Viel Zeit zum Nachdenken – keine Zeit zum Lamentieren
Covid-19 hält die Schweizer Kulturszene weiterhin auf Standby – auch am Departement Musik der Hochschule Luzern. Für einen Teil der Studierenden und Dozierenden steht der Alltag wortwörtlich still: Tourneen wurden gestrichen, Schulprojekte mussten verschoben werden und Proben sind verboten. Der andere Teil wiederum ertrinkt förmlich in Arbeit, strotzt vor Kreativität, sucht Lösungen für neu aufgetretene
Covid-19 hält die Schweizer Kulturszene weiterhin auf Standby – auch am Departement Musik der Hochschule Luzern. Für einen Teil der Studierenden und Dozierenden steht der Alltag wortwörtlich still: Tourneen wurden gestrichen, Schulprojekte mussten verschoben werden und Proben sind verboten. Der andere Teil wiederum ertrinkt förmlich in Arbeit, strotzt vor Kreativität, sucht Lösungen für neu aufgetretene Probleme und plant voller Tatendrang die Zukunft. Wir haben mit beiden Seiten geredet und präsentieren den Corona-Befindlichkeits-Check!
«Der Anfang der Covid-19-Massnahmen war für mich, als hätte jemand die Pausentaste gedrückt in meinem Leben», sagt Melia Inglin und repräsentiert damit, was Mitte März durch die Massnahmen des Bundes zur neuen Realität wurde. Auf einen Schlag wurden alltägliche Gewohnheiten gekappt, so dass die Welt für Studierenden und Dozierenden der Hochschule Luzern auf dem Kopf stand. Dabei war eine Akklimatisierung unmöglich. «Durch all die Programm-Absagen wurde aus einer sehr stressigen Zeit von einem Tag auf den anderen eine sehr ruhige – und diese Ruhe tat trotz der surrealen Umstände gut», beschreibt Lara Liechti, klassische Gesangsstudentin, den Einstieg in die Massnahmen zur Pandemieeinschränkung. Trotzdem trauere sie einigen abgesagten Herzensprojekten nach und empfinde die Unsicherheit in der Luft als nahezu unerträglich. Auch Melia Inglin empfindet diese Ungewissheit als schwierig: «Dieser Stillstand ist mittlerweile für meine mentale Gesundheit nicht mehr förderlich», sagt sie und bezieht sich damit auf die Angst nach dem Corona-Lockdown. «Je länger die Pause dauert, desto grösser wird bei mir die Sorge um den Moment, in dem wieder auf Play gedrückt wird. Ich weiss nicht, ob ich den stressigen Alltag vor Covid-19 einfach so wieder packen kann; das beschäftigt mich.» Vielen Studierenden stellen sich in dieser Phase der erzwungenen Entschleunigung zudem weitere fundamentale Fragen.
Bestärkte Aussagekraft und frischer Antrieb
Jasmin Lötscher, Jazz-Posaunistin und Gesangsstudentin, hat in den ersten Wochen des Lockdowns ein 180 Grad-Wendung durchgemacht. Wochenlang fehlte ihr die Motivation, sich künstlerisch auszudrücken und zu üben. Die Situation spitzte sich immer mehr zu, bis sich ein Loch auftat, in dem sich Fragen und Zweifel eröffneten: «Warum mache ich, was ich mache?» oder «Ich habe keine Aussage als Künstlerin!» Phrasen, die in ihrem zuvor dichten Alltag keinen Platz fanden und mit denen sich jeder Künstler und jede Künstlerin im Leben mal befasst. «Darauf Antworten zu finden, hat jedoch neue, unentdeckte Energien und extrem viel Inspiration geborgen, was meinen Gemütszustand radikal verbesserte», zieht Lötscher nun eine erste Zwischenbilanz und fährt fort: «Rückblickend bin ich der Corona-Krise in diesem Aspekt sogar fast dankbar, weil ich durch sie als Musikerin Bestätigung, eine bestärkte Aussagekraft und frischen Antrieb gefunden habe.» Ein gesundes Grundvertrauen und Zuflucht in der Natur halfen ihr weiter, Klarheit zu schaffen. Auch Hannah Wirnsperger, Studentin Klassik in Querflöte, erlebte die ersten Wochen der Massnahmen ähnnlich. Bei ihr folgte auf den abrupten Schnitt im Alltag ebenfalls ein Motivationsloch, gerade in Bezug auf das Instrument. Inzwischen hat sie aber sogar einen Wandel in ihrem Spiel gefunden: «Meine Haltung zum Flötenspiel wurde wieder viel intrinsischer. Ich konzentriere mich mehr darauf, was ich persönlich spielen möchte und wie ich mich ausdrücken will.» Ihre Gedanken und Skizzen hält sie in einem Corona-Logbuch fest, in dem alles ungefiltert notiert wird. Wie Lötscher findet sie Kraft in der Natur, transkribierte sogar mal den Gesang einer Amsel, die jeden Tag im Garten ihres Elternhauses in Liechtenstein singt. Dass sie es in diesem Kontext überhaupt noch über die inzwischen geschlossene Grenze geschafft hat, ist für sie eine grosse Erleichterung und alles andere als selbstverständlich.
Grenzgänge, kurze Tage und fehlende Reize
Letzteren Punkt bekam auch Jazz-Saxofonstudent Felix Nussbaumer zu spüren: «Als ich im Februar von meiner Familie im Südtirol wieder zurück in die Schweiz gereist bin, war bereits unklar, ob ich problemlos über die österreichische Grenze kommen würde. Als meine Partnerin Anfang März für die Aufnahmeprüfung an die Hochschule Luzern kam, musste sie sich bereits ausführlich mit der italienischen Grenzpolizei auseinandersetzen, um die Notwendigkeit ihrer Reise klar zu machen.»
«Ich hatte das Gefühl, dass ich mich künstlerisch kaum fortbewege, obwohl ich eigentlich konstant und zielgerichtet gearbeitet habe.» Felix Nussbaumer
Abgesehen davon ist Zeit eine Herausforderung: Nussbaumer beschreibt die Tage im Home-Office in seiner Luzerner Wohnung als sehr kurz. Da jeder Tag und jede Woche der anderen gleicht, renne die Zeit nur so: «Ich hatte das Gefühl, dass ich mich künstlerisch kaum fortbewege, obwohl ich eigentlich konstant und zielgerichtet gearbeitet habe. Das Kunstschaffen an sich wurde mühsamer, da mir die ästhetischen Reize und Begierden ausgingen.»
Meret Siebenhaar, Klavier-Studentin Jazz, vermisst wiederum das Feedback von aussen, welches ihr Antrieb gibt, weiterkommen zu wollen. Zugleich sehnt sie sich wie fast alle Studierenden und Dozierenden nach dem gemeinsamen Musizieren, Proben und Konzertieren. Darin auftauchende Elemente wie Spontaneität, Freiheit im Alltag und zwischenmenschliche Kontakte ohne den Computer fehlen ihr: «Die kleinen Probleme des Alltags, welche sonst während Gesprächen in Pausen gelöst werden könnten, akkumulieren sich momentan. Man trifft sich kaum wegen jeder Kleinigkeit mit Freundinnen und Freunden per Zoom.» Patrick Buzo hingegen chattet mit seinen Freunden täglich per Video. Der Jazz-Schlagzeugstudent ist analog vieler Mit-Studierenden für kurze Zeit wieder bei den Eltern eingezogen, da er bis vor Kurzem die Schule sein Zuhause nannte und nach deren Schliessung keinen Proberaum in Luzern fand. Das Zusammenleben auf engstem Raum sei nicht sehr einfach, dafür schöpfe er aber neuen Schaffensdrang für andere Projekte aus der jetzigen Situation: So hat der Drummer, der unter anderem auch als Blogger und Vlogger aktiv ist, einen Podcast gestartet.
Keine Zeit zum Leiden
Patrick Buzos erster Gast auf dem eigenen Podcast war Jazz-Schlagzeugdozent Marc Halbheer, der während der Corona-Krise mit seiner Frau in ihrer 55-Quadratmeter-Grossstadtwohnung in Madrid ausharrt. Diese hat Halbheer in den letzten sieben Wochen genau zweimal für Einkäufe verlassen, da in Spanien eine komplette Ausgangssperre verhängt wurde. Nun arbeitet er gerade 12- bis 13-Stunden-Schichten, da er um die 90 Studierenden in diversen Kursen der Hochschule betreut. Hinzu kommen noch die Aufnahmeprüfungen, bei welchen er in der Jury sitzt. «Das Online-Teaching war zwar aufwändig – es in so kurzer Zeit in den Griff zu bekommen, erwies sich aber zugleich als äusserst lehrreich», streicht Halbheer hervor. Zum Lamentieren fehlt allgemein die Zeit, trotzdem schmerzen Halbheer die abgesagten Konzerte sehr. Den Kopf steckt er jedoch nicht in den Sand: Musiziert wird nun halt auf anderen Wegen, beispielsweise via Videoaufnahmen. Auch Erik Borgir, Cellist, Studienkoordinator und Dozent, sowie Urban Mäder, Improvisator und Dozent, nutzen die gewonnene Zeit: Zukünftige Projekte, das Üben am Instrument und Kompositionsarbeiten gehören dazu, aber auch der Austausch mit der Familie. Beide suchen zudem den Ausgleich im Garten sowie bei Spaziergängen in der Natur und haben eher an Entspannung in ihrem Alltag gewonnen. Doch selbst dort treten Fragen auf. Der Grund, wie sich die Corona-Debatte derart panisch über den ganzen Planeten ausbreiten konnte, beschäftigen gerade Mäder auf seiner allmorgendlichen Wanderung sehr. Die Situation an der Hochschule Luzern – Musik beschreibt der Stadtluzerner Kunst- und Kulturpreisträger hingegen wie folgt: «Mein letztes Semester vor der Pensionierung hat eine ganz eigene Note…»
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