Devianz, Gewalt und Opferschutz,
Am 29. und 30. April 2025 fand an der Hochschule Luzern der Sexual Harassment Awareness Day statt. Im Fokus standen Aufklärung, Sensibilisierung und die Stärkung eines respektvollen Miteinanders. Agota Lavoyer, Expertin für Opferberatung und Autorin des Buches «Jede_ Frau», macht deutlich, wie tief sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft verankert ist und was es braucht, um eine geschlechtergerechte und gewaltfreie Kultur zu etablieren.
1. In Ihrem Buch «Jede_ Frau» machen Sie die Rape Culture dafür verantwortlich, dass sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft verharmlost wird und es Männern erlaubt, gegenüber Frauen übergriffig zu sein. Was verstehen Sie genau unter Rape Culture?
Rape Culture bezeichnet eine Kultur, in der die Wertvorstellungen und erlernten Verhaltensweisen dazu führen, dass sexualisierte Gewalt ignoriert, verharmlost oder sogar toleriert wird. Übergriffe werden als Teil eines «natürlichen» männlichen Verhaltens normalisiert. Diese Kultur zeigt sich in der Stigmatisierung und Abwertung von Betroffenen sexualisierter Gewalt und der gleichzeitigen Entlastung der Täter.
Aufrechterhalten, genährt und reproduziert wird die Rape Culture durch Vorurteile zu Geschlecht und Sexualität, sowie durch das Herunterspielen der Gewalt durch Witze und verharmlosende Darstellungen in Filmen, Literatur, Kunst oder Musik – und nicht zuletzt durch Sexismus und Frauenfeindlichkeit. So entsteht ein gesellschaftliches Umfeld, in dem Übergriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung als normal und folgenlos wahrgenommen werden.
Sexualisierte Gewalt liegt vor, wenn eine Person gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen wird – sei es, dass sie diese über sich ergehen lassen, selbst ausführen oder damit konfrontiert wird. Sie kann mit körperlicher Gewalt einhergehen, aber auch ohne direkten Körperkontakt und auf subtile Weise stattfinden – etwa durch unangenehme Blicke, zweideutige Kommentare, ungewollte Komplimente, wiederholtes Nachfragen zu privaten oder körperlichen Themen oder unangemessene Nachrichten.
Sexualisierte Gewalt kann in jedem Lebensbereich und durch jede Person ausgeübt werden – unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Hintergrund. Die Täter:innen sind häufig dem Opfer bekannt, aber auch Fremde können sexualisierte Gewalt ausüben.
Wichtig:
Mehr Infos dazu auf der Webseite von Sexuelle Gesundheit Schweiz.
2. Was muss getan werden, um eine geschlechtergerechte Kultur in allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft zu etablieren?
Sexualisierte Gewalt ist ein strukturelles Problem – und braucht deshalb auch strukturelle Lösungen. Sie ist nicht nur das Vergehen einzelner Männer, sondern das einer von Männern dominierten Gesellschaft. Eine gewaltfreie Gesellschaft ist ohne echte Gleichberechtigung nicht möglich. Und umgekehrt: Solange geschlechtsspezifische Gewalt existiert, bleibt Gleichberechtigung ein unerreichtes Ziel.
Wir müssen gesellschaftliche Machtverhältnisse verändern und gewaltfördernde Vorstellungen von Männlichkeit hinterfragen und abbauen. Männer, die sich nicht aktiv gegen Rape Culture engagieren, nehmen sie stillschweigend in Kauf – und profitieren oft von ihren Strukturen. Für cis-heterosexuelle Männer bedeutet ein echtes Engagement, die eigene Komfortzone zu verlassen: sich mit den Lebensrealitäten von Frauen und queeren Menschen auseinanderzusetzen – und Verantwortung zu übernehmen, auch wenn man selbst (vermeintlich) nicht betroffen ist.
3. Welchen Beitrag können wir als Hochschule leisten, um eine Kultur zu schaffen, in der sexualisierte Übergriffe keinen Platz mehr haben?
Gemäss neuesten Zahlen vom Dezember 2024 hat jede zweite Frau schon mal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren. Die Hochschule muss sich also fragen: Tun wir genug, um sexualisierte Gewalt zu verhindern? Denn die Formel ist einfach: In einer gesunden Betriebskultur können Belästiger nicht walten, in einer toxischen schon. Dabei besteht eine toxische Kultur nicht nur aus den Einzelnen, die übergriffig werden, sondern aus einem kollektiven Schweigen: Wer wegsieht, mitlacht oder nicht eingreift, trägt zur Aufrechterhaltung dieser Kultur bei.
Eine Hochschule muss deshalb ihre eigene Betriebskultur kritisch hinterfragen:
Engagement der Hochschule Luzern gegen sexuelle Belästigung
Die Hochschule Luzern setzt sich aktiv für einen respektvollen und sicheren Umgang miteinander ein und duldet keinerlei Form von sexueller Belästigung. Wenn du sexuelle Belästigung erlebst oder beobachtest – oder dir unsicher bist, wie ein Verhalten einzuordnen ist – wende dich an die Vertrauenspersonen am Campus Luzern. Das Angebot ist vertraulich, kostenlos und steht allen offen.
Mit dem Sexual Harassment Awareness Day sensibilisiert die Hochschule Luzern Studierende und Mitarbeitende für das Thema und informiert über Unterstützungsangebote. Zudem legt der Code of Conduct verbindliche Werte und Regeln für das Zusammenleben an der Hochschule fest.
Am Departement Soziale Arbeit fanden im Rahmen des Aktionstags vier Mittagsveranstaltungen statt, die zur Reflexion anregen und Wissen vermitteln sollten.
Ausserdem erklärt Irene Müller, ehemalige Vertrauensperson der HSLU, woran man sexuelle Belästigung erkennt – und welche konkreten Schritte du dagegen unternehmen kannst: Sexuelle Belästigung – was tun?
Von: Roger Ettlin
Veröffentlicht: 6. Mai 2025
Agota Lavoyer verfügt über langjähriger Erfahrung in der Begleitung von Opfern sexualisierter Gewalt. Als frühere Opferhilfeberaterin hat sie hunderte Betroffene und deren Angehörige unterstützt sowie Fachpersonen beraten. Heute engagiert sie sich als selbständige Dozentin und Publizistin für Prävention und einen gesellschaftspolitischen Wandel im Umgang mit sexualisierter Gewalt. 2022 veröffentlichte sie ihr erstes Kinderfachbuch «Ist das okay?» zur Stärkung von Kindern und zur Vorbeugung sexualisierter Gewalt.
CAS Psychosoziale Beratung zu Sexualität und sexueller Gesundheit
Das CAS-Programm vermittelt praxisnahe Beratungskompetenzen im Bereich Sexualität und sexuelle Gesundheit. Es qualifiziert Fachpersonen, Klient:innen in belastenden oder herausfordernden Situationen professionell zu begleiten und unterstützt einen reflektierten Umgang mit Themen wie Sexualität, Partnerschaft und Gesundheit im Beratungskontext.
CAS-Start: 5. März 2026
Mehr Infos: Webseite CAS
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