den biologischen oder technischen Kreislauf zurückzuführen. Dieser Ansatz wird durch verschiedene Prinzipien unterstützt, darunter das Vermeiden von Abfällen (Reduce), das Wiederverwenden von Materialien und Bauteilen (Re-use), Recycling, Wiederverwertung von Ressourcen (Recovery), das Teilen von Ressourcen (Share) und das Reparieren von Gegenständen (Repair) (BAFU, 2022).

Hierbei spielt Re-use eine zentrale Rolle: Statt Materialien und Bauteile nach dem Abriss oder der Renovierung von Gebäuden zu entsorgen oder zu recyceln, werden sie demontiert, aufbereitet und anschliessend in neuen Bauvorhaben in gleicher Funktion oder für einen neuen Zweck wiederverwendet (One Planet Lab).

Um am Ende der Lebensdauer des Gebäudes eine effiziente Wiederverwendung der Materialien und Bauteile zu ermöglichen, ist der Ansatz der «adaptiven Architektur» eine Voraussetzung. Bauteile müssen so konzipiert werden, dass sie ohne Verlust an Qualität und Funktion demontiert, transportiert, aufbereitet und wiederverwendet werden können. Die Integration von modularen, flexiblen Strukturen ermöglicht eine Anpassung an potenzielle zukünftige Bedürfnisse. Eine vorausschauende Planung, auch «Design for Disassembly» genannt, berücksichtigt den Rückbau und erleichtert die Wiederverwendung von Systemen, Komponenten und Materialien (espazium, 2023).

Abbildung 2: Prozessschritte beim Re-use von Betonfertigteilen. Quelle: BTU Cottbus, S. 258.

Der Re-use-Prozess kann je nach Art der Bauteile und den spezifischen Anforderungen des Bauprojekts variieren. Die Bewertung, Dokumentation, Demontage, Logistik und der Wiedereinbau bilden die Basis. Eine präzise und zeitliche Planung aller Prozessschritte ist von grosser Bedeutung. Zu Beginn steht die Identifizierung der für das Projekt geeigneten Baustoffe. Anschliessend folgt die Überprüfung der Verfügbarkeit dieser Baustoffe über Baustoffbörsen, Abbruchprojekte oder andere Bezugsquellen. Des Weiteren beinhaltet der Prozess eine Einschätzung und einen Vergleich der Kosten des Zeitaufwands für die Beschaffung, den Rückbau, den Transport, die Lagerung, die Prüfung und die Wiederaufbereitung der Bauteile. Zudem sollte die bauaufsichtliche Zulassung oder die Erfüllung von Normen für die verwendeten Baumaterialien festgestellt werden.

CO2-Reduktion ganzheitlich angehen

In der Schweiz tragen Gebäude und Infrastrukturen zu rund 50% des Rohstoffbedarfs, einem Drittel der CO2-Emissionen und über 80% des Abfallaufkommens bei (admin.ch, 2023). Pro Jahr fallen rund 17 Millionen Tonnen Rückbauabfälle an (BAFU, 2022). Bisher wird nur ein kleiner Anteil der verwendbaren Bauteile für neue Projekte wiederverwendet, obwohl das jährliche Potenzial bei etwa 5 Millionen hochwertigen Bauteilen liegt (Salza, 2020, S. 17).

Zudem ist der Energieverbrauch von Gebäuden über den gesamten Lebenszyklus erheblich. Rund zwei Drittel davon fallen in der Betriebsphase an (BAFU, 2020, S. 37).Obwohl viel in die Steigerung der Energieeffizienz und in erneuerbare Energien investiert wird, reicht dies nicht aus, um die ehrgeizigen Klimaziele von netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 zu erreichen. Denn die Herstellung eines Gebäudes, seiner Materialien und deren Verarbeitung verbraucht die Menge an Energie, die der Betriebsenergie von 40 bis 60 Jahren entspricht (Chuard, 2020, S. 16). Diese sogenannt „graue Energie“ muss also ebenfalls berücksichtigt werden. Nicht nur der Betrieb, sondern auch die Gebäude selbst müssen möglichst klimaneutral werden.

Hierbei spielt der Re-use eine entscheidende Rolle, da er die Lebensdauer von Baustoffen und Bauteilen verlängert. Das schont wertvolle Ressourcen, reduziert das Abfallaufkommen und verringert energieintensive Herstellungsprozesse.

Vielfältige Herausforderungen bei der Umsetzung von Projekten

Die derzeit zögerliche Umsetzung von Re-use-Projekten ist nicht auf mangelndes Interesse zurück-zuführen, sondern auf bestehende Herausforderungen, die es zu überwinden gilt. Im Folgenden werden die vorrangigen Hürden näher erläutert: (vgl. De Wolf et al., S. 7-32, 2023) (vgl. Banz E., 13.09.2023)

  • Verfügbarkeit von Materialien, Daten und Timing: Die Schwierigkeit besteht darin, Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen und dies zum richtigen Zeitpunkt. Nicht jeder Bauherr, der einen Abbruch plant, inventarisiert die vorhandenen Materialien und stellt diese öffentlich zur Verfügung. Wer ein Projekt plant, muss wiederum möglichst früh über die Verfügbarkeit der benötigten Materialien Gewissheit haben. Ein umfassendes Verzeichnis über Abbruchprojekte oder gelagerte Materialien existiert nicht. Diverse Bauteilbörsen und Netzwerke bieten auf Online-Plattformen Materialien an, die Suche ist jedoch aufwändig. Ein einheitliches, nationales Bauteilkataster könnte Abhilfe schaffen.
  • Qualität und Gewährleistung: Auf den wiederverwendeten Materialien gibt es in der Regel keine Garantie mehr. Es stellen sich Fragen von Sicherheit und Gewährleistung. Materialien müssen zuerst geprüft und aufbereitet werden. Die Einführung von Materialpässen, Risikobewertungsinstrumenten und Zertifizierungen könnten helfen, das fehlende Vertrauen in den Re-use zu verbessern.
  • Rechtliche Themen: Rechtsunsicherheiten sind ein Risikofaktor. Wesentliche Fragen zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs, zur Haftung für Mängel oder Schäden während des Prozesses sowie zur Einhaltung aktueller Normen und Bauproduktegesetze sind frühzeitig zu klären (Abegg, 2021, S. 1-2).
  • Standardisierung / Kompatibilität: Viele Bauteile sind nicht standardisiert, sie werden für ein spezifisches Projekt nach Mass hergestellt. Fehlende Standardisierung erschwert die erneute Verwendbarkeit. Viele Bauteile lassen sich auch nicht schadensfrei zurückbauen oder in ihre Einzelteile trennen, weil sie miteinander verklebt oder vermischt sind. Mechanische Verbindungsmittel sind für die Trennung wichtig. Dies beginnt also schon beim Design der Produkte.
  • Infrastruktur und Logistik: Meist müssen Materialien zwischengelagert werden, bis sie beim neuen Projekt zum Einsatz kommen. Dies erfordert die Verfügbarkeit von geeigneten Transportmitteln und Lagerflächen, die möglichst nahe an der Baustelle liegen sollten.
  • Wahrnehmung, Know-how und Akzeptanz: Der Gedanke der Kreislaufwirtschaft ist in vielen Unternehmen noch nicht verankert. Erst 10% der Schweizer Unternehmen sind heute substanziell aktiv in diesem Bereich. Grund dafür ist unter anderem ein Mangel an Sensibilisierung und Know-how. Oft wird auch das Potenzial der Kreislaufwirtschaft nicht erkannt (Stucki & Wörter, 01.12.2021, S. 37).
  • Wirtschaftliche Aspekte: Rechnen sich Projekte wirtschaftlich nicht, besteht selten Anreiz, diese umzusetzen. Die reinen Materialkosten beim Re-use sind zwar meist tiefer als bei der Neuproduktion, doch entstehen zusätzliche Kosten für die Planung, Demontage, Wiederaufbereitung, Lagerung und den Transport. Insbesondere der Arbeitsaufwand macht Projekte teuer.

Förderungen und Initiativen

Im Bausektor gibt es zahlreiche Entwicklungen und Initiativen zur Förderung der Wieder­verwendung. Einige Beispiele veranschaulichen dies:

  • Die Verordnung über die Vermeidung und Behandlung von Abfällen (VVEA) betont die Wiederverwendung von Materialien als Priorität in der Abfallbewirtschaftungshierarchie.
  • Um Abfall zu reduzieren und nachhaltige Praktiken in der Bauindustrie zu fördern, hat der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) die Norm SIA 430:2023 eingeführt. Das «Merkblatt Wiederverwendung von Bauteilen» (Angst M. et al, 2023) basiert auf der überarbeiteten Norm und bietet detaillierte Anleitungen für die Bauteilwiederverwendung.
  • Eine weitere wichtige Initiative in der Baubranche ist die digitale Plattform Madaster, die eine umfassende Dokumentation von Bauteilen einschliesslich Informationen zur Materialzu­sammensetzung und Herkunft ermöglicht.
  • Diverse Bildungseinrichtungen wie die Hochschule Luzern (HSLU), die ETH Zürich (ethzh.ch) und andere betreiben Studien, Fachveranstaltungen und Weiterbildungen rund um das Thema Kreislaufwirtschaft.
  • Durch die Unterzeichnung der «Charta kreislauforientiertes Bauen» von bedeutenden öffentlichen und privaten Bauauftraggebern wird das Bekenntnis der Branche zur Kreislaufwirtschaft verdeutlicht (BAFU, 2023).

Re-use Vorreiter-Projekte

Die folgenden Projekte zeigen auf praktische und inspirierende Weise, wie Bauteile wieder-verwendet werden können.

Neues Recyclingzentrum Juch-Areal (Stadt Zürich, 2023a)

Abbildung 3: Visualisierung des neuen Recyclingzentrums Juch-Areal.
Quelle: Stadt Zürich, Amt für Hochbauten (© Graber Pulver Architekten AG, Zürich)

Die Stadt Zürich errichtet bis 2026 ein neues Entsorgungs- und Recyclingzentrum in Altstetten. Dieses soll ein Symbol für Re-use und Recovery von Rohstoffen und (Bau-)Materialien sein. Es werden grösstenteils Bauteile aus der unmittelbaren Umgebung von Zürich verwendet. Die bestehende Hallenstruktur wird nahezu identisch am neuen Standort wieder aufgebaut. Beim Hallenboden und bei der Konstruktion des Betriebsgebäudes werden gebrauchte Stahlbeton­platten wiederverwendet. Weitere Re-use Materialien werden kreativ eingesetzt. Das Konzept ist zukunftsorientiert und berücksichtigt bereits den späteren Rückbau und Re-use. Es wird erwartet, dass die CO2-Emissionen im Vergleich zu einem Neubau um ca. 40% reduziert werden.

Umbau Kindergarten Mööslistrasse (Stadt Zürich, 2023b)

Abbildung 4: Umbau Kindergarten Mööslistrasse / Wiederverwendung Stahl- und Holzpergola.
Quelle: Stadt Zürich, Amt für Hochbauten (©Theodor Stalder, Zürich)

Die Stadt Zürich hat im stadteigenen Werkhof einen Wohnraum temporär zu einem Kindergarten umgebaut. Der Umbau ist für eine Nutzungsdauer von 15 Jahren vorgesehen. Besonderer Wert wurde auf den Re-use von Bauteilen gelegt. Diese stammten aus verschiedenen Quellen, darunter rückgebaute Gebäude und stadteigene Immobilien. Die verwendeten Bauteile wie Stahlträger, Küchen, Sanitärelemente und Brandschutztüren wurden sorgfältig geprüft und dokumentiert. Die Materialkosten konnten um bis zu 40% gesenkt werden. Der gewählte Re-use-Anteil führte zu einer Einsparung von mehr als 30% der Treibhausgasemissionen im Vergleich zur Verwendung neuer Bauteile. Insgesamt können die indirekten CO2-Emissionen um etwa 50% reduziert werden.

Gebrauchte Betonfertigteile aus Plattenbauten (DBU, 2009)

Abbildung 5: Re-use von Betonelementen aus Plattenbauten für neue Stadtvillen.
Quelle: Deutsche Bundesstiftung Umwelt DBU (© BTU Cottbus, DE)

Eine Forschungsstudie der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus, DE, zeigt, dass die Wiederverwendung gebrauchter Betonfertigteile aus dem Rückbau ostdeutscher Plattenbauten der 60-70er Jahre ökologische, ökonomische und soziale Vorteile mit sich bringt. Besonders geeignet sind tragende Innenwandelemente, Deckenplatten und Aussenwandplatten ohne Mineralwolle, aber auch Treppenläufe und -podeste sowie teerfreie Dachelemente. Umfangreiche baustoffliche und technische Tests haben bestätigt, dass die Altbetonelemente den Qualitätsanforderungen hinsichtlich Funktionsfähigkeit, Dauerhaftigkeit und Belastbarkeit entsprechen. Die Studie verdeutlicht, dass durch Re-use trotz fester geometrischer Vorgaben attraktive Lösungen und Einsparungen von ca. 30-40% der Rohbaukosten eines Neubaus möglich sind.

Ausblick

Re-use im Bausektor könnte sich auf lange Sicht als ein Game Changer erweisen, wenn es darum geht, die Umwelt zu schonen und die Ressourcen für die nächsten Generationen zu sichern. Die Bauindustrie hat mit diversen Praxisbeispielen bereits gezeigt, dass eine nachhaltige Transformation machbar ist. Die konventionellen Bauprozesse haben ausgedient.

Mit der digitalen Datenerfassung über Plattformen wie Madaster, der Ausarbeitung neuer Normen, gezielten Förderungen und einem transparenten Wissensaustausch entlang der gesamten Wertschöpfungskette wird eine solide Basis geschaffen, um Re-use von Anfang an in die Planungsphasen, Ausschreibungen und Verträge zu integrieren. Durch diese wegweisenden Schritte können nicht nur bestehende Hürden überwunden, sondern die Grundlage für eine innovative, ressourceneffiziente und zukunftsweisende Bauindustrie geschaffen werden.

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