22. Januar 2024

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Identitätsmissbrauch – mit dem Strafrecht gegen Persönlichkeitsverletzungen

Identitätsmissbrauch – mit dem Strafrecht gegen Persönlichkeitsverletzungen

Von Daniel S. Weber, Loris Baumgartner und Marco Hurni

Der Missbrauch einer Identität ist eine schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung. Vereinfacht durch die modernen Kommunikationsmittel ist die Anzahl der Fälle dieser Art von Missbrauch beunruhigend angestiegen. Im Zuge der neulichen Totalrevision des Datenschutzgesetzes wurde der Tatbestand des Identitätsmissbrauchs ins Strafgesetzbuch aufgenommen.  

Gemäss dem seit 1. September 2023 anwendbaren Art. 179decies StGB macht sich strafbar, wer die Identität einer anderen Person ohne deren Einwilligung verwendet, um dieser zu schaden oder um sich oder einem Dritten einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Der neue Straftatbestand ist als Vergehen ausgestaltet und mit einer Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe versehen.

Ein erster möglicher Anwendungsfall des Identitätsmissbrauchs liess nicht lange auf sich warten: Der SVP-Nationalrat Andreas Glarner verbreitete im Vorfeld der nationalen Wahlen im Oktober 2023 ein Deepfake-Video der GP-Nationalrätin Sibel Arslan. Mit der Erstellung und der Verbreitung dieses mit künstlicher Intelligenz (KI) generierten Videos durch Glarner könnte der Tatbestand des Identitätsmissbrauchs bereits kurz nach seinem Inkrafttreten erfüllt worden sein. Auf onlinereports.ch wird der Sachverhalt wie folgt geschildert: Auf X, vormals Twitter, platzierte Glarner ein 15-Sekunden-Videostatement, in dem die kurdischstämmige Politikerin angeblich den Willen bekräftigt, «dass alle kriminellen Türken ausgeschafft werden». Das Video fährt aus täuschend gut synchronisiertem Mund und der vermeintlichen Stimme von Arslan mit der Bitte fort, die SVP-Liste einzuwerfen und zweimal Glarner zu wählen. Das angebliche Arslan-Statement ist eine Fälschung. Das wird aber erst auf den zweiten Blick erkennbar: Unten links ist der Vermerk «Mit KI erstellt» zu lesen. Über dem Video steht die Zeile «Wenn Sibel Arslan ehrlich wäre». Arslan ergriff gegen die Veröffentlichung des Fake-Videos superprovisorische Massnahmen, weshalb Glarner das Video bereits einen Tag später wieder löschen musste. Andreas Glarner hat gegen diese superprovisorischen Massnahmen keine weiteren rechtlichen Schritte eingeleitet, weshalb der Entscheid des Zivilgerichts Basel-Stadt mittlerweile rechtskräftig ist. Andreas Glarner wurde zur Bezahlung der Gerichts- und Anwaltskosten von Sibel Arslan in Höhe von CHF 3’842.50 verurteilt.

Der geschilderte Fall um Andreas Glarner ist ein medienträchtiges Beispiel, auf welche Art eine fremde Identität missbraucht werden könnte. Die Identitäten der Opfer können zu unterschiedlichen Zwecken missbraucht werden, beispielsweise um jemandes Ehre zu verletzen oder um sich einen unrechtmässigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Eine Identität kann aber auch aus der blossen Lust zu schaden missbraucht werden, ohne dass ein bestimmtes Ziel verfolgt würde.

Identitätsmissbrauch galt in der Schweiz bislang nicht als Delikt. Strafbar waren einzig die Widerhandlungen, die unter Benutzung einer gestohlenen Identität begangen wurden. Bundesrat und Parlament sahen insbesondere aufgrund der technischen Entwicklungen Handlungsbedarf, um schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen neu auch strafrechtlich zu ahnden. Das Phänomen und die Problematik des Missbrauchs einer fremden Identität haben sich gemäss Botschaft durch den verbreiteten Gebrauch elektronischer Medien und entsprechender Kommunikationsmittel akzentuiert und verschärft. Die praktische Schwelle, in fremdem Namen auf sozialen Medien Äusserungen abzugeben oder via elektroni­scher Kommunikationsmittel entsprechende Handlungen auszuführen, hat sich im Vergleich zur herkömmlichen Kommunikation deutlich gesenkt.

Im Vorfeld hatten kritische Stimmen darauf hingewiesen, dass diverse Konstellationen des Identitätsmissbrauchs bereits vom geltenden Recht erfasst wären. Gerade der Fall Glarner zeigt jedoch exemplarisch, dass die Verwendung einer fremden Identität auch ausserhalb der bestehenden Normen erheblichen Schaden anrichten kann. Dem neuen Tatbestand des Identitätsmissbrauchs dürfte daher im Hinblick auf die technischen Neuerungen eine hohe Praxisrelevanz zukommen.

Tatbestandsvoraussetzungen des Identitätsmissbrauchs gemäss Art. 179decies StGB

In einem ersten Schritt macht sich strafbar, wer die Identität einer Person ohne deren Einwilligung verwendet. Der Begriff der Identität ist dabei weit auszulegen. Es muss sich dabei jedoch um die Identität einer natürlichen Person handeln, da juristische Personen nicht erfasst sind. Dies ergibt sich aus den Ausführungen in der Botschaft, welche sich ausdrücklich auf die Identität eines Menschen und die Persönlichkeit des Individuums als geschützte Rechtsgüter bezieht. Die Botschaft definiert die Identität eines Menschen als «durch verschiedene konstituierende Merkmale bestimmbar, etwa durch seinen Namen, seine Herkunft, sein Bild, die soziale, familiäre oder berufliche Positionierung, sowie durch andere persönliche Daten wie Geburtsdatum, Internetadresse, Kontonummer oder Nickname». Abstrakt lässt sich die Identität als «die Menge an Daten, durch die eine Person in einem bestimmten Zusammenhang eindeutig bezeichnet und von anderen unterschieden werden kann», zusammenfassen.

So klar diese Definition grundsätzlich scheint, so einfach ergeben sich aus ihr heraus weitere Probleme. Es stellt sich die Frage, ob die Vermischung von Identitätsmerkmalen einer Person mit fiktiven Angaben ebenfalls unter Art. 179decies StGB zu subsumieren ist. Zu denken ist beispielsweise an die Verwendung eines Bildes einer realen natürlichen Person mit den Angaben eines falschen Namens. Hier werden sich die zuständigen Staatsanwaltschaften und Gerichte zwangsläufig mit dem Einzelfall auseinandersetzen müssen. Die Verwendung eines Namens an sich kann im Normalfall nicht zu einer eindeutigen Identifizierung einer Person führen. Ein Bild lässt sich hingegen besser zuordnen. Daher wird entscheidend sein, ob man aufgrund einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalls eine zweifelsfreie Identifikation einer Person vornehmen kann oder nicht.

Weiter muss die fremde Identität verwendet werden. Dabei kann eine solche Verwendung in einer Vielzahl von Varianten bestehen. Zusammenfassend geht es darum, sich analog oder digital als eine fremde Person auszugeben. Denkbare Varianten stellen beispielsweise das oben bereits erwähnte Herstellen eines KI-generierten Videos, die Erstellung und Verwendung eines Social Media-Accounts einer fremden Person, das Bestellen in einem Online-Shop in fremden Namen oder schlicht das persönliche Vorstellen als fremde Person dar. Es kommt dabei nicht darauf an, welches Äusserungsmedium zur Verwendung der Identität verwendet wird.

Der Identitätsmissbrauch stellt ein Tätigkeitsdelikt dar, das bereits mit dem eigentlichen Begehen der Tathandlung abgeschlossen ist. Entsprechend ist es nicht notwendig, dass bei der betroffenen Person ein Schaden oder beim Täter eine Bereicherung eintritt. Ausreichend ist, wie sogleich aufgezeigt wird, dass der Täter den Eintritt eines Schadens beabsichtigt.

Folglich wird beim Täter eine Schädigungs-, beziehungsweise Vorteilsabsicht gefordert. Der in der Strafbestimmung statuierte Nachteil für den durch den Identitätsmiss­brauch Betroffenen muss eine gewisse Schwere erreichen und kann materieller oder immaterieller Natur sein. Die Verwendung einer fremden Identität aus Übermut oder Scherz ist nicht von der Strafbestimmung erfasst. Problematisch wird diesbezüglich die Abgrenzung, wann es sich nur um einen Scherz handelt und wann der Täter das Eintreten eines Schadens bei einer fremden Person für möglich hält und in Kauf nimmt. Erstellt man etwa von einem Bekannten ein Social-Media-Profil und nutzt dieses, um scherzhaft Kommentare bei öffentlichen Profilen zu hinterlassen, kann dies durchaus zu erheblichem Schaden führen. Eine Bestrafung scheint deshalb auch dann als möglich, wenn der Täter dies bloss aus Jux tat.

Mit anderen Worten liegt eine Schädigungsabsicht immer dann vor, wenn der Täter das Verursachen von «massivem Ärger» beabsichtigt. Auch hier handelt es sich wieder um einen auslegungsbedürftigen Begriff. Der massive Ärger beziehungsweise ein Reputationsschaden dürfte bereits dann gegeben sein, wenn, wie im Fall Glarner, durch ein Video Aussagen getroffen werden, die bei der betroffenen Sibel Arslan im Hinblick auf ihre Tätigkeit als Politikerin Probleme auslösen könnten.

Eine Bereicherungsabsicht liegt schliesslich vor, wenn sich der Täter durch die Verwendung der fremden Identität einen Vermögensvorteil verschaffen möchte. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Täter unter fremdem Namen auf fremde Rechnung eine Bestellung in einem Online-Shop vornimmt. 

Weitere Aspekte

In prozessualer Hinsicht ist zu beachten, dass der Identitätsmissbrauch als Antragsdelikt ausgestaltet ist. Wird eine Tat nur auf Antrag verfolgt, so kann gemäss Art. 30 Abs. 1 StGB jede Person die durch die Tat verletzt wurde, die Verfolgung jener Tat beantragen. Die Strafantragsfrist beträgt drei Monate ab Kenntnisnahme des Täters durch die geschädigte Person. Mit den technischen Neuerungen dürfte es aber zunehmend schwieriger werden, die Täterschaft zu identifizieren. Die Strafverfolgungsbehörden werden diesbezüglich gerade bei professionellen und ausländischen Tätern häufig an ihre Grenzen stossen. Nichtsdestotrotz ist es ratsam, als Opfer stets eine Strafanzeige einzureichen und dadurch ein Strafverfahren zu initiieren. Bereits im Hinblick auf eine etwaige Deckung des erlittenen Schadens durch eine Versicherung ist dieses Vorgehen hilfreich.

Identitätsmissbrauch kann schliesslich nur begangen werden, wenn die Identität ohne Einwilligung des Berechtigten verwendet wird. Selbstverständlich entfällt jegliche Strafbarkeit, wenn diejenige Person, deren Identität verwendet wird, ihre Zustimmung erteilt.

Wie die Botschaft ausführt, besteht die Möglichkeit, dass neben dem Identitätsmissbrauch als eigenständiges Delikt noch weitere Tatbestände zur Anwendung kommen. Zu denken ist etwa der Fall, bei der eine Person ein Fakeprofil erstellt und damit andere Personen verleumdet. Die Verleumdung umfasst den Unrechtsgehalt des Identitätsmissbrauchs nicht, wodurch beide Tatbestände in echter Konkurrenz zur Anwendung gelangen. Wird hingegen ein Fakeprofil in betrügerischer Absicht erstellt und verwendet, stellt dies eine mitbestrafte Vortat zum Betrug dar. Der Betrug umfasst in diesem Fall den Unrechtgehalt des Identitätsmissbrauchs, womit sich der Täter nur nach Art. 146 StGB strafbar macht.

Hohes Risiko für strafbaren Identitätsmissbrauch

Die vom Phänomen des Missbrauchs einer fremden Identität ausgehende Gefahr soll, gerade im digitalen Zeitalter, nicht unterschätzt oder verharmlost werden, auch wenn der konkrete Unrechtsgehalt der Tat und die Folgen für die geschädigte Person nicht in jedem Fall schwer sein müssen. Mit der Einführung des Identitätsmissbrauchs reagiert der Gesetzgeber auf die gestiegene Bedrohung, die mit den fortlaufenden technischen Entwicklungen, namentlich im Bereich Social Media, einhergehen. Der Straftatbestand dürfte insbesondere im Zusammenhang mit KI-Anwendungen eine wichtige Rolle einnehmen. Dabei ist zu beachten, dass eine Verfolgung der Tat nur möglich ist, wenn die geschädigte Person einen entsprechenden Strafantrag stellt. Dies bedeutet, dass zahlreiche Fälle mutmasslich gar nicht erst bestraft werden, da die geschädigte Person schlicht keine Kenntnis vom Identitätsmissbrauch hat. Wird jedoch ein Strafantrag gestellt, so liegt es an den Strafverfolgungsbehörden, derartige Vergehen auch tatsächlich zu verfolgen.

Der Identitätsmissbrauch erfasst eine Vielzahl möglicher Tatvarianten. Das Risiko einer Strafbarkeit ist dementsprechend hoch. Gerade Unternehmen, die in einem risikoanfälligen Bereich tätig sind, sind gut beraten vor der Verwendung personenidentifizierender Daten die Einwilligung der betroffenen Personen einzuholen. Empfehlenswert ist in solchen Fällen auch eine interne Richtlinie.  

Autor: Daniel S. Weber

Rechtsanwalt Daniel S. Weber ist Counsel bei Wenger Vieli und vorwiegend in den Bereichen Banken- und Finanzmarktrecht, interne und regulatorische Untersuchungen, Wirtschaftsstrafrecht und Compliance tätig. Er ist Co-Leiter der Fachgruppe Compliance & Investigations des Zürcher Anwaltsverbands und unterrichtet im CAS Economic Crime Investigation der Hochschule Luzern (HSLU). Daniel Weber berät regelmässig Unternehmen und Privatpersonen bei der Prävention von und im Umgang mit Cyber-Angriffen und damit verbundenen (internen) Untersuchungen und Strafverfahren.

Autor: Loris Baumgartner

Rechtsanwalt Loris Baumgartner ist Associate bei Wenger Vieli und insbesondere in den Bereichen Wirtschaftsstrafrecht, interne und regulatorische Untersuchungen und Compliance tätig. Vor seiner Tätigkeit bei Wenger Vieli war er unter anderem bei der Bundesanwaltschaft, Abteilung für Wirtschaftskriminalität, tätig. Er berät regelmässig Unternehmen und Privatpersonen zu Rechtsfragen im Bereich Cybercrime und damit verbundenen Untersuchungs- und Strafverfahren.

Autor: Marco Hurni

Marco Hurni ist seit Oktober 2023 als Substitut bei Wenger Vieli tätig. Er sammelt im Rahmen eines einjährigen Praktikums die notwendige Erfahrung für seine Anwaltsprüfung.

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