Studierende und Dozierende des Masterstudiengangs Soziale Arbeit haben sich in einer Blockwoche intensiv mit rassismuskritischen Perspektiven und praktischen Ansätzen beschäftigt. Ein gelungenes Beispiel für die praktische Umsetzung solcher Ansätze ist der Transformationsprozess des Dachverbands für offene Arbeit mit Kindern in Bern.
In den letzten Jahren hat das Bewusstsein für Rassismus und dessen strukturelle Verankerung in unserer Gesellschaft weltweit deutlich zugenommen. Rassismus als Macht- und Herrschaftsverhältnis durchdringt alle Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Entsprechend wächst in der Hochschullehre und insbesondere in den Institutionen der Sozialen Arbeit die Notwendigkeit, eine rassismuskritische Perspektive einzunehmen. Doch wie lässt sich eine solche Perspektive in der Lehre einnehmen und umsetzen? Warum ist sie so wichtig, und welche Herausforderungen bestehen?
Studierende und Dozierende des Kooperationsmasterstudiengangs Soziale Arbeit haben sich eine ganze Woche mit dem Thema «Rassismus und Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit» beschäftigt. Im Zentrum standen folgende Fragen:
«Rassismuskritische Lehre zielt nicht nur auf Erkenntnisgewinn, sondern auch auf Kritik. Mit dem Ziel, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, stellt sie Gewissheiten infrage und bricht damit weiße Komfortzonen auf. Denn Rassismuskritik bedeutet für weisse Personen eine Infragestellung des wahrgenommenen Normalen bzw. verinnerlichter Denk- und Handlungsmuster. Entsprechend heisst rassismuskritische Bildung für weisse Lernende andauernde Selbstkritik und Reflexion. Dabei ist die Auseinandersetzung mit sich selbst eine Beschäftigung mit der eigenen privilegierten Verortung im rassistischen Machtgefüge und damit zugleich eine Auseinandersetzung mit der Welt.»
Im ersten Teil der Veranstaltung beleuchteten die Dozentinnen Rebekka Ehret und Rebecca Mörgen verschiedene theoretische Perspektiven auf «Race» und Rassismus in Europa. Anschliessend gingen sie auf migrationsbedingte gesellschaftliche Transformationsprozesse ein und diskutierten den Begriff der Postmigration. Im zweiten Teil vermittelten Annina Tischhauser (BFH), Gülcan Akkaya (HSLU) und Nivedita Prasad (ASH Berlin) die Anforderungen an die Soziale Arbeit in verschiedenen Handlungsfeldern. Sie vermittelten den Teilnehmenden praxisorientierte Expertise und zeigten auf, wie eine rassismuskritische und antirassistische Haltung auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen umgesetzt werden kann, sowie welche Methoden dabei von Bedeutung sind.
Ziel der Woche war es, den Themenkomplex von Rassismus und Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit kritisch-reflexiv zu betrachten, gesellschaftspolitischen Perspektive einzuordnen sowie Möglichkeiten und Grenzen beurteilen zu können. Während der Wahlthemenwoche arbeiteten die Studierenden in Gruppen an einem Handlungsfeld zum Thema «Rassismus und Rassismuskritik in der Sozialen Arbeit». Gemeinsam mit verschiedenen Organisationen diskutierten sie dabei über Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung einer rassismuskritischen und rassismussensiblen Haltung.
Wie Organisationen und Institutionen den Anforderungen an Vielfalt gerecht werden können, zeigen die folgenden Ausführungen, und stellen beispielhaft ein erarbeitetes Handlungsfeld durch Studierende dar.
Transformation in der offenen Kinderarbeit: Einblicke in den Wandel beim DOK Bern
In einer sich stetig wandelnden Gesellschaft müssen auch Institutionen wie der Dachverband für offene Arbeit mit Kindern (DOK) in Bern ihre Strukturen und Angebote kontinuierlich anpassen, um den Anforderungen der Vielfalt gerecht zu werden. Die Thematik Rassismuskritik und institutionelle Veränderungen gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. In Anlehnung an Ines Mateos’ Essay zur postmigrantischen Schweiz, in dem sie auf die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen in Institutionen verweist, wird deutlich, dass auch im Bereich der offenen Kinderarbeit ein solcher Wandel unausweichlich ist. Der DOK hat sich diesem Transformationsprozess auf verschiedenen Ebenen gestellt.
Der DOK ist eine zentrale Institution in Bern, die offene und inklusive Bildungsangebote für Kinder ausserhalb des schulischen Rahmens fördert. Er bietet durch Spielplätze, mobile Angebote und Veranstaltungen eine niederschwellige Möglichkeit zur Freizeitgestaltung und sozialen Förderung. Zudem vertritt der Verband die Interessen der offenen Kinderarbeit gegenüber Behörden und fördert den Austausch von Fachkräften. Dabei spielt die Zusammenarbeit mit städtischen Institutionen, Schulen und sozialen Einrichtungen eine zentrale Rolle, um Synergien zu schaffen und die Qualität der Angebote kontinuierlich zu verbessern.
Der Anstoss zur Transformation des DOK kam von den Mitarbeitenden selbst, die die bestehenden Spielangebote hinterfragten und eine kritische Reflexion forderten – etwa im Hinblick auf Spiele wie «Indiänerle». Diese Diskussion brachte den Verband dazu, sich intensiver mit Diversität und Rassismuskritik zu beschäftigen. Die Initiative begann also «von unten» durch die Mitarbeitenden. Parallel dazu gab es «von oben», durch die Geschäftsleitung, eine Bestrebung, mehr Diversität in die Personalstrukturen zu bringen, was in der Gründung einer Arbeitsgruppe zur Rassismus-Thematik mündete.
Ein Prozess von Veränderung und nachhaltiger Verankerung
Die Transformation des DOK fand auf mehreren Ebenen statt. Einerseits wurden bestehende Angebote kritisch überprüft und angepasst, andererseits wurden Massnahmen ergriffen, um das Personal für rassismuskritisches Handeln zu schulen. Workshops zu Themen wie Kinderliteratur und Rassismus fanden statt, und in einer intensiven Weiterbildungswoche wurde das gesamte Team in diesen Bereichen geschult. Dieser Prozess war jedoch nicht immer einfach. Widerstände und das Loslassen von tief verankerten sozialen und kulturellen Mustern machten die Veränderung zu einer herausfordernden Aufgabe. Die Mitarbeitenden mussten sich mit der eigenen Sozialisierung und Identität auseinandersetzen, was oft zu Abwehrhaltungen führte.
Der Transformationsprozess beim DOK ist fortlaufend und dynamisch. Es braucht kontinuierliche Reflexion und Anpassung, da rassismuskritisches Handeln ein lebenslanger Lernprozess ist. Die Gefahr besteht jedoch, dass die Veränderungen nur von den aktuellen Personen getragen werden und mit personellen Wechseln der Fortschritt verloren geht. Daher ist es entscheidend, dass die gewonnenen Erkenntnisse durch Konzepte und institutionelle Verankerungen langfristig gesichert werden.
Fazit: Potenzial der offenen Kinder- und Jugendarbeit
Die offene Kinder- und Jugendarbeit bietet ein ideales Umfeld für solche Transformationsprozesse. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen oft eine hohe politische Motivation mit, um Veränderungen anzustossen und sich für Diversität und Rassismuskritik einzusetzen. Zudem bietet die Struktur des DOK durch Arbeitsgruppen Möglichkeiten zur Partizipation und Weiterentwicklung – und dies nicht unbezahlt, sondern als Teil des beruflichen Engagements. Somit zeigt sich, dass die offene Kinderarbeit prädestiniert ist, um gesellschaftlichen Wandel aktiv mitzugestalten.
Dieser Transformationsprozess des DOK ist ein wichtiges Beispiel dafür, wie Institutionen durch Reflexion und gezielte Massnahmen zukunftsfähig werden können. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie diese Veränderungen langfristig verankert und nachhaltig umgesetzt werden können.
Die Soziale Arbeit und Hochschullehre als Ort der Rassismuskritik
Zusammenfassend lässt sich sagen: Kontexte Sozialer Arbeit sind wichtige (politische) Orte, um Benachteiligung, Ausgrenzung, Ausschlüsse und verschiedene Formen der Diskriminierung entgegenzuwirken. Hierbei kommen Räume und Orte an Bildungsinstitutionen und Hochschulen zum einen wichtige Bedeutung in der Wissensvermittlung und Wissensaneignung zu, und sie sind mit Blick auf die Vermittlung von rassismuskritischen Inhalten in Bewegung (Beispiel Verlernraum an der BFH).
Trotz der nach wie vor immer noch weissen Räume – insbesondere auf Seiten der Dozierenden und Lehrenden – steht Reflexion und das Nachdenken über Rassismus und Rassismuskritik im Zentrum (Buonopane et al., 2024). Rassismuskritik in der Hochschullehre und in den Institutionen der Sozialen Arbeit ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit, um gesellschaftliche Gerechtigkeit zu fördern. Der Weg dorthin ist steinig und voller Herausforderungen, doch er bietet auch die Chance, bestehende Machtverhältnisse zu hinterfragen und neue, gerechtere Strukturen zu schaffen. Nur durch eine bewusste Auseinandersetzung mit Rassismus und seinen Folgen kann die Soziale Arbeit ihrem Anspruch gerecht werden, alle Menschen gleichberechtigt zu unterstützen.
Von: Robin Schüpbach und Rebecca Mörgen
Bild: Adobe Stock
Veröffentlicht: 21. November 2024
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Literaturhinweise
Mateos, I. (2022). Die postmigrantische Schweiz ist die Zukunft, die schon begonnen hat. swissfuture Nr. 01/2022: https://www.swissfuture.ch/wp-content/uploads/2022/08/swissfuture-01-2022.pdf
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