Soziokultur

Rassismus und Olympia: Ein reflektierter Blick auf die Spiele in Paris 2024

Rassismus und Olympia: Ein reflektierter Blick auf die Spiele in Paris 2024

Die Olympischen Spiele stehen seit jeher als ein Symbol für Freundschaft, Vielfalt und sportlichen Wettkampf. Doch diese Ideale wurden in der Vergangenheit verschiedentlich von Rassismus und Diskriminierung überschattet. Die Olympiade 2024 in Paris wollte zeigen, dass es möglich ist, eine Brücke zwischen diesen Werten und der kritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu schlagen – aber hat sie das?

Ein kulturell vielfältiger Auftakt

Die Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele 2024 in Paris war ein aussergewöhnliches Spektakel, das kulturelle Vielfalt und Inklusion zelebrierte. Die Schwarze Rapperin mit der Militärkapelle! Die Opernarie vor einem Palast, hinter der Sängerin in Dutzenden Fenstern enthauptete Marie-Antoinettes! Das Tableau auf einer Brücke mit einer queeren Modenschau, das manche an Leonardo da Vincis «Abendmahl» erinnerte – an Jesus’ Platz auf dem Bild sitzt hier eine blaue Madonna am Mischpult! Denkmäler für weibliche Denkerinnen! (Bilder von SRF zur Eröffnungsfeier)

In einer Zeit, in der globale Bewegungen gegen Rassismus und Diskriminierung immer lauter werden, gleichzeitig jedoch viele Errungenschaften der Gleichberechtigung in Frage gestellt werden oder sogar rückgängig gemacht werden, tat es gut zu sehen, wie die Organisator:innen diese Themen in den Mittelpunkt der Eröffnungszeremonie stellten. Zudem nahmen erstmals gleich viele Athletinnen wie Athleten teil, was der Hashtag GenderEqualOlympics als historische Leistung preist. Die Würdigung der Vielfalt Frankreichs setzte ein Zeichen für die Kraft der Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Diese Zeremonie war nicht nur ein Fest des Sports, sondern auch ein Fest des Menschseins – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Religion.

Im Dialog mit der Geschichte

Es hat mich positiv überrascht, dass die Olympiade 2024 die problematische Vergangenheit der modernen Spiele offen ansprach. Pierre de Coubertin, der Gründer der modernen Olympischen Spiele, war bekannt für seine rassistischen Ansichten und seine Überzeugung, dass die Spiele die Überlegenheit der «weissen Rasse» demonstrieren sollten – das war sein Anknüpfungspunkt dafür, die Idee der Olympiade der Antike wiederzubeleben. Dieser Aspekt der olympischen Geschichte wurde in Paris nicht verheimlicht. Vielmehr erweiterte eine kritische Einordnung von Coubertins Vision und deren problematischen Aspekte das Programm und ermöglichte Reflexion und Integration.

Dieser bewusste Umgang mit der Vergangenheit war ein wichtiger Schritt nach vorne. Es wurde deutlich gemacht, dass die Spiele, so wie sie heute existieren, nicht die gleichen Werte verkörpern wollen wie zu Coubertins Zeiten. Die Olympiade 2024 steht nicht nur für die Weiterführung der ursprünglichen Idee, sondern auch für die Erkenntnis, dass eine Transformation notwendig ist. Die vielfältigen Bezüge zur Geschichte Frankreichs, die Vermittlung von ganz unterschiedlichen Kunstformen, der kritisch-reflektierte Blick und nicht zuletzt der Humor und das Leichte, Spielerische der Eröffnungsfeier von Olympia 24 hinterliess den Eindruck einer selbstbewussten, kultivierten, offenen und reflektierten Gastgebernation.  

Eine neue Ära der Olympischen Spiele

Indem sie sich der rassistischen Vergangenheit von Olympia stellten, beanspruchten die Olympischen Spiele 2024 in Paris die Markierung einer neuen Ära für sich. Sie zeigten, dass es möglich ist, die Tradition der Olympischen Spiele fortzuführen, ohne die Augen vor deren problematischer Geschichte zu verschliessen. Indem sie Rassismus thematisierten und gleichzeitig ein Fest der kulturellen Vielfalt boten, waren die Spiele Botschaft dafür, dass Sport und Kultur Hand in Hand gehen können, um eine bessere und gerechtere Welt zu schaffen.

Allerdings: ein paar Misstöne gab es dann doch. Obwohl Sportverbände wie die FIFA und auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) klare Regeln haben, welche Diskriminierung verbieten – und die Religionsfreiheit schützen – durften französische muslimische Athletinnen keinen Hijab tragen. Begründung: in Frankreich seien religiöse Symbole im Sport verboten. Amnesty International protestierte, es gab Petitionen, allein, sie nützten nichts. Das finde ich bedenklich – denn es zeigt: nicht jede Form und jeder Ausdruck von Vielfalt ist erwünscht und akzeptiert.

Unverständlich in diesem Kontext waren die vereinzelten, aber von den TV-Kameras unmissverständlichen christlichen Botschaften einiger Athlet:innen. Da wurden Rückseiten von Startnummern in die Kamera gehalten, auf denen stand «Jesus is Lord», oder in Gebärdensprache «Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben» kommuniziert. Evangelikale Medien wie das 1956 von Billy Graham gegründete «Christianity Today» oder «Reach FM» aus Florida applaudieren dem «Mut» dieser Äusserungen. Was wäre passiert, wenn eine Athletin oder ein Athlet «Allah ist gross» auf die Startnummer geschrieben hätte?

Fazit

Die Olympischen Spiele in Paris 2024 waren ein Erfolg, weil sie nicht nur sportlich, sondern auch kulturell und gesellschaftlich wichtige Akzente setzten. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und das Feiern der Vielfalt haben die Spiele gezeigt, dass sie bereit sind, sich den Herausforderungen der modernen Welt zu stellen. Wenn die Olympischen Spiele Wandel, Fortschritt sowie Diversität und Inklusion symbolisieren wollen, sollte auf diesem Weg auch Gleiches gleich behandelt werden. Etwa die Religionsfreiheit von allen Teilnehmer:innen gleichermassen respektiert werden.

Von: Simone Gretler Heusser
Bild: Glen Carrie auf Unsplash
Veröffentlicht: 15. Oktober 2024

Simone Gretler Heusser

Prof. Simone Gretler Heusser

Die Dozentin und Projektleiterin ist Verantwortliche des Kompetenzzentrums Zivilgesellschaft und Teilhabe und
bis 2023 Co-Leiterin des Interdisziplinären Themenclusters Digitale Transformation der Arbeitswelt an der Hochschule Luzern. Ihre Schwerpunkte sind Partizipation, demographischer Wandel und soziale Ungleichheit.

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