Nicht alle Menschen in der Schweiz haben gleich gute Chancen, Sozialhilfe zu erhalten – je nachdem, in welchem Kanton sie leben. Eine Studie der Berner Fachhochschule und der Hochschule Luzern zeigt: Die kantonalen Sozialhilfegesetze unterscheiden sich stark darin, ob sie den Zugang zur Sozialhilfe erleichtern oder erschweren.
Alle 26 Kantone bieten wirtschaftliche Sozialhilfe an, doch die gesetzlichen Hürden dafür sind unterschiedlich hoch. Manche Kantone regeln den Zugang klar und benutzerfreundlich, andere erschweren ihn durch komplexe Vorschriften oder einschränkende Bestimmungen. Für Pascal Coullery, Co-Projektleiter, ergibt diese Vielfalt keinen Sinn, wenn es um existenzsichernde Leistungen geht: «Soziale Rechte sollten nicht vom Wohnort abhängen.»
Laut Melanie Studer, Co-Projektleiterin, können die Angst vor Stigmatisierung oder rechtliche Hürden dazu führen, dass Menschen in Not keine Hilfe beantragen – mit negativen Folgen für die Betroffenen und für die Gesellschaft. Armut kann sich verfestigen und langfristig zu höheren öffentlichen Kosten führen.
«Wenn die Eltern aufgrund der finanziellen Einschränkungen ein geringeres soziales Netz haben, kann dies beispielsweise dazu führen, dass ihre Kinder Mühe haben, in der Nähe eine Lehrstelle zu finden. Dies läuft ja noch immer häufig über Beziehungen. So kann Armut vererbt und verfestigt werden.» (Pascal Coullery, BFH)
Im Rahmen des SNF-Projekts «Recht und Wirklichkeit in der Sozialhilfe» analysierten die Forschenden die Gesetzeslage in allen Kantonen anhand von zehn Indikatoren. Dabei wurde geprüft:
Im veröffentlichten Fachartikel zeigen die Forschenden die Unterschiede der verschiedenen kantonalen Gesetzgebungen auf.
Es zeigt sich zum Beispiel, dass ein klarer, mobilisierungsfreundlicher Gesetzestext eine wichtige sozialstaatliche Wirkung hat: Er senkt die Hemmschwellen, sich Hilfe zu holen, und kann dazu beitragen, dass mehr Menschen die Unterstützung erhalten, die ihnen zusteht.
«Die Unterschiede sind so gross, dass man Massnahmen zu einer verstärkten Harmonisierung in Betracht ziehen sollte.» (Pascal Coullery, BFH)
Besonders auffällig: Nur fünf Kantone – Appenzell Ausserrhoden, Bern, Genf, Glarus und Jura – schneiden sowohl bei den strukturellen Rahmenbedingungen als auch bei den individuellen Rechten und Pflichten gut ab. Vor allem auf struktureller Ebene bestehen grosse Differenzen, auch weil es kaum nationale Vorgaben gibt. Bei den individuellen Rechten sind die Unterschiede kleiner, doch das Niveau insgesamt niedrig – nicht zuletzt, weil viele Kantone von den Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) abweichen.
«Aus juristischer Sicht stellt sich die Frage, inwiefern diese grossen Unterschiede verfassungsrechtlich vertretbar sind.» (Melanie Studer, HSLU)
Eine Interaktive Grafik der BFH zeigt den Vergleich der kantonalen Sozialhilfe-Gesetze
Die Studie ist noch nicht abgeschlossen. Derzeit befragen die Forschenden Betroffene in ausgewählten Kantonen, um besser zu verstehen, warum Menschen trotz Anspruch keine Hilfe beantragen. Melanie Studer betont, dass das Ziel der Forschung darin liege, konkrete Empfehlungen zu erarbeiten, wie die Sozialhilfe so gestaltet werden könne, dass sie tatsächlich bei den Menschen ankomme, die sie benötigen.
Denise Sidler Kopp führte ein ausführliches Interview mit Melanie Studer und Pascal Coullery zum Thema: Zugang zur Sozialhilfe: Überraschend grosse kantonale Unterschiede
Von: Roger Ettlin
Bilder: Berner Fachhochschule
Veröffentlicht: 14. Mai 2025
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