26. Juni 2023

Wirtschaftskriminalistik

Therapie als strafrechtliche Massnahme bei Betrügern?

Therapie als strafrechtliche Massnahme bei Betrügern?

Von Dr. med. Thomas Knecht

Die Auferlegung von strafrechtlichen Massnahmen werden heutzutage bei Sexual- und Gewaltstraftätern zunehmend zum Standard – sei es als eigenständige Sanktion oder begleitend zum Strafvollzug. Auch Betrugsdelinquenten werden mitunter zu ambulanten Behandlungsmassnahmen verurteilt. Dokumentierte Erfahrungen sind indessen spärlich.

Betrugsdelikte nehmen innerhalb der Vermögensdelinquenz eine besondere Stellung ein. Im ständigen Konkurrenzkampf um Ressourcen sind Konflikte unvermeidlich. Im günstigen Falle sind einvernehmliche Lösungen möglich. In den übrigen Fällen nimmt die Auseinandersetzung unter Umständen regelwidrige Formen an. Die brachiale Variante besteht im Stehlen oder Rauben des gewünschten Gutes; die raffinierte Variante benutzt das Mittel der Täuschung, um den Eigentümer von seinem Besitz zu trennen. In den gehobenen Sphären der Wirtschaftskriminalität, wo die sogenannte «Weisskragendelinquenz» vorherrscht, sind Delikte wie Betrug und Veruntreuung die hauptsächlichsten Straftaten, welche an ihre Täter jedoch besondere Anforderungen stellen: Der erfolgreiche Betrüger erweist sich seinem Opfer gegenüber als psychologisch überlegen, weshalb man seiner Psyche mit einer rein psychopathologischen Betrachtungsweise kaum gerecht werden kann. Nach heutigem Stand der Wissenschaft kann die Psyche der Weisskragentäter am besten anhand dreier Merkmalskomplexe charakterisiert werden, welche auch als «dunkle Triade» bezeichnet werden:

  • «Narzissmus», das heisst Selbstüberschätzung und überhöhtes Anspruchsniveau.
  • «Machiavellismus», also Manipulativität und Instrumentalisierung von Mitmenschen.
  • «Psychopathie» was hochgradige Skrupellosigkeit bedeutet.

Die statistische Rückfallrate bei Betrugsdelikten soll bis über 60% betragen, was nach rückfallspräventiven Massnahmen ruft. Allerdings stellt sich die Frage, ob einem Menschen mit der besagten Charakterstruktur mit therapeutischen Mitteln überhaupt beizukommen ist.

Spezifische Probleme in der Behandlung

Angesichts des typischen Persönlichkeitsprofils dieser Täter bieten sich hier Probleme ganz grundlegender Art. Zum einen erfordert Psychotherapie ein beträchtliches Mass an Offenheit und Ehrlichkeit, dies nicht nur vom Therapeuten, für den «Selbst-Kongruenz», also Echtheit oder Unverfälschtheit, neben Empathie und Akzeptanz an erster Stelle stehen. Hier stellt sich natürlich die Frage, wie weit wir dasselbe von einem Betrüger erwarten können, dessen Geschäftsmodell darauf beruht, dass er im Kopf seines Gegenübers eine falsche Wirklichkeit heraufbeschwört, um ihn zu Fehlschlüssen, welche dem Täter nützen, zu verleiten. Ein weiterer Punkt, welcher das fruchtbare Zusammenwirken beeinträchtigen kann, besteht in den besonderen Rahmenbedingungen einer gerichtlich angeordneten Psychotherapie, welche sich markant von einer freiwilligen unterscheidet. Die Motivation ist oft extrinsisch, das heisst zielt weniger auf innere Veränderung, als auf äussere Vorteile ab. Übergeordnetes Ziel ist der Schutz der Allgemeinheit, während dem der Eigennutzen des Täters wenig berücksichtigt wird. Die Therapiedauer wird hier nicht vom Klienten bestimmt, sondern kann mit maximal 5 Jahren so grosszügig bemessen sein, dass sich Motivationsprobleme ergeben. Ein Therapieabbruch ist indessen hier nicht ohne Folgen, sondern zieht vielmehr Sanktionen nach sich. Schliesslich ist die Schweigepflicht nicht vollständig gewährleistet, zumal der Therapeut dem Zuweiser Rechenschaft schuldet, was das Misstrauen in der therapeutischen Beziehung fördern und die Offenheit schmälern kann. Des Weiteren steht die Frage im Raum, inwieweit die drei Kardinaleigenschaften des Wirtschaftskriminellen gemäss der «dunklen Triade» den therapeutischen Prozess erschweren können.

Der «Narzissmus» kann sich unter anderem auf die Zielsetzung auswirken. Oftmals befindet sich der Klient nach seinem sozialen Absturz in einer narzisstischen Krise, eventuell verbunden mit Suizidalität, so dass er den Therapeuten gerne als Führer aus der Misere akzeptiert. Wenn sich dann die psychische Stabilität wiedereingestellt hat, so entfällt diese Form der Hilfsbedürftigkeit und es besteht die Gefahr, dass der Klient erneut hochfliegende Pläne im altbekannten Stil schmiedet, was natürlich mit erheblichen Gefahren verbunden ist. Dann obliegt es dem Therapeuten, dem Klienten eine realitätsgerechtere Zukunftsvision zu vermitteln, was indessen fast regelhaft zu Differenzen betreffend die einzuschlagenden Lösungswege führt. Im ungünstigen Fall verwirklicht der Klient dann seine eigene verdeckte Agenda, derweil er den Therapeuten glauben lässt, sich nun auf dem Pfad der Tugend zu bewegen.

Was die «machiavellische Intelligenz» angeht, so muss sich der Therapeut jederzeit bewusst sein, dass er selbst das Objekt von Manipulationsversuchen werden kann, was unter Umständen bereits während der Begutachtung geschehen kann. Dies kann von der Vortäuschung eines Gesinnungswandels bis zum offenen Korruptionsversuch reichen.

Schliesslich gehen auch von den psychopathischen Wesenszügen dieser Klienten gewisse Gefahren aus, indem die damit verbundene Skrupellosigkeit jederzeit dazu führen kann, dass die Vertrauensbasis zwischen Therapeut und Klient nachhaltig erschüttert wird. So hat sich der Therapeut jederzeit bewusst zu machen, dass er hier nicht dasselbe Mass an Absprachetreue voraussetzen kann, wie er sich dies aus anderen therapeutischen Beziehungen gewohnt ist. Im krassesten Fall hat man es hier sogar mit «pathologischem Lügen» zu tun, was das therapeutische Arbeitsbündnis definitiv in Frage stellen kann. Unter diesem diagnostischen Begriff verstehen wir den unbezähmbaren Drang eines Individuums, seinem Gegenüber eine falsche Wirklichkeit vorzugaukeln.

Kognitive Verhaltenstherapie als Goldstandard

Kognitive Verhaltenstherapie ist die am besten wissenschaftlich überprüfte Therapiemethode. Im Gegensatz zur Psychoanalyse wühlt sie nicht in der Vergangenheit, sondern zielt auf eine Lösung der Probleme im «Hier und Jetzt» ab. Ursprünglich gegen Depression und Angststörungen entwickelt, bildet sie heute den Goldstandard bei Straftäterbehandlungen, geht es doch hier im besonderen Masse um die Beseitigung von unerwünschtem Verhalten, wobei das enge Zusammenspiel von Gefühlen, Gedanken und Verhalten genutzt wird. Bei Gewalt- und Sexualstraftätern ist diese Methode bereits gut etabliert; bei Betrügern, insbesondere der «Weisskragenklasse», noch nicht. Ein Grund könnte darin gesehen werden, dass die zum Teil astronomischen Gewinnaussichten bei erfolgreicher Delinquenz durch irgendwelche negativen Konsequenzen kaum aufzuwiegen sind, so dass hier mit den üblichen psychologischen Mitteln schwerlich dagegen anzukommen ist. Erschwerend fällt noch ins Gewicht, dass diese Täter ihr Handeln oftmals gar nicht als Delikt anerkennen, sondern als «Betriebsunfall» deuten und die Schuld weiter delegieren, wie zum Beispiel an die einschreitende Justiz.

Therapie ist keine wirkungsvolle Kriminalprävention

Angesichts der genannten grundsätzlichen Erschwernisse vermag es nicht zu erstaunen, dass sich in der Fachliteratur relativ wenige Zeugnisse von erfolgreichen Therapien bei Betrügern, respektive Weisskragentätern finden lassen. Diese hoch lukrativen und dabei relativ risikoarmen deliktischen Aktivitäten weisen eine verführerische Risiko-Nutzen-Bilanz auf, so dass viele Menschen immer wieder ihrem Reiz erliegen. Bei realistischer Betrachtungsweise dürfen demnach die Erwartungen, dass sich hier eine Umkonditionierung mit rein psychologischen Mitteln realisieren lässt, nicht zu hoch angesetzt werden. Anderseits gibt es keinen Grund zur Annahme, dass hier mit pharmakologischen Mitteln eine Besserung erzielt werden kann, wie dies beispielsweise bei der Kleptomanie ausgewiesen ist. Wenn es also um eine Kriminalprävention in diesem Bereich geht, so sind in erster Linie primärpräventive Massnahmen gefragt, das heisst durch hoch selektive Assessments sollten die Risiko-Kandidaten mit Zügen der «dunkeln Triade» rechtzeitig erkannt und ausgesondert werden. Ist der Schaden angerichtet, so soll vor allem vermieden werden, dass die Fehlbaren wieder in Schüsselfunktionen gelangen, in denen sie ihre Hände wieder auf grössere Geldsummen legen können. In diesem Sinne ist eine Veränderung der Verhältnisse oft einfacher und effektiver zu bewerkstelligen, als die therapeutische Beeinflussung des Verhaltens.

Quellen:

  • Beck A.T.: Cognitive therapy and the emotional disorders, International Universities Press 1975
  • Damman G.: Narzissten, Egomanen, Psychopathen in der Führungsetage, Haupt, Bern 2007
  • Gross G.: Deliktbezogene Rezidivraten im internationalen Vergleich, Dissertation LMU München, Medizinische Fakultät, 2004
  • Knecht T.: Was ist machiavellische Intelligenz?- Betrachtungen über eine wenig beachtete Seite unserer Psyche, Nervenarzt 2004, 75, 1-5
  • Paulhus D. L., Williams K.M.: The dark triad of personalitiy, J Res Pers 2002, 36, 556-563

Autor: Dr. med. Thomas Knecht

Dr. med. Thomas Knecht wuchs im Kanton Zürich auf, wo er 1983 an der Uni ZH sein Medizinstudium abschloss und zum Dr. med. promovierte. Nach der Ausbildung zum Facharzt Psychiatrie arbeitete er zunächst als Oberarzt der Suchtabteilung in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen TG, wo er später als Bereichsleiter Sucht und Forensik wirkte. Von 2012 bis 2023 war er Leitender Arzt des Psychiatrischen Zentrums AR in Herisau mit Schwerpunkt Gerichtsgutachten und Gefängnispsychiatrie.

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