5. Mai 2025

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Forensics & Investigation

Zielführende Betrugsbekämpfung

Zielführende Betrugsbekämpfung

Von Jacqueline Dütsch und Urs Steiner

Die Betrugsbekämpfung ist ein ständiger Wettlauf zwischen Betrügern, die immer raffiniertere Methoden entwickeln, und denjenigen, die versuchen, sie aufzudecken und zu verhindern. Um diesen Kampf gegen Betrug erfolgreich anzugehen, ist es entscheidend, neue Wege und Strategien zu finden, die den sich wandelnden Betrugsmustern gerecht werden.

Betrug gab es, gibt es und wird es immer geben – stets lockt das schnelle Geld. Je nach Epoche, persönlichen Umständen und/oder wirtschaftlichem sowie technologischem Stand einer Volkswirtschaft ändern oder passen sich die Betrugsmuster an.

Obwohl die einzelnen Modi Operandi stark variieren, weisen die Strukturen dieser Betrugsmuster Ähnlichkeiten auf. Das nachfolgend abgebildete Schema erlaubt, Betrugsfälle rasch zu analysieren sowie systematisch und zielführend anzugehen bzw. zu erfassen. Als Leitplanke dienen dazu die objektiven Tatbestandsmerkmale des Betrugsartikels im Schweizerischen Strafgesetzbuch, die hier einerseits vereinfacht dargestellt und andererseits als Phasen definiert sind. Um die Anatomie eines Betrugs zu vervollständigen, fügen wir vor die Phase «Täuschung» die «Arbeitsvorbereitung» hinzu, was uns nach dem folgenden Schema arbeiten lässt:

Anatomie des Betruges

Die Phase der Arbeitsvorbereitung (AVOR) ist der erste Schritt der Betrüger. Die Täterschaft wählt die Angriffsmethode und Betrugsart, sammelt gezielt Informationen über ihre Opfer (Personen oder Firmen) und beschafft alles Notwendige für den Angriff, wie Zugangsdaten und Täuschungsmittel. Dabei nutzt sie sowohl legale als auch illegale Quellen, um an relevante Informationen und Kontaktmöglichkeiten zu gelangen. Typischerweise kommen hier Cybercrime-Techniken zum Einsatz, etwa durch Phishing, Social Engineering oder Datenlecks, um Schwachstellen auszunutzen und den Betrug möglichst überzeugend vorzubereiten.

Die anschliessende Täuschungsphase ist der eigentliche Kern des Betrugs: Die Betrüger gaukeln ihren Opfern eine Geschichte vor, um sie gezielt in einen Irrtum zu führen. Dabei setzen sie auf Emotionen, Halbwahrheiten und manipulierte Informationen, die oft schwer zu überprüfen sind. Gefälschte Unterlagen wie Schreiben, Urkunden oder Zertifikate verstärken die Glaubwürdigkeit. Durch geschickt eingesetzte psychologische Beeinflussung bauen die Täter eine Vertrauensbasis auf, die das Opfer emotional abhängig macht.

Schliesslich bringen sie dieses dazu, entweder selbst Vermögenswerte – meist an eine unbekannte Person – zu überweisen, zu übergeben, oder den Zugang darauf freizugeben. Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist die Victimization, also der Prozess der Opferwerdung. Dieser beschreibt, wie Menschen durch gezielte Manipulation, soziale Zwänge oder emotionale Abhängigkeiten in eine Opferrolle geraten. Betrüger nutzen kognitive Verzerrungen, um ihr Gegenüber in einer Illusion gefangen zu halten und dessen Realität zu kontrollieren. In dieser Phase besteht aus Betrugsbekämpfungsoptik noch die Möglichkeit, durch sachliche Diskussionen oder kritische Überprüfung der Geschichte Widersprüche aufzudecken – bevor das Opfer sich vollständig in der Täuschung verliert.

Die Irrtumsphase schliesslich ist geprägt von Verwirrung und Unsicherheit, die die Betrüger gezielt beim Opfer erzeugen.

Der Vermögenstransfer ist der Moment, in dem das Opfer tatsächlich Geld oder andere Vermögenswerte an die Täter übergibt. Schliesslich bildet der Vermögensschaden das Ergebnis des Betrugs und tritt in unserem Schema dann ein, wenn das Opfer den Betrug als solchen erkennt.

Raus aus dem Irrtum

Ein Irrtum entsteht, wenn unsere Überzeugungen oder Erwartungen nicht mit der Realität übereinstimmen. Opfer, die während der Täuschungsphase durch gezielte Desinformationen und manipulierte Geschichten in die Irre geführt wurden, halten ihre Fehlvorstellung für die Wahrheit – sie irren sich.

In der Praxis zeigt sich, dass der Umgang mit irrenden Opfern äusserst herausfordernd ist. Eine sachliche Diskussion ist oft schwierig bis nahezu unmöglich, da das Opfer an seiner Überzeugung festhält und Warnungen aktiv ablehnt – selbst wenn Hin- oder gar Beweise zum Betrug vorliegen. Zudem sieht es diejenigen, die versuchen, es vor weiteren Schäden zu bewahren, häufig als „Verräter“, „Spielverderber“ oder sogar selbst als Betrüger an. Die Frage ist: Wie kann jemand, der sämtliche Betrugshinweise ignoriert, aus diesem Irrtum herausgeführt werden? Die Antwort liegt in der menschlichen Psyche. Eine grosse Rolle spielt dabei die Neigung zur Vermeidung von Unbehagen. Einen Irrtum einzugestehen bedeutet, sich selbst einzugestehen, betrogen worden zu sein – ein unangenehmer Gedanke, den viele bewusst oder unbewusst vermeiden. Dieser psychologische Widerstand führt dazu, dass Opfer an ihrer Überzeugung festhalten.

Loslassen der falschen Überzeugung

Zusätzlich neigen Menschen dazu, Informationen zu bevorzugen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen (Confirmation Bias). Betrüger nutzen dies gezielt aus, indem sie ihren Opfern genau die „Beweise“ liefern, die ihre falsche Annahme stützen. Dies führt oft zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Das Opfer sucht und findet nur noch Informationen, die seine Überzeugung bestätigen, und ignoriert widersprüchliche Hinweise. Hinzu kommt, dass es oft bereits emotional oder finanziell investiert ist, was das Loslassen der falschen Überzeugung noch schwerer macht. Je länger ein Betrug andauert, desto schwerer fällt es dem Opfer, seine Überzeugung zu hinterfragen.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die emotionale Bindung. Beispielsweise beim Romance Scam (Liebesbetrug) werden Opfer über Wochen oder Monate manipuliert, sodass eine scheinbare Vertrauensbasis entsteht. Diese emotionale Abhängigkeit erschwert es erheblich, die Täuschung zu durchbrechen. Zusätzliche psychologische Hürden verstärken die Dynamik: Angst vor Veränderungen, Selbstverteidigungsmechanismen, sozialer Druck und selektive Wahrnehmung.

Die oben genannten Erkenntnisse, kombiniert mit der dargestellten Anatomie eines Betrugs, verdeutlichen, dass die übliche Betrugsprävention – insbesondere in der Täuschungsphase, in der Opfer noch zweifeln und kritisch hinterfragen – effektiv und zielführend ist. In der späteren Irrtumsphase jedoch helfen gängige Massnahmen wie Flyer, Videos oder Aufklärungsgespräche mit den Opfern kaum noch.

Zielführende Betrugsbekämpfung

Um den Betrug in der Irrtumsphase zu verhindern, müssen daher neue, innovative Ansätze entwickelt werden, die den Betroffenen helfen, ihre falschen Überzeugungen zu überwinden und die Täuschung als solche zu erkennen. Es können gezielt bekannte psychologische Muster genutzt werden, wie zum Beispiel behutsame Fragen, die zum Nachdenken anregen, Rückmeldungen von unabhängigen Dritten, anschauliche Darstellungen von Betrugsabläufen und unterstützende Gespräche mit digitalen Helfern (Chatbots). Auch mutmachende Botschaften, die das Selbstvertrauen stärken, können wichtig sein, um Opfer aus der Manipulation zu lösen. Ergänzend tragen frühe Tests, persönliche Ansprechpartner und gezielte Hinweise auf mögliche weitere Betrugsversuche dazu bei, das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung zu stärken und die Gefahr rechtzeitig zu erkennen.

Wir kommen zum Schluss, dass die Betrugsprävention verbessert werden kann, wenn ein interdisziplinäres Team aus Betrugsbekämpfungsexperten und forensischen Psychologen wirksame Lösungen und praxisnahe Empfehlungen für den Umgang mit sich irrenden Opfern entwickelt – das wäre ein innovativer Schritt in der Betrugsprävention.

Autorin: Jacqueline Dütsch

Jacqueline Dütsch arbeitete nach einer kaufmännischen Ausbildung 15 Jahre im Bereich der Betrugsbekämpfung, -prävention und Sicherheit einer grossen nationalen und danach internationalen Kreditkartenunternehmung. Seit 2013 befasst sie sich bei einer Schweizer Grossbank mit der Bekämpfung der Betrugskriminalität. Sie ist Absolventin und Dozentin des MAS Economic Crime Investigation und Absolventin eines CAS in Cybersicherheit.

Autor: Urs Steiner

Urs Steiner startete nach einer Ausbildung zum Betriebsökonom an der heutigen Fachhochschule Nordwestschweiz im Finanzbereich eines international tätigen Lebensmittelkonzerns. Anschliessend arbeitete er als Analyst in der Finanzindustrie. Es folgte ein Wechsel zur Stadtpolizei Zürich, wo er schliesslich als Finanzermittler bei Ermittlungsverfahren im Bereich Menschenhandel tätig war. Seit 2010 befasst er sich bei einer Schweizer Grossbank mit der Bekämpfung der Betrugskriminalität. Er ist Absolvent des MAS Economic Crime Investigation und CFE ACFE.

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