11. September 2023
Von Tobias Schaffner
Die Rückführung illegal erworbener Vermögenswerte, das sogenannte «Asset Recovery», hat sich in der Rechtsbranche in den vergangenen Jahren zu einem eigenen Tätigkeitsgebiet entwickelt. Es hat zum Ziel, mittels einer breiten Palette an rechtlichen Mitteln illegal entwendete Vermögenswerte zurückzugewinnen. In den Fokus rücken dabei neben den klassischen Straf- und Zivilprozessen auch zunehmend die Konkursverfahren.
Der Begriff «Asset Recovery», zu Deutsch mit «Rückführung illegal erworbener Vermögenswerte» übersetzt, ist der internationalen Rechtsbranche seit ungefähr zwei Jahrzehnten geläufig. Neben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sind auch Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Insolvenzbereich in diesem Gebiet tätig, genauso wie Staatsanwaltschaften und andere staatliche Behörden, wie etwa das Eidgenössischen Amt für auswärtige Angelegenheiten (EDA) im Zusammenhang mit der Rückführung von Potentatengeldern.
Phasen des Asset Recovery
Das Tätigkeitsgebiet des «Asset Recovery» lässt sich grob in zwei Phasen aufteilen: Die erste Phase, jene des «Asset Tracings», zielt darauf ab, die illegal entwendeten Vermögenswerte aufzuspüren. Die zweite Phase, das «Asset Recovery im engeren Sinn», dient dazu, die aufgespürten Vermögenswerte durch rechtliche Schritte zurück zur berechtigten Person zu führen.
Folge dem Geld!
Beim «Asset Tracing» gilt der Grundsatz «Follow the money», was übersetzt so viel heisst wie «Folge dem Geld». Ausgangspunkt der Nachverfolgung ist der Ort, an dem sich der entwendete Vermögenswert gemäss Kenntnis der Geschädigten zuletzt befand. Dabei handelt es sich beispielsweise um das Bankkonto der Betrüger, auf welches das Opfer eine Überweisung tätigte. Von dort werden die Geldflüsse weiterverfolgt. Für die Beschaffung von Informationen über die unrechtmässig erfolgten Transaktionen reichen die Unterlagen der geschädigten Opfer nur selten aus. Vielversprechend ist oftmals die Akteneinsicht in einem Konkurs- oder Strafverfahren.
In den meisten Fällen führt die Spur des Geldes ins Ausland. Neben Fachwissen und Erfahrung zählen in diesen Fällen Kontakte zu spezialisierten Kolleginnen und Kollegen im Zielstaat, welche helfen können, den Fluss der Gelder weiterzuverfolgen. Hierzu bieten sich gerade in den angelsächsischen Ländern Verfahren gegen Drittparteien an, etwa gegen die von den Betrügern benutzten Banken. Diese können durch Zivilgerichte gezwungen werden, prozessrelevante Unterlagen zu den Transaktionen der Betrüger herauszugeben. Solche Einblicke in den Transaktionsverlauf erlauben es, Vermögenswerte, wie zum Beispiel gekaufte Häuser oder Luxusautos, zu lokalisieren oder den Geldfluss weiterzuverfolgen. Neben dem «Asset Tracing» mittels rechtlicher Schritte, werden in Fällen mit hoher Schadenssumme auch Privatdetektive eingesetzt, um das Vermögen der Betrüger aufzuspüren.
Rückführung zu den Anspruchsberechtigten
Im Anschluss an das «Tracing» folgt die Rückführungsphase, welche sich wie folgt aufteilt:
a) Sichernde Massnahmen
Bei der Sicherung der Gelder kommen in erster Linie klassische Instrumente, wie der Arrest und die Beschlagnahmung, zur Anwendung. Beim Arrest ersucht die geschädigte Person bei einem Zivilgericht um Sicherung respektive «Verarrestierung» der Vermögenswerte, indem sie beispielsweise die Sperrung eines Bankkontos verlangt. Die Beschlagnahmung hingegen ist den Strafverfolgungsbehörden vorbehalten. Sie setzt einen hinreichenden Tatverdacht voraus. Die geschädigte Person kann auf die Anordnung einer Beschlagnahmung hinwirken, indem sie bereits in ihrer Strafanzeige aufzeigt, dass ein solcher Tatverdacht besteht.
Wenn sich die zu sichernden Vermögenswerte im Ausland befinden, müsste grundsätzlich der Rechtshilfeweg beschritten werden. Bei der Rechtshilfe ersucht der Staat, in welchem die geschädigte Person wohnt, bei einem ausländischen Staat darum, dass dieser sichernde Massnahmen auf seinem Staatsgebiet ergreift. Allerdings funktioniert der Rechtshilfeweg oftmals nicht schnell genug. Effektiver ist stets die sofortige Intervention bei der ausländischen Empfängerbank, gefolgt von rechtlich verbindlichen Sicherungsmassnahmen vor Ort. Auch hier ist die Zusammenarbeit mit ausländischen Korrespondenzanwältinnen und –anwälten entscheidend.
Gehört die Täterschaft dem organisierten Verbrechen an, dürfte regelmässig jede Hilfe zu spät kommen. Die für das Verschieben der Deliktsumme benutzten Konten weisen am Ende jeden Tages oftmals nur geringe Guthaben auf. Es besteht damit das Risiko, dass nur Gelder von anderen Opfern eingefroren werden können. Bei diesen ist unsicher, ob eine Rückführung gelingt.
b) Gerichtliche Zusprechung der Forderung gegenüber der Täterschaft
Sind die Vermögenswerte gesichert, folgt die Phase der Durchsetzung des Anspruchs vor Gericht. In der Schweiz können Geschädigte von Straftaten ihre zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche mittels der sogenannten Adhäsionsklage im Strafverfahren geltend machen. Das Strafgericht beurteilt in diesem Fall nicht nur die strafrechtliche Verantwortung der Täterschaft, sondern auch, ob den Geschädigten ein Schadenersatz zusteht.
Meist stellt jedoch die Durchsetzung des Schadenersatzanspruchs vor einem Zivilgericht die effizientere Rückführungsoption dar, denn Strafverfahren dauern lange und erlauben den Geschädigten nur wenig Kontrolle über den Verfahrensausgang. Unabhängig davon, welcher Weg zur Durchsetzung des Anspruchs gewählt wird, ist damit zu rechnen, dass die Täterschaft gegen die ergangenen Urteile bis zur letzten Rechtsinstanz ankämpfen wird.
c) Staatliche Durchsetzung des Urteils
Wenn die Geschädigten schliesslich ein Urteil in den Händen halten, ist meist ein weiterer rechtlicher Schritt nötig, denn die Täterschaft zahlt selbst bei letztinstanzlichen Urteilen selten freiwillig. Vielmehr sehen sich Geschädigte gezwungen, eine Zwangsvollstreckung einzuleiten, um das Urteil mit Hilfe staatlicher Behörden durchzusetzen. Immerhin können die Behörden dabei vorgängig blockierte Vermögenswerte heranziehen
Konkursverfahren als Alternative
Aufgrund der beschriebenen Schwierigkeiten, die in Straf- und Zivilprozessen auftreten können, ist eine dritte Option in den Fokus der «Asset Recovery»-Gilde gerückt: Die Rückführung von Vermögenswerten im Rahmen von Konkursverfahren.
Dafür sprechen im Wesentlichen zwei Gründe:
Zum einen bedienen sich die Täter bei einem «klassischen» Anlagebetrug in der Regel einer oder gar mehrerer Gesellschaften, denen die Opfer ihr Geld anvertrauen. Als Angriffsobjekt des «Asset Recovery» bietet sich damit neben den Tätern auch die von diesen benutzten Gesellschaften an. Oftmals höhlen die Täter die von ihnen kontrollierten Gesellschaften im Verlauf des Betrugs wirtschaftlich aus, indem sie die Einlagen der Opfer für ihren luxuriösen Lebenswandel verwenden. Fliegt der Betrug auf, ist die Gesellschaft meist überschuldet. Ein Gericht am Sitz der Gesellschaft kann in solchen Fällen auf Antrag der geschädigten Gläubiger einen Liquidator oder eine Konkursverwaltung einsetzen. Damit geht die Kontrolle über die Gesellschaft der Betrüger von diesen auf den Staat, beziehungsweise auf von ihm eingesetzte Private über. Nicht nur im Konkursfall, sondern auch beim Verdacht auf einen Verstoss gegen die Finanzmarktgesetze können die Behörden die Kontrolle übernehmen. Im Fall der Crypto Handelsplattform FTX setzte etwa der Supreme Court der Bahamas auf Antrag der Securities Commission einen Liquidator für die lokalen Rechtseinheiten der FTX Gruppe ein.
Die Ernennung von Liquidatoren oder einer Konkursverwaltung führt zum zweiten Grund, weshalb Konkursverfahren für die Zwecke des «Asset Recovery» gut geeignet sind. Die Liquidatoren verfügen nämlich ab ihrer Einsetzung über umfassende Befugnisse, um die konkursite Gesellschaft im Interesse der geschädigten Gläubiger zu steuern. So sind sie befugt, alle Konten der Gesellschaft zu kontrollieren. Damit können sie die Opfer aus der Kasse der Gesellschaft entschädigen, sofern noch ein Guthaben vorhanden ist. Weiter erhalten sie von Banken und anderen Dienstleistern der Gesellschaft Einblick in sämtliche Kontounterlagen und Verträge. Dies ermöglicht ihnen ein weitreichenderes «Asset Tracing», als es einem einzelnen Opfer mittels Zivil- oder Strafverfahren zur Verfügung steht. Zudem können die Liquidatoren von Dritten unrechtmässig empfangene Leistungen zurückfordern. Zu denken ist hier insbesondere an «Geschenke» der Gesellschaft an Familienangehörige der Betrüger, welche die Liquidatoren mittels Gerichtsverfahren wieder ins Vermögen der Gesellschaft zurückführen und von dort an die Gläubiger verteilen können. Den Liquidatoren steht es weiter zu, im Namen der Gesellschaft Verwaltungsräte und Banken vor Gericht für den Schaden aus fehlender Aufsicht verantwortlich zu machen. Sie können somit nicht nur die Täter, sondern auch noch weitere Personen finanziell zur Rechenschaft ziehen.
In der Schweiz ist es üblich, dass solche Prozesse durch die Betrugsopfer geführt werden, indem sie sich die Ansprüche der Gesellschaft im Konkurs abtreten lassen. Wurde der Konkurs hingegen im Ausland eröffnet und hatte die konkursite ausländische Gesellschaft Konten bei einer Schweizer Bank, können die hiesigen Vermögenswerte mittels eines sogenannten Hilfskonkurses an die Konkursmasse im Ausland übertragen werden. Wertvolle weitere Hinweise zur Rückführung via Konkursverfahren liefert das Handbuch zur Rückführung gestohlener Vermögenswerte der Stolen Asset Recovery Initiativ (StAR) der Weltbank aus dem Jahr 2020.
Abwägung im Einzelfall
Den «Asset Recovery»-Spezialistinnen und -Spezialisten steht ein breites rechtliches Instrumentarium für die Rückführung entwendeter Vermögenswerte zur Verfügung. Ob sich ein Strafverfahren, ein Zivilverfahren oder ein Konkursverfahren am besten zur Rückführung eignet, ergibt sich jeweils aus den Umständen des Einzelfalls. Geschädigte brauchen gute Nerven, eine engagierte Recovery-Beratung, die ihnen in den mehrjährigen Verfahren Orientierung gibt, sowie oft auch eine Portion Glück im Unglück.
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