2. Mai 2022

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Wirtschaftsrecht

Das Beschleunigungsgebot im Strafverfahren – ein nicht zu unterschätzendes Kernprinzip

Das Beschleunigungsgebot im Strafverfahren – ein nicht zu unterschätzendes Kernprinzip

Von Dr. Cornel Borbély

Den elementaren Grundsatz des Beschleunigungsgebots, wonach ein Strafverfahren innert angemessener Frist durchzuführen wäre, ist sowohl in der Bundesverfassung wie auch in der Menschenrechtskonvention fixiert. Effizienz ist gefordert. Die Strafprozessordnung geht noch weiter und verlangt eine unverzügliche Anhandnahme und einen Verfahrensabschluss ohne begründete Verzögerung. Die Praxis sollte alles daran setzen, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Nicht hinter jedem medialen Rauch brennt ein Feuer. Mit anderen Worten sollte eine Person nicht vorschnell öffentlich verurteilt werden – selbst wenn Anklage erhoben wurde. Es geht um den Grundsatz «in dubio pro duriore», wonach eine Staatsanwaltschaft in Zweifelsfällen anklagen muss. Und erst vor Gericht zieht der Grundsatz «in dubio pro reo». Dann ist in Zweifelsfällen freizusprechen. Wer nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt als unschuldig. Das ist angesichts der derzeit prominenten Gerichtsfälle stets in Erinnerung zu behalten.

Die Beschleunigung des Verfahrens als zwingende Pflicht

Nun ist es wichtig, ein weiteres strafprozessuales Kernprinzip auszuleuchten: das Beschleunigungsgebot. Dieses sieht vor, dass die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren unverzüglich an die Hand nimmt und dieses ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss bringt. Vereinfacht gesagt hat ein Beschuldigter den Anspruch, dass das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren möglichst zügig erledigt wird. In der Pflicht ist die Staatsanwaltschaft. Sie hat das Verfahren ab Eingang der Strafanzeige umgehend auf Relevanz zu prüfen und dann in einem Zug die Belastungen und Entlastungen zu untersuchen. Selbstredend unter Beachtung der notwendigen Sorgfalt und Qualität.

Wahrheitsfindung und Belastungsminimierung als wichtige Ziele

Die Hintergründe des Beschleunigungsgebots sind einfach und bedeutsam zugleich. Mit zunehmendem Abstand zu einer möglichen Tat wird es schwieriger, Beweismittel auf Validität, Schlagkraft und Kontext auszuwerten. Das Beschleunigungsgebot dient also der Ermittlung der materiellen Wahrheit. Umgekehrt sorgt das Liegenlassen eines Verfahrens, gut- oder bösgläubig, umgehend zur Einbusse bei der Wahrheitsfindung. Das darf nie vergessen werden und damit ist das Beschleunigungsgebot auf Stufe der elementarsten Kernprinzipien des Strafprozessrechts anzusiedeln.

Ein weiteres Ziel ist – und dieses Ziel ist keineswegs weniger wesentlich – die Belastung eines Strafverfahrens für einen Beschuldigten möglichst gering zu halten. Wie gesagt, ein Beschuldigter gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens als unschuldig. Nicht selten jedoch verliert er aufgrund des andauernden Drucks persönliche, gesundheitliche, berufliche und monetäre Stellungen. Dem kann mit einer schnellen Klärung der Sachlage entgegengewirkt werden. Klarheit schafft Sicherheit. Dies gilt von Gesetzes wegen umso mehr in Haftfällen, wo besonders rasches Handeln gefordert ist.

Das Ermessen hat seine Grenzen

Im Kern geht es beim Beschleunigungsgebot darum, sämtliche vermeidbaren Verzögerungen zu verhindern. Die Kriterien der Rechtsprechung dazu sind so breit wie der Grundsatz selbst. In die Waagschale zu legen sind unter anderem die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des Sachverhalts, die benötigten Untersuchungshandlungen, das Verhalten der Involvierten und eben die Belastung für den Beschuldigten. All dies vor dem Hintergrund der Bedeutung des Falls. Es geht um die Gesamtwürdigung der Umstände im Einzelfall, somit besteht viel Ermessensspielraum.

Aber auch das Ermessen hat seine Grenzen. Erfolgen in Verfahren während Monaten keine Handlungen, dann liegt ein klarer Verstoss gegen das Gebot vor. Nicht zulässig ist das Argument, die Zögerlichkeit sei auf ungenügende personelle Ressourcen zurückzuführen. Eine Behörde hat sich so zu organisieren, dass sie dem gesetzlichen Auftrag nachkommen kann.

Straffreiheit als ultima ratio

Ein überlanges Verfahren hat meist eine Strafreduktion zur Folge. In Extremfällen, das heisst bei krassen Verstössen gegen die Verfahrensbeschleunigung, muss das Verfahren eingestellt werden. Die Konsequenz: Straflosigkeit, allenfalls mit finanzieller Entschädigung eines Beschuldigten.

Leider ist es keine Seltenheit, dass Strafverfahren liegen bleiben – mancherorts überlang. Vor dem Hintergrund des Hauptziels der Strafuntersuchung, nämlich der Wahrheitsfindung, und unter Berücksichtigung der Belastungsminimierung der Beteiligten, ist jedoch die Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung stets präsent zu halten.

Autor: Dr. Cornel Borbély

Dr. Cornel Borbély ist Rechtsanwalt in Zürich und Spezialist für Wirtschaftskriminalität.

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