In einem gestern gefällten Urteil kommt das Kantonsgericht Waadt zum Schluss, dass ein früherer Uber-Fahrer in einem Arbeitsverhältnis zum Fahrdienst stand. Damit hat sich erstmals eine Schweizer Rechtsmittelinstanz zur brisanten arbeitsrechtlichen Frage geäussert, ob die Fahrer als Angestellte oder Freelancer zu qualifizieren sind – ein zentraler Entscheid mit weitreichenden Folgen.
Die Debatte um die juristische Qualifikation der Uber-Fahrer ist fast so alt wie der Fahrdienst selber und war in den letzten Jahren schon in verschiedenen Ländern von Behörden und Gerichten zu beurteilen. Uber selber vertrat dabei stets vehement den Standpunkt, dass die Fahrer selbständigerwerbend seien. Und dies mit gutem Grund – denn ist Uber Arbeitgeber, hat dies weitreichende Konsequenzen: So wären dann die einschlägigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen etwa betreffend Lohn, Arbeits- und Ruhezeiten, bezahlte Ferien, Kündigungsfristen und Auslagenersatz (z.B. für Fahrzeug und Mobiltelefon) anwendbar. Schwerwiegend wären die Folgen insbesondere im Bereich der Sozialversicherungen: Während für Angestellte der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge entrichtet, bezahlen Freelancer diese selber. Müsste Uber alle Fahrer versichern und – in der Schweiz bis zu 5 Jahre zurück – Sozialversicherungsbeiträge (nach-)zahlen, wäre dies eine enorme finanzielle Belastung.
Ob ein Arbeitsverhältnis oder eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, bestimmt sich unter Schweizer Recht nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Entscheidend sind dabei Faktoren, welche die organisatorisch-betriebliche, wirtschaftliche und persönliche (Un-)Abhängigkeit charakterisieren: Kann die potentielle Arbeitnehmerin ihre Arbeit örtlich, zeitlich und organisatorisch unabhängig und flexibel gestalten oder ist sie in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden und hat strikte Weisungen zu befolgen? Wer stellt die Arbeitsmittel zur Verfügung? Trägt die Organisation oder der potentielle Angestellte das unternehmerische Risiko der Tätigkeit? Wie die andauernden Rechtsstreitigkeiten zeigen, lassen sich diese Fragen im Falle von Uber nicht ganz eindeutig zugunsten der einen oder der anderen Position beantworten: So können die Fahrer einerseits regelmässig tatsächlich sehr frei bestimmen, ob und wann sie welche Fahrten ausführen wollen, und tun dies mit ihrem eigenen Auto. Dabei haben sie aber andererseits sehr klare Vorgaben des Systems von Uber bezüglich der Preise und anderer Aspekte einzuhalten und sind nicht selten finanziell stark von der Plattform abhängig.
Während im Ausland bereits verschiedene – auch arbeitsgerichtliche – Entscheide gegen Uber ergangen sind (zum Beispiel zuletzt im August 2020 in Kalifornien), hatte sich der Fahrdienst hierzulande bisher vor allem mit der SUVA und Sozialversicherungsbehörden gestritten. So war es etwa Ende 2019 in Genf zum Eklat gekommen, als der Kanton ein Uber-Verbot erliess. Ein arbeitsrechtliches Urteil eines höheren Schweizer Gerichts stand bislang allerdings aus.
Dem Urteil des Kantonsgerichts Waadt vom 15. September 2020 ging ein Prozess vor dem Arbeitsgericht Lausanne voraus. Uber hatte im Dezember 2016, ohne diesen zu informieren, das Konto eines Fahrers deaktiviert, da Beschwerden gegen ihn vorlagen. Zuvor war der Fahrer während fast 2 Jahren mehr als 50 Stunden pro Woche für Uber tätig gewesen. In der Folge verlangte der Fahrer vor dem Arbeitsgericht mit Erfolg eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter fristloser Entlassung. Die Richter teilten insbesondere die Ansicht des Fahrers, dass ein Arbeitsverhältnis vorlag. Uber zog das erstinstanzliche Urteil ans Kantonsgericht weiter. Und dieses bestätigt nun die Auffassung der Vorinstanz vollumfänglich, indem es von einer betrieblichen Eingliederung und einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Fahrers ausgeht.
Ob Uber das Urteil vor Bundesgericht anficht, ist noch unklar. Seine Signalwirkung wird aber bereits jetzt deutlich. So fordern etwa Gewerkschaften gestützt darauf umgehend politische Massnahmen (vgl. den SRF-Beitrag vom 15. September 2020).
In jedem Fall führt das Urteil einmal mehr vor Augen, dass die Digitalisierung Geschäftsmodelle hervorbringt, deren rechtliche Erfassung nicht immer einfach ist. Uber als ein besonders erfolgreiches Aushängeschild der sogenannten Plattform-Ökonomie ist dabei ein bekanntes Beispiel von zahlreichen – Ebenfalls immer wieder zu reden gibt beispielsweise die Vermietungsplattform Airbnb (mehr dazu im WEKA-Artikel «Airbnb: Rechtliche Stolpersteine bei der Vermietung» vom 19. August 2019). Dass der Gesetzgeber beim Erlass der einschlägigen Bestimmungen weder im Vertrags- noch im Arbeits- oder Sozialversicherungsrecht an Uber, Airbnb und Co. gedacht hat, versteht sich von selbst und wirft die Frage nach einem Revisionsbedarf in den relevanten Rechtsgebieten auf.
Die neuen Geschäftsformen bergen sowohl Chancen als auch Risiken und zwar für die Plattformen selber wie auch für deren Nutzer und jene, die ihre Dienste über diese anbieten. Diese vielschichtigen Interessen der Beteiligten gilt es differenziert zu berücksichtigen, wenn diskutiert wird, inwiefern es neue gesetzliche Regelungen für diese Arten von Wirtschaftstätigkeit braucht und wie diese gestaltet werden sollen.
Das Kompetenzzentrum Management & Law befasst sich bereits seit geraumer Zeit in seiner Forschung mit den gesellschaftlichen, volkswirtschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen der flexiblen neuen Arbeitswelt: Spannende Einblicke bietet etwa die Studie “Flexible neue Arbeitswelt – Eine Bestandsaufnahme auf gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene”, die ein Forschungsteam unter Beteiligung des Kompetenzzentrums im Auftrag des schweizerischen Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung erstellt hat. Spezifisch mit den Phänomenen von «Gig Economy» und virtueller Schwarzarbeit befasst sich dieser Beitrag von Sheron Baumann auf diesem Blog.
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