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Sexuelle Belästigung – was tun?

Sexuelle Belästigung – was tun?

Am 23. März 2023 fand der nationale Sexual Harassment Awareness Day statt, an dem auf sexuelle Belästigung im Hochschulumfeld aufmerksam gemacht wird. Im Rahmen dieses Aktionstages sprach die Redaktion mit Irene Müller. Sie war lange Zeit eine der vier Vertrauenspersonen am Campus Luzern. An diese kann man sich wenden, wenn man an der HSLU von sexueller Belästigung betroffen ist.

Irene Müller, wie erkenne ich sexuelle Belästigung?

Wo Menschen zusammen studieren und arbeiten, kommt es zu Begegnungen, die von Worten, Blicken und Gesten bis hin zu kollegialen Berührungen, Flirts oder erotischen Signalen begleitet werden können. Das macht ein Teil der Lebendigkeit der Begegnungen aus. Wichtig sind dabei die persönlichen Grenzen jeder Person. Es kann z. B. sein, dass beim Flirten ein Punkt erreicht wird, ab dem es nicht mehr gegenseitig ist. Wenn ich dann eine Grenze deklariere und diese eingehalten und respektiert wird, dann ist es ok. Wenn die Grenze vom Gegenüber aber nicht eingehalten wird, dann ist es nicht mehr in Ordnung. Dann ist es eine Grenzverletzung und das ist eine sexuelle Belästigung. Im Gegensatz zum Flirten ist sexuelle Belästigung nicht (mehr) gegenseitig und somit unerwünscht von der betroffenen Person. Sexuelle Belästigung ist verboten und jede Person hat eine grosse Verantwortung, selbst nicht übergriffig zu werden.

Was ist, wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich belästigt wurde? Vielleicht will ich nicht zu viel hineininterpretieren oder jemanden zu Unrecht beschuldigen.

Sobald man sich unsicher ist, dann ist es schon ein Zeichen dafür, dass man sich Hilfe holen und z. B. ein Gespräch mit einer Vertrauensperson vereinbaren kann. Die Gespräche sind absolut vertraulich und unterliegen der Schweigepflicht. Bei uns geht es darum, die Bedürfnisse unserer Gesprächspartner:innen abzuholen und nicht, jemanden zu beschuldigen oder etwas zu werten.

Wie läuft ein Gespräch mit einer Vertrauensperson ab?

Das ist sehr individuell. Wenn wir kontaktiert werden, versuchen wir so schnell wie möglich Termine anzubieten. Wir gehen immer davon aus, dass es dringend ist, dass es jemanden sehr beschäftigt. Wir sind vier Vertrauenspersonen am Campus Luzern, das heisst, dass man frei wählen kann, zu wem man gehen möchte. Die Termine finden wenn möglich vor Ort statt, manchmal aber auch per Telefon oder per Zoom, je nach dem, was der betroffenen Person am besten passt.

Dann geht es erstmal darum zu erzählen, was vorgefallen ist. Vielleicht ist man sich nicht sicher, ob man von sexueller Belästigung betroffen war, oder man weiss es schon ganz genau. Anschliessend versuchen wir das zusammen einzuordnen und schauen, was es für Möglichkeiten gibt. Es gibt Menschen, die wollen einfach erzählen und dann passt das für sie. Es gibt auch Personen, die möchten ihr Gegenüber gerne mit ihrem Verhalten konfrontieren. Weil sie zum Beispiel keine klaren Grenzen setzen konnten, weil das Verhalten unerwartet kam. Dann schauen wir, wie sie in Zukunft Grenzen setzen und wen sie vielleicht mit einbeziehen können, um sie zu unterstützen. Manchmal besprechen wir auch, welche weitere Hilfe möglich ist. Das kann zum Beispiel eine Opferberatung oder eine psychologische Beratungsstelle sein. Wir schauen also, was die Bedürfnisse der Person sind und wie wir sie am besten unterstützen können.

Es gibt auch die Möglichkeit auf ein hochschulinternes rechtliches Verfahren. Bis jetzt kam das selten vor, aber die Möglichkeit gibt es. Da kommt es auch auf den Schweregrad der Belästigung an aber vor allem darauf, welche Massnahmen man ergreifen möchte. Wichtig ist, dass kein rechtliches Verfahren ins Rollen kommt, wenn die betroffene Person das nicht möchte.

Wie weit wird denn eine betroffene Person von den Vertrauenspersonen betreut?

Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal gibt es nur ein einmaliges Gespräch, es kann aber auch bis zu drei oder vier Gespräche geben, wenn das benötigt wird. Wir bieten ausschliesslich Beratungsgespräche an. Wenn wir merken, dass jemand sehr traumatisiert ist und vielleicht eine Therapie angebracht wäre, dann können wir beispielsweise Kontakte zur psychologischen Campusberatungsstelle, einer Traumatherapie oder zur Opferhilfe herstellen.

Und was ist, wenn ich nicht sicher bin, ob ich selbst übergriffig geworden bin?

Dann kann man genauso zu uns in eine Beratung kommen. Wir schauen das zusammen an und besprechen, was jemand braucht. Geht es darum, das eigene Verhalten einordnen zu können oder mit dem Gegenüber nochmal ein Gespräch zu suchen und abzuklären, ob es eine Grenzverletzung gegeben hat? Geht es darum, sich zu entschuldigen oder das eigene Verhalten durch Unterstützung einer Täter:innenberatung zu verändern? Das Vorgehen ist grundsätzlich das Gleiche. Wir besprechen die Bedürfnisse der Person, die bei uns im Beratungsgespräch ist. Es ist super, wenn Leute kommen, die sich unsicher sind und das besprechen möchten.

Und wenn jemanden ein Verhalten belastet, das diese Person beobachtet hat, dann kann man auch kommen. Wir besprechen, was man in dieser Situation braucht und was die Handlungsmöglichkeiten sind. Das Gespräch ist vertraulich und wir werden nie jemanden dazu drängen, aktiv zu werden, wenn man das nicht möchte. Wir schauen in erster Linie, wie wir unterstützen können und jede Person entscheidet selbst, was sie will und was nicht.

Was können Organisationen und Unternehmen gegen sexuelle Belästigung tun? Oder müssen sie sogar etwas tun?

Ja, sie müssen etwas gegen sexuelle Belästigung tun. Im Arbeitsgesetz steht ganz klar, dass Arbeitgebende für die Gesundheit der Mitarbeitenden sorgen müssen. Und im Obligationenrecht (OR) ist festgeschrieben, dass sexuelle Belästigung verboten ist. Arbeitgebende müssen jegliche Massnahmen treffen, die sie können, damit sexuelle Belästigung nicht vorkommt. Und wenn es zu sexueller Belästigung kommt, müssen sie dafür sorgen, dass der «Schaden» behoben wird. Da gibt es eine gesetzliche Verpflichtung.

Im Alltag können Hochschulen und Arbeitgebende mehr Sensibilisierungsarbeit leisten. Es ist wichtig, dass man weiss, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt. Dass man weiss, dass sexuelle Belästigung passiert, auch bei uns. Es passiert überall, wo Menschen zusammen sind. Deshalb ist die Sensibilisierung sehr wichtig. Wenn Organisationen und Unternehmen aktiv Informationen zu sexueller Belästigung bereitstellen, dann wird das Thema enttabuisiert. Das ist eine grosse Qualität von Hochschulen, die einen proaktiven Weg gehen und offen informieren.

Zum Abschluss: Was würden Sie sich wünschen, dass die Leute wüssten?

Dass sexuelle Belästigung nicht erlaubt ist, von niemandem und in keiner Situation. Es ist nicht etwas, das man in Kauf nehmen muss, egal von wem. Und dass das Gespräch bei uns vertraulich ist und nichts ins Rollen kommt, was man nicht selbst möchte.

Irene Müller HSLU

Irene Müller

Irene Müller ist Dozentin und Projektleiterin an der Hochschule Luzern ­– Soziale Arbeit. Die Sozialarbeiterin und Sozialwissenschaftlerin ist unter anderem Fachfrau für lösungs- und kompetenzorientierte Beratung und war lange Zeit Vertrauensperson gegen sexuelle Belästigung am Campus Luzern

Schutz vor sexueller Belästigung

Die Hochschule Luzern duldet keine Form von Belästigung und fördert einen respektvollen Umgang untereinander. Wenden Sie sich an die Vertrauenspersonen am Campus Luzern, falls Sie von sexueller Belästigung betroffen sind oder solches Verhalten beobachten. Die Fachpersonen können Ihnen helfen und Sie in Ihren Schritten unterstützen und begleiten. Das Angebot ist allen zugänglich, vertraulich und kostenlos.

Von: Martina Mach
Bild: universities-against-harassment.ch
Veröffentlicht: 23. März 2023

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