31. Oktober 2022
Von Patrik Salzmann
Viele Ferienheimkehrer haben schon Erfahrung darin gesammelt: Italienische Behörden schicken Verkehrsbussen direkt an Schweizer Fahrzeughalter. Wer die Busse nicht bezahlt, muss damit rechnen, dass er eine Zahlungsaufforderung eines Schweizer Inkassodienstleisters erhält. Das Bundesstrafgericht hat mit zwei kürzlich ergangenen Entscheiden dieser Praxis (einstweilen) einen Riegel geschoben.
Die direkte Zustellung von Bussenverfügungen und diesbezüglicher Mahnungen an Schweizer Adressaten durch italienische Behörden ist rechtlich unproblematisch. Dies soll aber nicht für die von Schweizer Inkassodienstleistern versandten Zahlungsaufforderungen und Mahnungen gelten. Das Bundesstrafgericht erkannte darin in erster Instanz einen Verstoss gegen das Verbot von Handlungen für einen fremden Staat und verurteilte Organe zweier Inkassodienstleister zu bedingten Geldstrafen und Bussen.
Verbotene Handlungen für einen fremden Staat
Die Strafnorm geht auf das Spitzelgesetz von 1935 zurück, das damals der Bekämpfung ausländischer Spionagetätigkeit diente. Heute werden indessen kaum ausländische Beamte wegen verbotener Handlungen in der Schweiz verfolgt. Im gegenwärtigen Fokus stehen vorwiegend Private.
Nach dieser Bestimmung macht sich strafbar, wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen. Sie bezweckt den Schutz der schweizerischen Souveränität und des staatlichen Machtmonopols. Gemäss Bundesstrafgericht schütze der Tatbestand indirekt auch das Vertrauen der Bürger, dass hoheitliche Macht nur durch die dafür zuständigen Organe in rechtmässiger Weise durchgesetzt wird. In Bezug auf ausländische Verfahren bezweckt dieser Straftatbestand zudem die Einhaltung der Bestimmungen über die Amts- und Rechtshilfe und gilt deshalb in der Praxis als sogenanntes «Blocking Statute». Inwiefern Privatpersonen und Unternehmen im Zusammenhang mit ausländischen Verfahren in der Schweiz Handlungen vornehmen dürfen, die ausserhalb der Amts-, beziehungsweise Rechtshilfe liegen, wie beispielsweise die Durchführung von Zeugenbefragungen oder die Zustellung ausländischer Urteile, ist nicht klar festgelegt.
Die fragliche Handlung muss, wie bereits erwähnt, für einen fremden Staat bestimmt sein. Gemäss Rechtsprechung ist eine Handlung tatbestandsmässig, die für sich betrachtet nach schweizerischer Rechtsauffassung als Amtstätigkeit charakterisiert ist. Nicht tatbestandsmässig sind Handlungen, für die im Einzelfall oder generell eine Bewilligung vorliegt.
Erstinstanzliche Beurteilung
Den vorliegend untersuchten Fällen lagen Zahlungsaufforderungen und Mahnungen betreffend Bussen für Verkehrsregelverletzungen zugrunde, welche die Gemeinden Florenz, Mailand und Turin ausgefällt hatten. Strittig war insbesondere, ob das Zustellen von Zahlungsaufforderungen und Mahnungen durch inländische Inkassounternehmen eine Handlung darstelle, welche einer Behörde oder einem Beamten zukomme.
In Bezug auf die Qualifikation der Handlung als Amtstätigkeit stellte das Bundesstrafgericht fest, dass für das Einziehen von öffentlich-rechtlichen Bussen in der Schweiz ein spezielles Vollzugsverfahren bestehe. Selbst wenn in einzelnen Kantonen der Vollzug gesetzlich an Private delegiert wird, handle es sich um eine Handlung, welche nach der gesetzlichen Ordnung der Schweiz in die ausschliessliche Zuständigkeit einer Behörde falle. Zudem stellte das Gericht in beiden Fällen fest, das in den untersuchten Schreiben vorgegeben werde, dass die Inkassodienstleister befugt seien, die Bussenrechnungen in der Schweiz zu vollstrecken. Im zuerst beurteilten Fall würden die Schreiben eine Betreibung in der Schweiz implizieren und im Ausland explizit erhebliche Nachteile in Aussicht stellen. Im zweiten Entscheid verwies das Gericht nicht nur auf den Wortlaut der fraglichen Schreiben, sondern auch auf die Website des Inkassodienstleisters. Nach Auffassung des Gerichts könne eine Person, welche die Angaben auf der Website nach Erhalt einer Zahlungsaufforderung lese, zu Recht davon ausgehen, dass das Inkassounternehmen bei nicht fristgerechter Zahlung ein Zwangsvollstreckungsverfahren einleiten würde. Nicht für massgebend erachtete das Gericht den Einwand der Verteidigung, dass in keinem Fall eine italienische Verkehrsbusse durch einen Schweizer Dienstleister in Betreibung gesetzt oder eingeklagt wurde.
Auch anderen Argumenten der Verteidigung folgte das Gericht nicht. Unter anderem machten die Beschuldigten geltend, dass nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen und Art. 30 Abs. 2 der Rechtshilfeverordnung (IRSV) ausländischen Behörden die Zustellung von Bussenverfügungen und diesbezügliche Mahnungen an Personen in der Schweiz erlaubt sei. Das Gericht hielt dem entgegen, dass solche Bestimmungen und bestehende Polizeiverträge mit Frankreich und Deutschland zwar gewisse Erleichterungen in Bezug auf die Gewährung der Vollstreckungshilfe enthalten würden, indessen würden sie jedoch keine Handhabe für die Vollstreckung durch den ersuchenden Staat auf dem Staatsgebiet des ersuchten Staates enthalten. Ferner gehe es nicht um Handlungen von ausländischen Behörden, sondern um die Vollstreckung, beziehungsweise das Inkasso durch eine juristische Person in der Schweiz. Das Gericht hielt fest, dass in diesem Bereich kein Verzicht der Schweiz auf seine diesbezügliche Souveränität vorliege.
Das Gericht erkannte schliesslich ein hinreichendes Unrechtsbewusstsein und schloss damit einen Rechtsirrtum aus. In einem online abrufbaren Artikel werde die Auffassung des Bundesamtes für Justiz wiedergegeben, wonach «ausländisches Busseninkasso illegal» sei. Zudem beziehe sich ein Hinweis auf der Website von Fedpol bloss auf Rechnungen für Parkbussen auf öffentlichem Grund, welche durch Schweizer Inkassofirmen eingetrieben werden könnten, und nicht auf Bussen für Verkehrsdelikte.
Fazit
Die Rechtsprechung hat den Anwendungsbereich der verbotenen Handlungen für einen fremden Staat stetig erweitert, was für inländische Private und Unternehmen weitreichende Folgen hat und die wirtschaftliche Entfaltung einschränkt. Ob sich der Rechtsstandpunkt des erstinstanzlichen Gerichts durchsetzen wird, bleibt indes abzuwarten. Beide Urteile wurden angefochten.
Kommentare
2 Kommentare
Nina
16. Oktober 2024
Ist bekannt, ob der Entscheid vor Bundesgericht bereits bestätigt wurde? Vielen Dank!
Patrik Salzmann
16. Oktober 2024
Tatsächlich ist das Bundesgerichtsurteil vor kurzem veröffentlicht worden. Es erging ein Freispruch, weil ein Schuldspruch angesichts der unklaren Rechtslage das Legalitätsprinzip verletzen würde. Die strittigen Sehreiben würden keinen hinreichender Bezug zum Zwangsvollstreckungsrecht aufweisen. Siehe https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza://23-09-2024-7B_686-2023&lang=de&zoom=&type=show_document
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.