Die Zukunft der Musikpädagogik
Bei den meisten Musiklehrpersonen schleichen sich mit der Zeit Rezepte und Routinen in ihren Unterricht ein. Wie kann mehr Innovation für diesen entstehen? Esther Weiss und Andrea Kumpe wollen das Musiklernen neu denken.
Text von Lara Liechti
«Eine halbe Stunde Unterricht, zuerst lange Töne aushalten, dann spielen wir eine Tonleiter und anschliessend alles zusammen… das gehört bereits der Vergangenheit an», sagt Esther Weiss, Musikschulleiterin an der Musikschule Hergiswil sowie Musikpädagogin, und fährt fort: «Das stets gleiche Rezept hervorholen ist einfach. Immer wieder stösst dies jedoch an Grenzen». Zusammen mit Andrea Kumpe, ebenfalls Musikpädagogin und Leiterin Weiterbildung der Hochschule Luzern, konzipierte sie das Modul «Musiklernen neu gedacht», in dem Lehrpersonen im Rahmen einer CAS neue Ansätze für ihren Unterricht entwickeln sollen. Dabei geht es nicht nur darum, alternative Wege zu finden. «Wenn die Form neu ist, aber der Inhalt alt, ist das nicht die Idee. Es geht darum, ein Mindset zu finden, welches Veränderungsprozesse und Innovation in den Alltag zu integrieren möglich macht. Eben: Musiklernen neu zu denken», betonen die beiden. Damit sprechen sie ein Bedürfnis an, das sich in der Pädagogik immer mehr zum Trend entwickelt: Unterricht wird kompetenzorientierter, die Gesellschaft digitaler, der Wunsch nach Community grösser. Wo bleibt da die Musikschule? «Die agile Pädagogik hat sich breit etabliert. Wir müssen da in der Musik unbedingt mitgehen», so Kumpe. «Wir wollen Lernen und Lehren mit allen Facetten und Varianten ermöglichen. Und es gibt schon so unfassbar viele, die es aber auch kennenzulernen und weiterzuentwickeln gilt.»
Innovationstraining für Musiklehrpersonen
Musiklernen neu denken – wie soll das gehen? «Das wichtigste Ziel des Kurses ist es, das Mindset der Lehrperson bereitzumachen. Offenheit zu schaffen: Was ist Innovation? Was ist Veränderung?», betont Kumpe. Beim Planen der Aus- und Weiterbildungskurse legen die beiden Dozentinnen den Fokus auf die Arbeit an der Einstellung. Diese soll mittels Praxis nachhaltig verändert werden: «Jeder Innovationsprozess ist durch eine positive Fehlerkultur geprägt. Wir kommen nur weiter, wenn wir ausprobieren. Immer wieder einen Schritt raus aus den Gewohnheiten machen, wieder darüber reflektieren und wieder ausprobieren», erklärt Weiss. Die Module sollen als Inspiration dienen und konkrete Impulse setzen. Verschiedene Innovationsmethoden werden fächerübergreifend kennengelernt. Ein Teil wird sein, neue Unterrichtsgefässe zu entwickeln. Studierende können ihre Konzepte in Kooperationen mit Musikschulen in die Praxis umsetzen. Diesen Praxistransfer sehen die Dozentinnen als bedeutenden Schritt nach der Erstphase: Die Projekte werden in einem sicheren Rahmen getestet. Die Arbeit bleibt aber stets nahe an der individuellen Lehrperson: «Es geht darum, eigene Ressourcen neu zu entdecken und schonend mit ihnen umzugehen, um dann auch Energie zu haben, alternative Ansätze auszuprobieren», sagt Kumpe. Hinterfragt wird auch das Konzept «Einzelunterricht». Eine Community muss her und alle Rahmenbedingungen können offener werden: «Für manche Schülerinnen und Schüler ist es ein Geschenk, eine halbe Stunde Einzelunterricht zu haben. Vielleicht wird es aber noch zu einem grösseren Geschenk, wenn ein sozialer Rahmen hinzukommt, der in die Musik einfliessen und diese im gemeinsamen Musizieren oder auch gemeinsamen Üben positiv beeinflussen kann», stellt Kumpe fest. Unterricht kann so mit der besten Freundin, mit dem Bruder oder mit Nachbarskindern stattfinden. «Wieso sollte immer nur ein Kind in einem Zimmer üben?», fragt Esther Weiss daran anschliessend.
Wieso sollte immer nur ein Kind in einem Zimmer üben?
Esther Weiss, Dozentin Musikpädagogik
Eigeninitiative ist gefragt
Es geht also darum, die eigenen Gewohnheiten und Denkweisen zu hinterfragen und neue Herangehensweisen zu finden. «Dabei darf es aber nicht bei der Innovation bleiben» so Kumpe. «Es gibt den Schlüsselmoment, in dem Lehrpersonen selbst aktiv werden und Innovation in der Praxis gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schüler erleben müssen.» Die Unterrichtenden sind für den Veränderungsprozess essenziell. Gerade am Anfang brauche es jeweils Initiativen, die von Einzelpersonen ausgehen, und die haben es oft schwer. Geduld für den Prozess ist deshalb erforderlich, denn auch die Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern müssen sich auf Veränderung einlassen können. Wichtig ist, möglichst nah bei den Leuten zu bleiben. «Bei uns an der Musikschule gibt es zum Beispiel betreutes Üben als Mittagsangebot. Das ist für alle Schülerinnen und Schüler kostenlos», so Weiss und fährt fort: «Viele Kinder sind an Tagesschulen oder werden mittags betreut, weil die Eltern berufstätig sind. Musiklernen neu denken heisst auch, Bedürfnisse zu erkennen und Lösungen für diese zu finden.» An der Musikschule Hergiswil wird in Kooperation mit der Volksschule der sogenannte «Integrierte Musikunterricht» in allen Klassen durchgeführt: Der Musikunterricht findet hier altersdurchmischt statt. Viele Musikschulen führen Zeitfenster ein, in denen die Schülerinnen und Schüler freien Zugang zur Musikschule haben. Lehrpersonen, die sich auf diesen Prozess einlassen wollen, rät sie, immer wieder innezuhalten: «Eine Offenheit für Austausch und Reflexion zu haben. Eine Offenheit, nicht nur Bewährtes abzurufen, sondern auch neues Unbekanntes auszuprobieren und die Neugierde an der Beziehung beim Unterrichten zu behalten. Was braucht mein Gegenüber, was braucht der Mensch, damit lernen möglich wird?» Andrea Kumpe ergänzt: «Veränderung ist kein Selbstläufer. Veränderung ist auch anstrengend. Es kann helfen, neue Ideen erst einmal bei einigen wenigen Schülerinnen und Schüler auszuprobieren.» Die Idee ist, weg von vorgefertigten Rezepten zu kommen. Esther Weiss konstatiert: «Wir alle haben das Bedürfnis nach Lernen und Verbundenheit. Es geht also um die Begegnung in gemeinsamen Lernräumen, die wir über die Beziehung erschaffen können. Sichere Lernräume, welche den Fokus auf die Zukunft richten und in denen die Verbundenheit tragend ist für das Erforschen, Ausprobieren und Erweitern der eigenen Fähigkeiten.»
Beitrag teilen: |
Beitrag teilen: |
Kommentar verfassen
Dein Kommentar wurde gesendet, er wird nach der Überprüfung veröffentlicht.