Behinderung und Lebensqualität,

Forschung

Der lange Weg zur vollen gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Der lange Weg zur vollen gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

Die UN-Behindertenrechtskonvention legt den Grundstein für eine inklusive Behindertenpolitik. Menschen mit einer Behinderung sind jedoch weiterhin in vielen Bereichen benachteiligt. Die Forscherin Elisa Fiala präsentierte an der Konferenz des «Nordic Network of Disability Research» ihre Ergebnisse zu den Veränderungen im Bereich Wohnen für Menschen mit Behinderungen im Schweizer Kontext.

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) bildet die Grundlage für den Wechsel von einer Fürsorgepolitik zu einer Behindertenpolitik, die die gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen fördert. Konkret fordert sie die Vertragsstaaten auf, Behinderung als Teil menschlicher Vielfalt anzuerkennen und Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zu allen Menschenrechten zu gewähren.

Die Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention

Durch die Behindertenrechtsbewegungen in den 1960-er Jahren in Grossbritannien und Nordamerika wurde der Situation von Menschen mit Behinderungen langsam auf öffentlicher Bühne Beachtung geschenkt. Mit dem Slogan «Nichts über uns ohne uns» wurde die Forderung laut, Menschen mit Behinderungen aktiv in Entscheidungen über ihr Leben einzubeziehen. Durch die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft, einschliesslich NGOs, Menschen mit Behinderungen und ihren Unterstützer:innen, entstand über einen mehrjährigen Prozess hinweg die aktuelle Behindertenrechtskonvention.  Im Jahr 2006 trat sie auf internationaler Ebene in Kraft.

Die Konvention überträgt die Umsetzung der bestehenden Menschenrechte auf die Situation von Menschen mit Behinderungen und enthält keine Sonderrechte, wie oft angenommen wird. Sie wurde innerhalb kürzester Zeit von vielen Staaten unterzeichnet, einschliesslich der Schweiz im Jahr 2014. Durch die Ratifizierung verpflichten sich die Vertragsstaaten, die internationalen Vorschriften auf nationaler Ebene umzusetzen.

Weiterhin viele Hürden für Menschen mit Behinderung

Trotz der Unterzeichnung sind Menschen mit Behinderungen in der Schweiz immer noch in vielen Lebensbereichen benachteiligt. Sie haben beispielsweise keinen Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen und sie werden aufgrund ihrer Behinderung stigmatisiert und in vielen Lebensbereichen diskriminiert.

Dies wurde einmal mehr deutlich im Überprüfungsverfahren, das alle Vertragsstaaten regelmässig durchlaufen. Im Rahmen des sogenannten Monitoring Cycles wird überprüft, ob die Vertragsstaaten die Forderungen der UN-BRK auf nationaler Ebene umsetzen. Wie im Schlussbericht dargestellt, sind Menschen mit Behinderungen in der Schweiz noch immer in vielen Lebensbereichen benachteiligt und deshalb in ihren Menschenrechten verletzt.

Erste Entwicklungen in der Schweizer Behindertenpolitik

Die aktuellen Entwicklungen in der Schweizer Behindertenpolitik zeigen, dass trotz dieser anhaltenden Menschenrechtsverletzungen einiges im Wandel ist. Zum Beispiel werden im Bereich Wohnen die Angebote zunehmend durch die Institutionen und neue Leistungsanbietende ausdifferenziert. So gibt es zwischenzeitlich in vielen Institutionen neben dem klassischen Wohnen in einer Wohngruppe auch individuelle Wohnplätze, in denen die Selbstständigkeit gefördert wird. Des Weiteren Entstehen neue ambulante Hilfen, die Menschen mit Behinderungen in der eigenen Wohnung unterstützen. Diese Entwicklungen variieren regional zwar stark, werden jedoch überall durch die UN-BRK beeinflusst. Menschen mit Behinderungen fordern vermehrt auch selbst eine aktive Beteiligung und eine konsequente Umsetzung der UN-BRK. Die Behindertenrechtskonvention dient als gemeinsamer Referenzrahmen trotz der regionalen und im Schweizer Kontext auch sprachlichen Unterschiede.

Vielversprechende internationale Tagung

Wie beeinflusst die UN-BRK die aktuellen Veränderungen im Bereich Wohnen? Und inwiefern verleiht sie Menschen mit Behinderungen eine Stimme? Elisa Fiala von der Hochschule Luzern präsentierte an der internationalen Tagung des «Nordic Network of Disability Research» in Reykjavik hierzu ihre Forschungsergebnisse.

WC an der Tagung des «Nordic Network of Disability Research» in Reykjavik
WC an der Tagung des «Nordic Network of Disability Research» in Reykjavik

Die Konferenz bot auch Gelegenheit, einen Blick in andere Länder zu werfen. In Sachen gleichberechtigte soziale Teilhabe wird Schweden oft als Vorzeigeland gesehen. Viele Menschen mit Behinderungen leben dort bereits seit vielen Jahren selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden und erhalten die notwendige Assistenz – ganz im Sinne von Artikel 19 der UN-BRK. Dennoch zeigt sich, dass die soziale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auch in Schweden keine Selbstverständlichkeit ist und aktuelle Sparmassnahmen die gleichberechtigte soziale Teilhabe gefährden.

Der Weg zu einer vollen gesellschaftlichen Teilhabe erfordert Ausdauer und Durchhaltevermögen. Die UN-BRK bietet Menschen mit Behinderungen in der Schweiz und weltweit eine gemeinsame Grundlage, welche fortlaufend präzisiert und konkretisiert wird. Es gilt daher im Sinne von «Think globally – act locally» das internationale Menschenrechtssystem auf nationaler und regionaler Ebene umzusetzen und Menschen mit Behinderungen in ihrem Kampf, um eine gleichberechtigte soziale Teilhabe zu unterstützen.

Von: Elisa Fiala
Veröffentlicht am: 21. August 2023
Bild: Adobe Stock

Elisa Fiala HSLU

Dr. Elisa Fiala

Elisa Fiala arbeitet seit 2021 als Senior-Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogik und Bildung. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie die Partizipation von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft und in der Forschung. Ab Herbst 2023 wird sie ihre Tätigkeit als Dozentin und Projektleiterin aufnehmen. Vor ihrer Anstellung an der HSLU war Elisa Fiala in verschiedenen Bereichen der Behindertenhilfe in der Schweiz, Deutschland und Australien tätig. Neben ihrer praktischen Arbeit hat sie in Portugal im Bereich der Behindertenrechte und Arbeitsintegration promoviert.

Save the Date: Am 14. November 2024 findet die UN-BRK Tagung an der Hochschule Luzern statt.

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