Devianz, Gewalt und Opferschutz,
Sozialmanagement und Sozialpolitik,
Zahlen und Fakten können aufklären, sie können erschrecken, und sie können uns dazu auffordern, etwas zu verändern. Ein Forschungsbericht der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit zur Gesundheit von LBGT-Personen bewirkt genau das. Der Bundesrat will nun mehr für die Betroffenen tun. Wichtig – denn vielen geht es oft überhaupt nicht gut.
«Selbst wenn man das Thema kennt, sich der Ausmasse bewusst ist, ist man jedesmal aufs Neue erschrocken, die Zahlen zu sehen», sagt Paula Krüger. Die Dozentin und Projektleiterin an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit ist Co-Autorin des Forschungsberichts zur Gesundheit von LGBT-Personen, der im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) erstellt wurde. Ein Bericht, der zu wichtigen Beschlüssen im Bundesrat führte.
Die Wahrscheinlichkeit für Suizidversuche ist bei LGBT-Personen viermal höher als bei der übrigen Schweizer Bevölkerung.
Auslöser für den Auftrag des Bundesrats an die Hochschule war ein Postulat von Nationalrätin Samira Marti vom 7. März 2019. Darin wurde der Bundesrat beauftragt, «einen Bericht über die Gesundheit von lesbischen, schwulen und bisexuellen Personen zu erstellen». Das BAG ging in seinem Auftrag darüber hinaus und beauftragte die Hochschule, in die Studie auch trans Personen einzubeziehen.
Der daraufhin erstellte Bericht zeigt deutlich, dass lesbische, schwule, bisexuelle oder trans Personen in der Schweiz gesundheitlich in verschiedenen Bereichen benachteiligt sind. Vor allem die psychische und sexuelle Gesundheit leidet stärker, es kommt vermehrt zu Depressionen und Substanzkonsum. LGBT-Personen berichten zudem häufiger von Suizidgedanken oder davon, sogar einen Suizidversuch unternommen zu haben. «Es besteht ein grosser und dringender Handlungsbedarf», sagt Krüger.
68 Prozent von rund 2000 Befragten haben Diskriminierung oder Gewalt erfahren.
So zeigt sich in den Befunden, dass die Wahrscheinlichkeit für Suizidversuche gegenüber der übrigen Schweizer Bevölkerung ganze viermal höher ist. Dabei sind trans und non-binäre Personen besonders betroffen. Das gilt auch für Depressionen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen, die 68 Prozent der 2’064 befragten LGBT-Personen mindestens einmal in ihrem Leben gemacht haben. Auch in der Gesundheitsversorgung werden solche Erfahrungen gemacht und können dann zum Verzicht auf Gesundheitsleistungen führen.
Die Zahlen sind erschreckend. Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Paula Krüger, Dozentin und Projektleiterin
Gewalt ist gesundheitsrelevant
«Man weiss aus Studien aus anderen Ländern, dass LGBT-Personen deutlich stärker von Depressionen und Suizidversuchen betroffen sind. Von daher waren die Befunde zu erwarten», sagt Krüger. «Doch wenn man die hohen Zahlen dann schwarz auf weiss hat – gerade bei den Suizidversuchen – sind sie doch erschreckend.» Gemeinsam mit Co-Projektleiter Andreas Pfister und einem Team arbeitete Krüger etwas mehr als ein Jahr an der Studie.
In dem darauf erschienen Bericht erkennt der Bund das Problem an und sieht verschiedene Massnahmen vor. So sollen LGBT-Personen in bestehenden nationalen Strategien und Programmen, wie beispielsweise zur Suizidprävention, stärker berücksichtigt werden. Hierbei sollen auch Diskriminierung und Gewalt als gesundheitsrelevante Themen mitgedacht werden. Der Bund will zudem prüfen, wie die Datenlage zur Gesundheit von LGBT-Personen verbessert werden kann. Bisher sind beispielsweise trans und non-binäre Personen – eine der am stärksten belasteten Gruppen – darin überhaupt nicht erfasst.
Wo ein Wille ist
Es ist nicht selbstverständlich, dass derartige Forschungsberichte zu konkreten Massnahmen auf Ebene des Bundes führen, weiss Paula Krüger: «Es ist immer eine Frage der Zuständigkeit und der Kompetenzen: Liegen die beim Bund oder doch bei den Kantonen?» Die Anerkennung der Befunde durch den Bund und der Wille, LGBT-Personen bei nationalen Strategien und Programmen explizit mitzuberücksichtigen, sei daher mehr als erfreulich, sagt die Forscherin.
Wichtig ist, dass eine Zusammenarbeit und eine Unterstützung von LGBT-Organisationen und von deren Angeboten mitgedacht werden. Angebote, die oft von engagierten Privatpersonen über die letzten Jahrzehnte aufgebaut wurden. «Das Stärken dieser Organisationen ist ausserordentlich wichtig, da diese sehr viel Expertise und Netzwerke mitbringen, aber oft mit viel ehrenamtlichem Engagement und unterdotiert funktionieren», betont Paula Krüger.
Zuletzt weist sie darauf hin, dass der breiten Bevölkerung die starken gesundheitlichen Ungleichheiten vermutlich kaum bewusst sind. Vielleicht sogar nicht, wie sehr die immer noch kursierenden Stereotype und Klischees über LGBT-Personen zu Diskriminierung und Gewalt führen. Umso wichtiger, dass über die fatalen Folgen der Stereotype aufgeklärt wird. Denn, dass Stereotype grundsätzlich veränderbar sind, auch wenn es viel Zeit braucht, hat sich etwa bei der Abstimmung zur «Ehe für alle» gezeigt.
Von: Jana Avanzini
Veröffentlicht: am 26. April 2023
Bild: Getty Images
Informationen zur Studie
Alles Wissenswerte zur Studie «Vergleichender Bericht zur Gesundheit von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans Personen» im Detail findet sich hier.
Paula Krüger ist Dozentin und Projektleiterin an Institut für Sozialarbeit und Recht. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt u. a. das Thema «Gewalt und Diskriminierung über die Lebensspanne».
Prof. Dr. Andreas Pfister war von 2014 bis 2022 Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Heute ist der Co-Autor der Studie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften tätig.
Kommentare
0 Kommentare
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.