Autor: Erik Nagel
Warum klammern wir uns immer noch an simple Stufenmodelle von Wandel, wenn die Welt doch deutlich komplexer ist? Wer das Entwicklungspotenzial aus Veränderungsprozessen voll entfalten möchte, orientiert sich nicht an starren Stufen eines Modells, sondern gestaltet den Wandel aktiv und gemeinsam mit den Mitgliedern einer Organisation.
Bei studentischen Seminararbeiten zu Wandel, bei Vorträgen über Veränderungsprozesse, bei betriebsinternen Veränderungsprojekten – die Wahrscheinlichkeit ist äusserst gross, dass das Stufenmodell von John Kotter herangezogen wird. Simpel wie einleuchtend beginnt es so: Zuerst analysierst du den Änderungsbedarf, dann formulierst du die Vision und anschliessend erzeugst du ein Gefühl der Dringlichkeit.
Kotter wurde zigfach kopiert und variiert. Aber die Logik bleibt immer dieselbe: Gehe davon aus, dass jede Veränderung genauso abläuft und wenn du so vorgehst, hast du sicherlich Erfolg. Der Harvard-Professor John Kotter hat sein Modell erstmals 1996 publiziert und 2012 nochmals – und zwar unverändert.
Das Stufenmodell ist nicht mehr «state of the art». Die Kritik daran ist – man könnte sagen – fast erdrückend: Schon früh wurde erkannt, dass es keine universell gültigen Regeln für das Management von Wandel geben kann. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Es ist davon auszugehen, dass Veränderungen in einem Start-up anders verlaufen als in einem Spital oder einem kleineren Familienbetrieb.
Nebst der Vernachlässigung des kulturellen Kontexts ist dem Modell anzukreiden, dass Mitarbeitende, die sich kritisch zur Veränderung äussern, aus dem Weg zu räumen sind. Problematisch ist aber auch, dass Manager zu manipulativem Handeln ermutigt werden, indem sie künstlich Krisen herbeireden sollen. Das Stufenmodell versteht Wandel im Prinzip als technokratische, hierarchische Durchsetzung der Entscheidungen von Managerinnen und Managern. Das ist nicht mehr zeitgemäss.
Doch wieso wird das Modell so gerne referenziert? Ganz einfach: Weil es so schön einfach klingt. Man kann sich als «Steuermann» verstehen und muss sich nicht mit der komplexen, teilweise chaotischen Dynamik und dem lästigen Widerstand in Veränderungsprozessen auseinandersetzen. Und das Ganze mit dem Segen von Kotter.
Wandel sollte völlig anders betrachtet werden: Im Kern geht es darum, Veränderungen mit und nicht gegen die Mitglieder einer Organisation zu gestalten, um kreative Ideen und kritische Bedenken für die Weiterentwicklung zu nutzen. Der Blick richtet sich dabei nicht auf Phasen, starre Pläne und Deadlines, sondern auf die folgenden vier Dimensionen:
Wenn Wandel in diesen vier Dimensionen verstanden wird, hat das Folgen: Verantwortliche sind auf sich selber gestellt. Sie können sich nicht mehr «an Stufen festhalten». Veränderung gestalten bedeutet, sich auf die Mitglieder der Organisation einzulassen. Wandel kann – und muss dann aber auch – effektiv gestaltet werden und stellt eine spannende, wenn auch herausfordernde, komplexe Führungsaufgabe dar.
Wer die vier Perspektiven angemessen berücksichtigt, kann das Lern- und Entwicklungspotenzial von Organisationen besser zur Entfaltung bringen, auch wenn es (selbstredend) keine Erfolgsgarantie dafür gibt. Allerdings hat es diese ungeachtet der Rhetorik einiger Autoren auch noch nie gegeben.
Kommentare
1 Kommentare
Heinz K. Stahl
Endlich ein vernüftiger Kommentar zu dem unsäglichen Modell von Kotter. Der gute Mann hat mit seiner dem heroischen Management verpflichteten Denkweise Heerscharen von Studenten in die Irre geführt und Praktiker verdorben. Dasselbe gilt für seine dämliche Dichotomie zwischen Managment und Leadership.
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.