7. September 2020
Von Nic Carrington
Warum können auch die scheinbar erfolgreichsten Mitarbeitenden in Versuchung geraten Betrug zu begehen? Kann dem Fehlverhalten vorausgegriffen werden und wie lässt sich dem entgegensteuern?
Kann ein Unternehmen vorhersagen, in welchem Bereich Compliance-Schwächen bestehen und dem Fehlverhalten von Mitarbeitenden vorausgreifen? Eugene Soltes, Professor an der Harvard Business School und Autor eines Bestsellers zum Thema Wirtschaftskriminalität, verbringt den Grossteil seiner Karriere damit, zu ergründen, warum scheinbar erfolgreiche Mitarbeitende in Versuchung geraten, Betrug zu begehen. Basierend auf seiner Erfahrung, wozu auch Besuche von verurteilten Wirtschaftskriminellen im Gefängnis zählen, wandte er sich den Integritätslücken von Unternehmen zu. Er entwickelte prädiktive Modelle zur Ermittlung potenzieller Schwachpunkte sowie Methoden und Schulungen, mit denen Unternehmen diese Risiken minimieren können.
«Im Hinblick auf die Compliance besteht die Herausforderung heute darin, dass eine Vielzahl der Initiativen nicht gezielt umgesetzt, sondern auf das gesamte Unternehmen angewandt werden», so Soltes. «Die Risiken innerhalb eines Unternehmens weichen jedoch je nach Mitarbeitergruppe und Subkultur voneinander ab. Eine unternehmensübergreifende Einheitslösung ist somit nicht nur äusserst kostenintensiv, sondern auch oft ineffizient.»
Das Ziel von Eugene Soltes ist es, massgeschneiderte Compliance-Programme für Risikobereiche zu erarbeiten und bestehende Programme zu optimieren.
Als Ausgangslage dafür sammelt Eugene Soltes Daten, die in vielen Unternehmen bereits zur Verfügung stehen, aber in der Regel kein zusammenhängendes Bild der Unternehmenskultur ergeben. Im Idealfall werden dabei Informationen zu früheren Vorwürfen von Fehlverhalten zusammengetragen, ebenso wie zusätzliche Personal- und Performancedaten sowie interne Umfrageergebnisse zum Thema Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Auf Grundlage dieser Informationen und mithilfe komplexer Technologien des maschinellen Lernens hat Eugene Soltes Modelle kreiert, die potenzielle Gefahrenstellen hervorheben. Solche Analysen erlauben es Unternehmen insbesondere, einen Blick in die Zukunft zu werfen und zu verstehen, welche Art von Fehlverhalten wahrscheinlich ist und wo es auftreten dürfte, anstatt den Blick nur auf bereits geschehene Vorkommnisse zu wenden.
Eugene Soltes betont: «Unternehmen konzentrieren sich in der Regel auf Vorfälle der Vergangenheit. Wir aber streben einen Blick in die Zukunft an, um die Compliance durch Analysen möglicher Vorkommnisse vorhersehbarer zu gestalten.»
Seine Recherche hat beispielsweise gezeigt, dass das Risiko eines Compliance-Verstosses eines Mitarbeitenden bis zu sechseinhalb Mal grösser ist, wenn dessen Vorgesetzte/r ebenfalls durch Fehlverhalten aufgefallen ist. Des Weiteren können vergangene Vorwürfe auch auf zukünftiges Fehlverhalten hinweisen. Personen, die bereits durch solche Vorwürfe aufgefallen sind, begründet oder unbegründet, sind anfälliger für ein erneutes Fehlverhalten.
Eugene Soltes hat analytische Dashboards erstellt, die verschiedene Risiken je nach Bereich, möglichen Gründen und potenziellen anfälligen Gruppen ermitteln. Diese Erkenntnisse ermöglichen es Unternehmen, aufkommende Risiken besser zu identifizieren.
Die Identifikation dieser Gruppen ist jedoch nicht alles. Der nächste Schritt besteht darin, Initiativen auszuarbeiten, um das Verhalten der Mitarbeitenden wirksamer zu beeinflussen und den Erfolg solcher Massnahmen zu überwachen. An diesem Punkt befindet sich Eugene Soltes mit seinem Research: «Ein effizientes Compliance-Programm sollte dann Anerkennung erfahren, wenn messbare Erfolge erzielt werden.»
Richtlinien, Schulungen und Überwachung stellen einen guten Anfangspunkt dar. Die Kunst besteht jedoch darin, die richtige Mischung für jede Personengruppe zu finden, um so angemessene Ergebnisse zu erzielen. Deswegen hebt Eugene Soltes hervor: «Analysen zeigen klar auf, dass einige Gruppen deutlich mehr Aufmerksamkeit im Hinblick auf die Compliance und Integrität benötigen als andere.»
Seine Recherchen zeigen bereits jetzt, dass bestimmte neuartige und entsprechend abgestimmte Ansätze das Verhalten von Mitarbeitenden bedeutend beeinflussen können – in einem Ausmass, dass eine lokalisierte Differenzierung zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. «Der Vorteil gegenüber einem standardisierten unternehmensweiten Trainingsprogramm ist bedeutend», so Eugene Soltes.
Meine Erfahrung bei der Unterstützung von Unternehmen bei Wirtschaftskriminalität stützt die These des Professors. Trotz umfangreicherer und kostenintensiverer Compliance-Programme für Unternehmen kommt es immer wieder zu Compliance-Ausfällen. Das Gleichgewicht zwischen in die Höhe schnellenden Kosten und dem Erzielen realer Vorteile ist weiterhin schwer erreichbar und datengestützte Ansätze scheinen in der Lage zu sein, bessere Ergebnisse und einen besseren Schutz zu bieten. Standardisierte Prozesse sind sicher nicht der einzige Weg zu einem effizienten Compliance-Programm. Eine aussagekräftige Bewertung und Minderung des Betrugsrisikos erfordert einen Fokus darauf, worauf das Verhalten der Mitarbeitenden gründet, damit das Risikopotenzial auf individueller Ebene und unter Einsatz der geballten Kraft von Big Data verstanden werden kann.
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