12. Juni 2023
In Wirtschaftsstrafverfahren zeigen sich jüngst Tendenzen, Beschuldigten einen Maulkorb aufzuerlegen. Konkret untersagt die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten, und deren Verteidigern, Informationen aus dem Strafverfahren mit Drittpersonen zu teilen. Und dies strikte und für die gesamte Dauer des Prozesses. Dieses neuere Phänomen dürfte im Sinne des Schutzes von Involvierten wohl meist gut gemeint sein, missachtet aber essenzielle Grundsätze des Strafprozesses.
Staatliches Handeln hat sich an der Bundesverfassung und den Gesetzen zu orientieren. Spielraum für kreative Eigenentwicklungen von Strafverfolgungsbehörden bleibt nur begrenzt.
Aus verfassungsmässiger Sicht tangiert die Auferlegung einer Pflicht zum Stillschweigen das garantierte Recht zur freien Meinungsäusserung. Gemäss Bundesverfassung hat jede Person das Recht, die eigene Meinung ungehindert zu äussern und Informationen zu verbreiten. Solche verfassungsmässigen Grundrechte sind elementar und können nur unter klar definierten Voraussetzungen eingeschränkt werden. So müsste eine Beschränkung auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und im Sinne einer Gesamtwürdigung als verhältnismässig erachtet werden können.
Beschränkung der Meinungsfreiheit
Im Rahmen eines Strafverfahrens dient als gesetzliche Grundlage zur Beschränkung der freien Meinungsäusserung die Strafprozessordnung. In dieser ist beispielsweise für sämtliche Strafverfahren in der Schweiz festgelegt, dass Mitglieder von Strafbehörden über amtliche erfahrene Tatsachen Stillschweigen zu bewahren haben. Diese Bindung an das Amtsgeheimnis ergibt sich ebenfalls aufgrund des Strafgesetzbuchs, wonach die Verletzung des Amtsgeheimnisses ein Vergehen darstellt und zu bestrafen ist. An diese Geheimhaltungspflicht ist jedoch lediglich die Staatsanwaltschaft selbst gebunden und eben gerade nicht eine beschuldigte Person.
Verpflichtung zum Schweigen
Als Spezialbestimmung sieht die Strafprozessordnung in Art. 73 Abs. 2 im Weiteren vor, dass die Privatklägerschaft und andere Verfahrensbeteiligte, sowie auch deren Rechtsbeistände, zum Schweigen verpflichtet werden können. Beschuldigte sind von dieser Bestimmung ausdrücklich ausgenommen. Sie sind Verfahrenspartei und gehören gerade nicht zu den sogenannten «anderen Verfahrensbeteiligten». Diese Unterscheidung ergibt sich deutlich aus dem Gesetz. Eine Grundlage, einem Beschuldigten eine Kommunikationsbeschränkung aufzuerlegen, ist somit vom Gesetzgeber auch hier klarerweise nicht vorhanden. Die herrschende Lehre, also die Mehrheit der Expertinnen und Experten, stützt diese Ansicht.
Unzulässiger Maulkorb
Beschuldigte haben zusammen mit ihren Verteidigern ein berechtigtes Interesse, aus dem gegen sie geführten Strafverfahren berichten und ihre Verteidigung entsprechend organisieren zu können. Eine Beschränkung dieses Rechts verstösst diametral gegen grundlegende Verteidigungsrechte und die einzuhaltende Fairness im Verfahren. Nicht zuletzt ermöglicht eine Drittkommunikation eine gewisse Kontrolle staatlicher Macht. Es gibt keinen übergeordneten Rechtfertigungsgrund, welcher der Staatsanwaltschaft eine Ausdehnung der Geheimhaltungspflicht der Privatklägerschaft und der anderen Verfahrensbeteiligten auf die Beschuldigten erlauben würde. Beschuldigte könne nicht zum Stillschweigen verpflichtet werden. Was staatsanwaltschaftlich vielleicht gut gemeint ist, muss klar als widerrechtlich qualifiziert werden. Die Auferlegung eines Maulkorbs für Beschuldigte und deren Rechtsbeistände ist unzulässig.
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