Arbeiten trotz Krankheit – Was gilt arbeits- und versicherungsrechtlich?

Arbeiten trotz Krankheit – Was gilt arbeits- und versicherungsrechtlich?

Autor: Jeannette Küher-Kiser

Hochschule Luzern - W Dozentin
jeannette.kueher-kiser@hslu.ch

Mit dem kalten Wetter sind auch Erkältungen und Grippe zurück und die Krankmeldungen am Arbeitsplatz mehren sich wieder. Die grundlegenden arbeitsrechtlichen Regeln rund um Krankheit sind dabei den meisten Arbeitnehmern und Arbeitgeberinnen bekannt. Doch was passiert eigentlich, wenn ein Arbeitnehmer, der krankgeschrieben ist, trotzdem arbeitet? Der vorliegende Beitrag widmet sich den arbeits- und versicherungsrechtlichen Implikationen dieser Konstellation, die in der Praxis gar nicht so selten vorkommt.

Wer sich beruflich mit Arbeitsrecht beschäftigt, wird häufig mit praktischen Fragen konfrontiert. So kam kürzlich ein Kollege mit folgendem Sachverhalt auf mich zu: Ein Arbeitnehmender ist mit einem Arbeitszeugnis offiziell krankgeschrieben. Während der Krankschreibung nimmt er an einer Konferenz teil, fällt die Treppe runter und bricht sich dabei einen Arm. Ist der Arbeitnehmer für ein solches Ereignis berufsunfallversichert?

Anhand dieses Beispielfalls lassen sich die verschiedenen Fragen und Problemkreise, die sich stellen, wenn krankgeschriebene Arbeitnehmer trotzdem arbeiten, sehr gut aufzeigen.

Darf ein Arbeitnehmender, der krankgeschrieben ist, überhaupt arbeiten?

Ja, denn es gibt keine gesetzliche Regelung, die das Arbeiten trotz Krankmeldung verbietet. Arbeiten trotz Krankschreibung ist somit erlaubt.

Grundsätzlich gilt jedoch zu beachten, dass der Arbeitnehmende trotz Krankschreibung nur arbeiten darf, wenn die Tätigkeit die Genesung nicht beeinträchtigt. Arbeitet ein Büroangestellter mit Grippe in einem Grossraumbüro, wird er sowohl sich selbst, seiner Arbeitgeberin wie auch seinen Kolleginnen und Kollegen keinen grossen Dienst erweisen. Das gleiche gilt für einen Maurer auf der Baustelle, der soeben seine Hüfte operiert hat. Ein Grafikdesigner jedoch kann unter Umständen nach einer gewissen Zeit auch mit zwei gebrochenen Füssen eine Homepage entwerfen und ein Buchhalter kann möglicherweise nach einer gewissen Zeit auch trotz gebrochenem Finger an der linken Hand Zahlungseingänge überprüfen. Ob ein Arbeitnehmer trotz Krankschreibung arbeiten soll oder kann, hängt somit sowohl von der Art und Intensität der Krankheit wie auch von der Tätigkeit selbst ab.

Ein Arbeitnehmer, der trotz Krankschreibung die Arbeitstätigkeit wieder aufnimmt, sollte dies jedoch seiner Arbeitgeberin auf jeden Fall im Voraus mitteilen. Arbeitet nämlich der Arbeitnehmer entgegen dem Arztzeugnis und führt diese Arbeitstätigkeit zu einem Unfall oder zu einer Beeinträchtigung der Genesung, kann sich das unter Umständen auf die Taggeldleistung auswirken, wenn die Unfallversicherung zum Schluss kommt, der Arbeitnehmer sei daran selbst schuld.

Zwingt hingegen eine Arbeitgeberin den Arbeitnehmer, trotz Krankschreibung zu arbeiten, verletzt er je nach Umständen seine Fürsorgepflicht.

Wie verhält es sich im vorliegenden Beispiel eigentlich mit dem Arztzeugnis?

Der Beweis für eine Arbeitsverhinderung aufgrund eines Unfalls (oder einer Krankheit) obliegt grundsätzlich dem Arbeitnehmer und wird meistens durch ein Arztzeugnis erbracht. Das Arztzeugnis ist jedoch weder im Arbeitsgesetz (oder in den Verordnungen dazu) noch im Obligationenrecht (OR) erwähnt oder gar geregelt. Das Arztzeugnis bedarf deswegen auch keiner bestimmten Form. Aus Beweisgründen werden jedoch Arbeitszeugnisse in der Praxis immer schriftlich ausgestellt. In den Arbeitsverträgen wird oft geregelt, dass ein Arztzeugnis beigebracht werden muss, falls die Verhinderung an der Arbeitstätigkeit mehr als zwei oder drei Arbeitstage dauert. Die Arbeitgeberin kann vom Arbeitnehmer im Übrigen auch nachträglich ein Arztzeugnis verlangen.

Übrigens – Das Ausstellen eines falschen ärztlichen Zeugnisses wird gemäss Art. 318 Ziff. 1 Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Wichtig ist auf jeden Fall, dass aus dem Arztzeugnis genau ersichtlich ist, von wann bis wann und ganz konkret für welche Tätigkeiten der Arbeitnehmer krankgeschrieben ist. Der Arzt bescheinigt die Arbeitsunfähigkeit aus seiner medizinischen Erfahrung mit Blick auf die Diagnose und die berufliche Tätigkeit. Es ist gut möglich, dass der Heilverlauf in Realität kürzer oder länger dauert. Durch eine vorzeitige Aufnahme der Arbeit entsteht der Arbeitgeberin kein Nachteil. Um dem Risiko einer allfälligen Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorzubeugen, ist es jedoch von Vorteil, den Entscheidung einer vorzeitigen Aufnahme der Arbeitstätigkeit vorher mit dem behandelnden Arzt zu besprechen.

Was ist rechtlich gesehen überhaupt «ein Unfall»?

Ein Unfall ist per rechtlicher Definition eine plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen und psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat (Art. 4 Bundesgesetz über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrecht, ATSG).

Plötzlich ist die Einwirkung, wenn sie rasch und einmalig, d.h. in Sekunden oder Minuten erfolgt (z.B. durch einen Schlag oder Sturz). Wer sich absichtlich (d.h. mit Wissen und Willen) einen Gesundheitsschaden zufügt (z.B. Finger brechen, um nicht arbeiten zu müssen), erleidet keinen Unfall. Zudem muss ein Ereignis (z.B. mechanisch oder elektrisch) ausserhalb des Körpers auf diesen einwirken und der Faktor muss ungewöhnlich sein (z.B. Zeckenbiss, unkoordinierte Körperbewegung, Erfrierung, Hitzschlag oder Sonnenbrand, Druck auf Wirbelsäule, Nussschale im Nussbrot – nicht aber Stein in Kirschenwähe! (BGE 112 V 205) – Einspritzung falscher Kontrastmittel, Miterleben eines Lawinenunglücks oder Überfahren einer Person, die sich vor den Zug wirft etc.).  Und: dieser äussere, ungewöhnliche Faktor muss für den Schaden kausal sein, d.h. einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden bewirken. Fehlt einer dieser Aspekte, wird das Ereignis nicht als Unfall, sondern als Krankheit eingestuft.

Auch Körperschädigungen wie Knochenbrüche, Gelenkverrenkungen, Meniskus, Trommelfellverletzung, Muskelriss und -zerrung, Sehnenriss etc. im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (UVG) gelten als Unfall und fallen unter das Gesetz.

Und was ist im Übrigen ein Berufsunfall (BU) bzw. Nichtberufsunfall (NBU)?

Das UVG unterscheidet zwischen Berufs- (BU) und Nichtberufsunfällen (NBU), obwohl grundsätzlich beide Kategorien von Unfällen gedeckt sind (Art. 6 Abs. 1 UVG).

Gemäss Art. 7 Abs. 1 UVG gelten als Berufsunfälle Unfälle, die dem Versicherten bei Arbeiten zustossen, die er auf Anordnung der Arbeitgeberin oder in deren Interesse ausführt. Dabei kann die Anordnung der Arbeitgeberin konkret oder generell, während oder ausserhalb der Arbeitszeit, auf oder ausserhalb der Arbeitsstätte und vor oder während des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen worden sein (BGE 118 V 179 f.). Weiter fallen unter BU auch Unfälle, die dem Versicherten während der Arbeitspausen zustossen sowie vor und nach der Arbeit, wenn er sich befugterweise auf der Arbeitsstätte oder im Bereich der mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängenden Gefahren aufhält.

Gemäss Art. 12 Abs. 1 der Verordnung über die Unfallversicherung (UVV) zählen auch Unfälle zu den BU, die sich ereignet haben:

  • auf Geschäfts- und Dienstreisen nach Verlassen der Wohnung und bis zur Rückkehr in diese, ausser wenn sich der Unfall während der Freizeit ereignet;
  • bei Betriebsausflügen, die der Arbeitgeber organisiert oder finanziert;
  • beim Besuch von Schulen und Kursen, die nach Gesetz oder Vertrag vorgesehen oder vom Arbeitgeber gestattet sind, ausser wenn sich der Unfall während der Freizeit ereignet;
  • bei Transporten mit betriebseigenen Fahrzeugen auf dem Arbeitsweg, die der Arbeitgeber organisiert und finanziert.

Demgegenüber sind Nichtberufsunfälle (NBU) alle Unfälle, die nicht zu den Berufsunfällen zählen und somit Unfälle, die in der Freizeit geschehen (Sportunfälle, Verkehrsunfälle und Unfälle im Haushalt; vgl. Art. 12 Abs. 1 UVV).

Dabei ist noch zu erwähnen, dass für Teilzeitmitarbeitende, deren wöchentliche Arbeitszeit für eine Arbeitgeberin weniger als acht Stunden beträgt, Unfälle auf dem direkten Arbeitsweg als BU gelten; diese teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer sind somit gegen NBU nicht versichert (Art. 13 UVV). Ihr Unfallrisiko muss deshalb in die Krankenversicherung eingeschlossen werden; ausserdem besteht die Möglichkeit, eine freiwillige Taggeldversicherung und eventuell eine Invaliditätsrisikoversicherung abzuschliessen.

…Zurück zum Ausgangsfall

Ein Arbeitnehmender, der mit einem Arbeitszeugnis offiziell krankgeschrieben ist und während dieser Krankschreibung an einer Konferenz teilnimmt, dort die Treppe runterfällt und sich dabei einen Arm bricht, ist nach dem Gesagten für diesen Vorfall berufsunfallversichert.

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