15. April 2019

Financial Crime

Greift zu – es geht um viel Geld

Greift zu – es geht um viel Geld

Von Alain Lässer

Die Vermögensabschöpfung ist ein gesetzliches Instrument, das den Kriminellen das Fürchten lehren könnte, würde es verbreitet und ganzheitlich eingesetzt. Ein Appell an die Strafverfolger und eine Hommage für die gedeckte Ersatzforderung.

Die kleine Schwester der Vermögenseinziehung, die Ersatzforderung, ist in den vergangenen Jahren etwas in Vergessenheit geraten. Oftmals war sie auch gar nie richtig bekannt. Wie die meisten Geschwister besitzen die Ersatzforderung und die Einziehung Ähnlichkeiten und jede verfügt über Vor- und Nachteile. «Klein» verfehlt jedoch die Bedeutung, die sie hat oder sagen wir besser, die sie haben sollte. Denn sie kann wahrlich Grosses bewirken. Vor allem dann, wenn sie «gedeckt» ist. Also wenn im Urteilszeitpunkt die Ersatzforderung gestellt und zur Deckung dieser ein Vermögenswert des Beschuldigten vorhanden ist.

Werden Sie Krimineller – zumindest einen Moment und rein gedanklich

Uns Strafverfolger begleitet stets der Wunsch, der materiellen Wahrheit auf die Spur zu kommen, begangene Straftaten aufzudecken und zu ahnden – und dies zu Recht. Denn nicht die noch so hohen Strafen, sondern viel mehr die Höhe der Aufdeckungsrate ist das, was die Gegenseite stark beeinflusst. Die am Ende ausgefällte Strafe sühnt wohl das begangene Unrecht, sprich die Verletzung des Rechts, doch trifft die Strafe nur den, der überführt wird. Als Krimineller schreckt mich daher ab, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, erwischt zu werden.

Was nun, wenn ich Ihnen für die Begehung einer Straftat 1 Million Schweizer Franken verspreche oder diese Summe als Deliktserlös auf Grund Ihrer Abklärungen als sicher gilt? Lassen Sie sich von der Tat abhalten, wenn Sie wissen, dass man Ihnen später auf die Schliche kommt, Ihnen der Erlös aber belassen wird? Das ist mitunter eine Frage der Moral, der finanziellen Bedürfnisse oder der Bereitschaft, für den späteren Genuss etwas Zeit im Gefängnis in Kauf zu nehmen. Auch wenn Sie die Tat nicht begehen würden – manch einer macht diese simple Rechnung von Aufwand und Ertrag. Unterschätzen Sie das nicht! Das Wissen, nach verbüsster Strafe in den Genuss des ohne Delikt nicht Erlangten zu kommen, ist ein immenser Katalysator auf der Schwelle in die Vermögensdelinquenz. Nicht anders verhält es sich beim illegalen Handel mit bestimmten Substanzen und Gegenständen. Es lohnt sich demnach, diesem «Belohnungssystem» wirksam entgegenzutreten.

Selbstverständlich freut es mich, wenn Sie dieser Verlockung widerstehen und nicht zur Gegenseite wechseln. Dennoch sollte bis zu einem gewissen Grad eine Angleichung an das Gegenüber erfolgen. Nutzen Sie, wie der Kriminelle, alle Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten voll aus. Greift er beim Geld zu, dann tun Sie es ihm gleich. Während das Handeln des Täters Unrecht ist, ist unser Handeln als Strafverfolger rechtens und, wie ich meine, sogar Pflicht.

Beschlagnahme, Einziehung und Ersatzforderung – eine kurze Theorie

Wenige Bestimmungen möchte ich Ihnen nochmals vor Augen führen, bevor ich meinen Appell vorbringen und Sie zum Geld führen kann.

Art. 263 Abs. 1 StPO listet auf, welche Gegenstände und Vermögenswerte für welchen Zweck beschlagnahmt und damit dem Betroffenen vorderhand provisorisch weggenommen oder aber mit einer Verfügungssperre belegt werden können.

Mittels Einziehung und gestützt auf Art. 70 Abs. 1 StGB kann das Gericht vorab beschlagnahmte Vermögenswerte nachfolgend definitiv wegnehmen, wenn diese durch eine Straftat erlangt wurden (direkter Deliktserlös). Die Staatsanwaltschaft muss demnach den sog. Deliktskonnex zu jedem Vermögenswert beweisen. Das mag bei einem gestohlenen oder veruntreuten Auto, Bild oder Schmuck leicht sein. Bei Geld (Buchgeld im Besonderen) lässt sich dieser Konnex hingegen weitaus schwerer nachweisen. Gleich verhält es sich mit dem Nachweis von der Einziehung unterliegenden Surrogaten. Was aber nun, wenn ein Betrüger oder Drogenhändler seinen Deliktserlös auf «sauberen» Bankkonten hält oder in Wertschriften, teure Einrichtungen, Sammlungen (Bilder, Schmuck, Wein, etc.), Fahrzeuge, Boote oder gar Immobilien gewechselt hat. Häufig sind diese der Einziehung versagt.

Sind diese Vermögenswerte jedoch werthaltig, würde ein Verbleib den Delinquenten belohnen. Dem will die Ersatzforderung gemäss Art. 71 Abs. 1 StGB begegnen. Sind also die aus der vorgenannten Straftat resultierenden Bar- und Buchgelder nicht mehr vorhanden oder der Ursprung zumindest nicht nachweislich im Delikt zu finden, erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates. Die Höhe wird dabei durch den Deliktserlös vorgegeben. Damit kann bei Vermögensdelikten und beim illegalen Handel direkt auf die im Strafpunkt bereits erfolgten Berechnungen zurückgegriffen werden. Einzig der Nachweis der Eigentumsverhältnisse muss erbracht werden. Vielfach finden sich dafür anlässlich der Hausdurchsuchung etwa Kaufbelege und Versicherungsnachweise. Möglicherweise lauten auch die Bankkonten, Wertschriftendepots sowie im Grundbuch, Fahrzeugregister und Handelsregister eingetragenen Vermögensgegenstände auf den Beschuldigten.

Der Dornröschenschlaf der Ersatzforderungsbeschlagnahme

Dass die Beschlagnahmebestimmung zu Gunsten einer späteren Ersatzforderung immer noch «versteckt» in Art. 71 Abs. 3 StGB ihr Dasein fristet und nicht, wo sie spätestens seit Einführung der Eidgenössischen Strafprozessordnung hingehören sollte, in Art. 263 Abs. 1 StPO, mag ein Grund für deren Unbekanntheit sein. Mehr dürfte ihr hingegen die unter den Strafbehörden fehlende Beliebtheit der Ersatzforderung als solches zum Verhängnis werden. Für die verfahrensleitenden Staatsanwälte bedeuten Vermögensbeschlagnahmungen Arbeit und zwar zusätzlich zur eigentlichen Beweisführung. Zeitliche Ressourcen sind jedoch infolge der personellen Gegebenheiten knapp. Folglich beschränken sich auch diejenigen, denen Vermögensabschöpfung geläufig ist, auf den Deliktsnachweis und damit die Beweiskette zur Sicherstellung der Bestrafung des Beschuldigten. Ich kann nicht leugnen, dass die Strafgerichte der Ersatzforderung ihrerseits ebenfalls nicht zu mehr Beliebtheit verhelfen. Nicht selten verzichten sie unter Verweis auf Art. 71 Abs. 2 StGB auf eine solche. Dem diesbezüglichen Argument der Uneinbringlichkeit kann die engagierte Staatsanwältin aber das Wasser abgraben. Der Verzicht seitens des Gerichts eine Ersatzforderung auszusprechen, ist nämlich meist die Folge eines Antrags auf Ersatzforderung ohne entsprechend beschlagnahmte und damit zur Deckung verfügbare Vermögenswerte.

Vermögensabschöpfung in der Praxis

Was heisst das nun? Wo setze ich welche Instrumente an und ein? Wo erhalte ich die nötigen Informationen? Wann muss ich handeln?

Vorgehen bei der Vermögenssuche:

  • Detailliertes Vermögensverzeichnis der Steuererklärung/-veranlagung beim Steueramt (erfolgt vor Erstzugriff)
  • Grundbuchamt, Fahrzeugregister, Handelsregister (erfolgt vor Erstzugriff)
  • Bankeditionen für Bankkonten, -schliessfächer und Wertschriftendepots (erfolgt vor Erstzugriff)
  • IK-Auszug bei der kantonalen SVA (via Arbeitgeber zu Bankkontoangaben; evtl. nicht vor Erstzugriff)
  • Effekten des Beschuldigten und Dokumente mit Hinweise auf Bankverbindungen oder Lebensversicherungen (erfolgt beim Erstzugriff, Hausdurchsuchung)
  • Augen auf anlässlich der Hausdurchsuchungen, nicht nur Bargeld ist werthaltig

Vorgehen bei der Vermögenssicherung:

  • Sperrungen vornehmen (erfolgt vor oder beim Erstzugriff)
  • Jeder gesperrte bzw. sichergestellte Vermögenswert gehört in eine Beschlagnahmeverfügung (erfolgt nach Erstzugriff; Art. 71 Abs. 3 StGB nebst Art. 263 Abs. 1 StPO nicht vergessen)
  • Dem Beschuldigten vorgängige Sperren zusammen mit der Beschlagnahmeverfügung eröffnen (erfolgt nach Erstzugriff)

Vorgehen bei der Vermögensverwendung:

  • Antrag auf Ersatzforderung sowie auf Verwendung der vorgängig beschlagnahmten Vermögenswerte zu deren Gunsten stellen
  • Auch in Strafbefehlsverfahren nicht vor Ersatzforderungen und der Beschlagnahme zu deren Gunsten zurückschrecken

Es wird von Ihnen nicht gleich eine Vermögensbeschlagnahme im internationalen Kontext mittels Rechtshilfe verlangt. Konzentrieren Sie sich auf die Vermögenswerte, welche hier in der Schweiz unter dem räumlichen Geltungsbereich unserer Straferlasse liegen.

Kleiner Schritt – grosse Wirkung

Wir müssen mit unserem Handeln das geldwerte Motiv der Täter treffen. Denn mit dem «Verlust» des erlangten Deliktserlöses verschwindet auch der motivierende Gedanke, diesen später geniessen zu können. Der Verurteilte soll nach dem Strafverfahren nicht mehr in der Tasche haben, als zum Zeitpunkt als er mit der Tat anfing. Daran ändert auch ein allfälliger Strafvollzug nichts. Eine Strafe, egal ob Geldstrafe oder Freiheitsstrafe, mag ein fehlendes Abschöpfen des Deliktserlöses nie rechtfertigen.

Ein dreifacher Appell als gemeinsamer Weckruf

Werte Berufskolleginnen und -kollegen: Suchen Sie nach Vermögenswerten! Nutzen Sie das Ihnen vom materiellen und formellen Strafrecht zur Verfügung gestellte Instrumentarium. Folgen Sie nicht nur den Tatspuren, sondern betrachten Sie auch den Geldfluss und die herumstehenden Wertgegenstände. Vergessen Sie nebst den gesammelten Tatbeweisen zumindest nicht die einfach erhältlichen Vermögenswerte. Vermögensdelinquenz und Handel mit illegalen Sachen (nicht nur Betäubungsmittel) generieren Geld und werthaltige Gegenständen – also greifen Sie zu!

Geschätzte Strafverfolger mit leitender Funktion: Schaffen Sie Anreize! Fordern und fördern Sie Anstrengungen in der Vermögensabschöpfung. Wählen Sie personelle Beurteilungssysteme, die nebst der reinen Fallerledigung auch die Vornahme von Vermögensbeschlagnahme zu Gunsten einer gedeckten Ersatzforderung bewerten.

Geehrte politische Entscheidungsträger: Vermögensabschöpfung generiert Einnahmen! Sprechen Sie Stellen für eine verstärkt wirksame oder meist gar erst aufzubauende Vermögensabschöpfung. Sie bedienen dadurch nicht nur den Sicherheitsaspekt und das Motto «Verbrechen darf sich nicht lohnen», sondern können unter finanzpolitischem Aspekt gar mit zusätzlichen Staatseinnahmen rechnen.

Autor: Alain Lässer

Alain Lässer, lic. iur., Rechtsanwalt, ist seit 5 Jahren Staatsanwalt in Lenzburg-Aarau und war zuvor 5 Jahre Staatsanwalt bei der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierten Kantonalen Staatsanwaltschaft. Er absolvierte die Zusatzqualifikation MAS Economic Crime Investigation, hat während mehreren Jahren die Weiterbildungsveranstaltung Schweizer Expertenvereinigung „Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität“ organisiert und hält Referate zum Thema Vermögensabschöpfung.

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