28. Oktober 2024

Wirtschaftskriminalistik

Harmloses Nullsummenspiel? Betrügerisch unterwegs mit einer Darlehenskette – Window-Dressing

Harmloses Nullsummenspiel? Betrügerisch unterwegs mit einer Darlehenskette – Window-Dressing

Von Diego Bonato

Einem jungen Unternehmer gelang es scheinbar schlau, geliehene 188 Mio. Franken über eigene Firmen im Kreis herumzuschicken und wieder zurückzugeben. Und dies alles während eines Wimpernschlages. Der junge Unternehmer war zufrieden, denn er stand nirgends in der Schuld. Die Bank war ebenfalls zufrieden, denn sie stand nirgends in einem Risiko und konnte sogar noch Gebühren einstreichen. Der Geldleiher war auch zufrieden, denn er hatte sein Geld zurück. Das Ganze war also ein harmloses Nullsummenspiel? Ein Nullsummenspiel ja. Harmlos, nein.

Der Beitrag wurde erstmals im Nachrichtenblatt 3/2024 (April) der Kantonspolizei Zürich veröffentlicht und wird nachfolgend unverändert wiedergegeben.

Am Anfang steht der Zwangsverkauf einer grossen Immobilien-AG aus einem Konkursverfahren. Diese Immobilien-AG war gesund, ihre Muttergesellschaft in Liquidation. Die Immobilien-AG besass ein grosses Immobilien-Portfolio im Wert von 376 Mio. Franken. Schulden hatte sie keine. Kaufen musste man die Aktien. Allerdings war noch ein kleiner Haken dabei: Die Immobilien-AG trug noch Haftungsrisiken aus dem Ausland, deren Höhe nicht genau beziffert werden konnten, aber durchaus mehrere hundert Millionen Franken erreichen konnten. Also war alles so weit rechtens und offengelegt. Dem Meistbietenden sollte der Zuschlag der Aktien gegeben werden.

Der junge Unternehmer nun war zwar mittellos, aber risikobereit und schlau (doch wir entzaubern auch Finanz-Genies). Er sah hier das Geschäft seines Lebens. Bei Zwangs-Verkäufen kommen nämlich so oder so hohe Abschläge auf möglichen Werten zum Zuge. Er bot 50% des Wertes des Immobilien-Portfolios, also 188 Mio. Franken für die Aktien der Immobilien-AG. Damit war er mit Abstand der Meistbietende. Alle anderen hatten einfach keinen Mut. Nicht wahr?

Generierung eines Zahlungskreises im Vorfeld

Der junge Unternehmer war wie gesagt mittellos. Was er aber in seiner Hinterhand hatte, waren mehrere Kleinst-Aktiengesellschaften, die stillgelegt waren, also sogenannte Mantelgesellschaften. Drei davon benutzte er in der Folge. Was er noch hatte, waren Erfahrungen aus der Bankenwelt und eine Beziehung zu einem reichen Privatier, dem vermögenden Henry.

Henry hatte Konti und Wertschriften bei einer Bank in Liechtenstein. Praktischerweise hatte der junge Unternehmer, bzw. seine drei Mantelgesellschaften auch je ein Konto bei dieser Bank. Der junge Unternehmer konnte Henry dazu bringen, 188 Mio. Franken auf das Bankkonto einer seiner Kleinst-Aktiengesellschaften bei dieser Bank in Liechtenstein zu überweisen. Henry stimmte zu, denn seine 188 Mio. Franken wurden ihm noch gleichentags (also mit exakt gleicher Valuta) zurücküberwiesen. Für dieses aus Henrys Sicht einfache Hin und Her erhielt er vom jungen Unternehmer die Überweisungsspesen plus einen grosszügigen Zins für einen Tag vergütet. Für Henry doppelt lukrativ, denn bei gleicher Valuta fiel bei seinem Bankkonto selbst keine Zinslast an.

Der junge Unternehmer schickte die 188 Mio. Franken zwischenzeitlich immer als Darlehen von einer zur nächsten seiner drei Kleinst-Aktiengesellschaften im Kreis herum. Da er für seine Gesellschaften bei der gleichen Liechtensteinischen Bank je ein Konto hatte, konnte er dieser Bank gleichzeitig alle Überweisungsaufträge aufgeben. Die Bank hatte den Gesamtüberblick und sah, dass damit für sie je satte Überweisungspesen anfielen und sonst alles auf Null aufging. Sie führte also die Überweisungsaufträge alle mit stets gleicher Valuta aus, sozusagen innert einer gedanklichen Sekunde. Bis jetzt war noch nichts Illegales passiert. Es war einfach handelsrechtlich eine Darlehenskette geboren.

CH-Bank gewährte Hypothek, Bilanzbilder waren übles Window-Dressing bzw. Betrug

Der junge Unternehmer hatte nun Munition in der Hand für Verhandlungen mit einer CH-Bank. Denn durch die vorher durchgeführte Darlehenskette verfügte er nämlich jetzt über eine «Momentaufnahme» des Bilanzbildes seiner Gesellschaften, welche den Anschein erweckten, in seinen Gesellschaften seien 188 Mio. Franken parkiert. Es wird nun auch klar, was der Zahlungskreis in Höhe von 188 Mio. Franken im Vorfeld überhaupt sollte. Die Bilanzen der Gesellschaften waren das Ziel. Diese Bilanzen waren auf 188 Mio. Franken aufgebläht und sollten zeigen, dass sie eine Finanzierungskraft in dieser Mächtigkeit hatten. Das Provozieren eines bestimmten Bildes einer Bilanz oder Erfolgsrechnung bezeichnet man angelsächsisch als Window-Dressing. Das in vorliegendem Fall provozierte, aufgeblähte und falsche Bilanzbild mittels Darlehenskette ist übles «Window-Dressing» bzw. Betrug.

Der junge Unternehmer brachte das falsche Bilanzbild erfolgreich in die Verhandlungen mit der CH-Bank ein, welche sich zu einer «Fifty-Fifty-Finanzierung» des Kaufes der Immobilien-AG bereiterklärte. Hierfür gewährte die CH-Bank einen Hypothekar-Kredit in der Höhe von 50% des Wertes der Immobilien von 376 Mio. Franken, also 188 Mio. Franken.

188 Mio. Franken der CH-Bank-Hypothek nicht vereinbarungsgemäss verwendet

Was jetzt zusätzlich kommt, ist der komplexe Vorgang bei der Zahlungsabwicklung am Stichtag. Die komplexe Zahlungsabwicklung am Stichtag war bestens orchestriert, wich aber natürlich bei der Auszahlung der CH-Bank-Hypothek von der Vereinbarung ab. Die CH-Bank hatte nämlich so, ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen den Kauf der Aktien finanziert, somit ganz anders als angedacht.

Haftungsrisiken realisierten sich später nicht. Glück gehabt?

Die ganze Sache war also am Stichtag über die Bühne gegangen. Der junge Unternehmer hatte eine Immobilien-AG im Wert von 376 Mio. gekauft, frecher Weise ohne selbst Geld zu investieren. Um die noch im Raum stehenden Haftungsrisiken der Immobilien-AG vom Immobilienportfolio zu lösen, wurden einfach die Immobilien aus der Immobilien-AG heraus auf eine der drei Kleinst-Aktiengesellschaften übertragen. Doch es blieb das Risiko des jungen Unternehmers, dass alles in sich zusammenbrechen könnte. Jahre später kann gesagt werden, es ist finanziell aufgegangen. Die Haftungsrisiken haben sich nämlich nicht konkretisiert. Es entstand so auch kein Schaden und dieses Betrugs-Tatbestandsmerkmal erfüllte sich so gesehen nicht. Glückgehabt? Nein, das Ganze hatte doch strafrechtliche und steuerrechtliche Konsequenzen.

Wegen Urkundenfälschung bestraft und Steuern wurden fällig

Was der junge Unternehmer nämlich hinterliess, war eine verfälschte Bilanz. Kurz, er musste das Weiterreichen der 188 Mio. Franken jahrelang vertuschen, um das am Stichtag abgewickelte Vertragskonstrukt aufrecht zu erhalten, ohne das zivilrechtlich hier zu vertiefen.

Die bei den AG’s unterschiedlichen Revisionsstellen liess er ebenfalls lange im Dunkeln. Er verzögerte die Erstellung der Jahresrechnungen und begründete dies vordergründig mit den ausserordentlichen Vorgängen rund um die entstandene Darlehenskette. Dabei musste er allseits über Jahre flüssige Mittel in Höhe von 188 Mio. Franken in den Bilanzen vortäuschen, was eine Urkundenfälschung im Sinne des Strafrechtes war. Ein Strafbefehl wegen Urkundenfälschung akzeptierte der junge Unternehmer. 180 Tage Freiheitsstrafe bedingt war das Strafmass.

Doch was zusätzlich sehr schmerzhaft wurde, war, was die Steuerbehörde zur Darlehenskette entschied. Sie qualifizierte die Darlehenskette als substanzlos und steuerlich irrelevant. Entsprechend qualifizierte die Steuerbehörde die in den Folgejahren inszenierten Rückzahlungen des Darlehens an Henry als Gewinnausschüttungen bzw. Einkommen. Dies löste Steuern aus, nämlich 35% auf der Darlehenshöhe von 188 Mio. Franken bei der Kleinst-Aktiengesellschaft des jungen Unternehmers. So fielen Steuern in Höhe von 63 Mio. Franken für Bund und Kanton Zürich an. Der junge Unternehmer trieb zwar seine Rekurse in dieser Steuersache bis zum Bundesgericht, aber selbst dieses anerkannte den Sachverhalt.

Beurteilen Sie für sich selbst diesen komplexen Fall. Aber auf einen Nenner gebracht: Finger weg von Darlehensketten um mächtige Bilanzen zu provozieren, denn strafrechtlich und steuerrechtlich geht dieser Schuss nach hinten los.

Autor: Diego Bonato

Diego Bonato, Revisor mbA, Ermittlungsabteilung Wirtschaftskriminalität (EW) Kantonspolizei Zürich: Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Uni Zürich mit Abschluss lic.oec.publ. machte Diego Bonato die Ausbildung zum eidg. dipl. Wirtschafsprüfer bei Ernst & Young, Zürich und blieb dort insgesamt 22 Jahre. Er wechselte dann zur Kantonspolizei Zürich Bereich Kriminalpolizei Abteilung Wirtschaftskriminalität. Er ist nun seit 18 Jahren bei der KAPO ZH tätig und hat als Wirtschaftsprüfer eigene Ermittlungen getätigt und die anderen Ermittler der EW (insgesamt 50 Personen) in Fragen von Handelsrecht, Buchhaltung, Rechnungslegung, Revision unterstützt.

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