Behinderung und Lebensqualität,
Wie zufrieden Menschen mit Beeinträchtigung mit ihrer Wohnsituation? Wieviel Selbstbestimmung wird ihnen dabei zuteil? Diesen wichtigen Fragen ist die Hochschule Luzern nachgegangen.
Derzeit befindet sich das Behindertenwesen in der Schweiz im Wandel. Mehr Selbstbestimmung und Bedarfsorientierung soll möglich sein, ganz im Sinne der UNO-Behindertenrechtskonvention, der die Schweiz 2014 beigetreten ist. Ein zentrales Ziel der Konvention ist Selbstbestimmung beim Wohnen, denn das trägt essenziell zur Lebensqualität bei. Wie weit ist man hierzulande diesbezüglich?
Die Situation im Kanton Luzern in dieser Hinsicht wurde vor Kurzem von der Hochschule Luzern (HSLU) untersucht. Zusammen mit der kantonalen Dienststelle für Soziales und Gesundheit (DISG) und verschiedenen Behinderteneinrichtungen und Fachorganisationen befragte die HSLU rund 800 Personen mit einer Beeinträchtigung. Dabei waren alle Altersgruppen beteiligt, auch diverse Schülerinnen und Schüler.
Damit schliesst die Studie eine Lücke. Denn bisher gab es kaum Untersuchungen, die die Wohnbedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigung abbildeten, und noch weniger solche, in denen die Zielgruppen selbst zu ihren Bedürfnissen befragt wurden. Gerade Letzteres war den Verantwortlichen aber ein wichtiges Anliegen. Denn, so Experte und Studienleiter René Stalder: «Menschen mit Beeinträchtigung sind Fachpersonen in eigener Sache. Daher können sie diese Fragen auch selbst am besten beantworten.» In den Gesprächen seien so viele wichtige Inputs zusammengekommen.
«Selbstbestimmung im Alltag ist ein wichtiger Faktor, damit die Betroffenen mit ihrer Lebenssituation zufrieden sind.»
René Stalder
Betroffene mehrheitlich zufrieden, aber…
Dabei zeigte sich: Ein Grossteil der Befragten fühlt sich grundsätzlich wohl, egal ob sie in einem Wohnheim leben, wie rund 40 Prozent der befragten Erwachsenen, zusammen mit der Familie oder allein. Dennoch gibt es aber in gewissen Bereichen Handlungsbedarf. Denn, auch wenn viele betroffene Menschen über eine längere Zeit in derselben Wohnform leben, heisst das nicht unbedingt, dass sie uneingeschränkt zufrieden sind. Es kann einfach auch bedeuten, dass sie keine Alternativen haben oder diese nicht kennen.
Somit empfehlen die Autorinnen und Autoren zum einen mehr Informations- und Beratungsangebote rund ums Wohnen für die Betroffenen. Zum anderen müsse sich aber auch der Wohnungsmarkt den Bedürfnissen anpassen. René Stalder: «Es braucht mehr barrierefreie, bezahlbare Wohnungen.»
Von den befragten Erwachsenen wohnen rund 40 Prozent in einem Wohnheim. Weitere 15 Prozent leben mit ihren Eltern oder anderen Verwandten, 10 Prozent entweder mit der eigenen Familie bzw. dem/r Lebenspartner/in oder weitere 10 Prozent in einer WG. Rund ein Viertel aller Befragten lebt allein in einer Wohnung und wird im Alltag unterstützt.
Mehr Autonomie und bedarfsgerechte Settings
Des Weiteren wird deutlich: Vor allem junge Menschen wollen in Zukunft autonomer wohnen. Aber auch Erwachsene, die in stationären Wohnformen leben, haben den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung. Für viele der Befragten ist es einfach entscheidend, dass sie selbst wählen können, wie sie wohnen möchten. So, wie es ihnen laut Gesetz auch zusteht.
Die Herausforderung wird daher sein, das Angebot an durchlässigeren Angeboten und bedarfsgerechten Dienstleistungen zu erweitern. Das gilt für alle Settings, stationäre und ambulante. Dafür sind neue strukturelle und finanzielle Rahmenbedingungen erforderlich. Die Studie, an der viele praxisnahe Organisationen und Fachkräfte mitgewirkt haben, könnte dafür hilfreiche Anreize schaffen.
Prof. Dr. René Stalder war von 2015 bis 2022 Stv. Leiter des Instituts für Sozialpädagogik und Bildung und dort verantwortlich für das Kompetenzzentrum Behinderung und Lebensqualität. 2022 übernahm der promovierte Sonderpädagoge die Leitung des Instituts für Sozialmanagement, Sozialpolitik und Prävention.
Von: Anette Eldevik
Veröffentlicht am: 17. Februar 2023
Bild: Getty Images
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