18. November 2024
Von Pascale Köster
Das Bundesgericht hat entschieden, dass interne Untersuchungen von Anwaltskanzleien, die Unternehmen in Rechtsstreitigkeiten unterstützen, grundsätzlich vom Anwaltsgeheimnis geschützt sind. Damit präzisiert das Gericht die Abgrenzung zu Compliance-Aufgaben und stärkt so die Rechtssicherheit für Unternehmen bei anwaltlicher Sachverhaltsermittlung.
Das Bundesgericht hat mit seinem Urteil vom 6. August 2024 einen bedeutenden Entscheid zugunsten des Anwaltsgeheimnisses getroffen und den Schutz für interne Untersuchungen im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten erweitert.
Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, ob eine Bank, die eine Anwaltskanzlei mit einer internen Untersuchung beauftragt hatte, den daraus entstandenen Bericht und zugehörige Unterlagen der Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Strafverfahrens übergeben musste. Die Untersuchung war im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Verfahren wegen Verdachts auf Verletzung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb initiiert worden, und die Staatsanwaltschaft forderte die Herausgabe der Dokumente als Beweismittel.
Die Vorinstanz hatte die Entsiegelung der Dokumente abgelehnt und die Rückgabe an die Bank angeordnet, da sie als geschützte Anwaltskorrespondenz eingestuft wurden. Das Bundesgericht bestätigte dieses Urteil und entschied, dass Anwaltsdokumente auch dann dem Anwaltsgeheimnis unterliegen, wenn sie im Rahmen einer internen Untersuchung angefertigt wurden, die im Kontext eines bestehenden oder drohenden Rechtsstreits steht.
Sachverhaltsermittlung als anwaltstypische Tätigkeit
Im Zentrum des Urteils stand die Frage, welche anwaltlichen Tätigkeiten vom Berufsgeheimnis umfasst sind. Gemäss Art. 264 Abs. 1 lit. d StPO dürfen bestimmte Dokumente und Gegenstände aus dem Verkehr zwischen Anwalt und Mandant nicht beschlagnahmt werden, unabhängig davon, wo sie sich befinden oder wann sie erstellt wurden. Das Anwaltsgeheimnis sichert das Vertrauen des Mandanten in seinen Anwalt und gewährleistet eine umfassende und vorbehaltlose Information des Anwalts für eine wirksame Verteidigung. Nach Bundesgericht schützt das Anwaltsgeheimnis daher nicht nur Tätigkeiten im Monopolbereich der gerichtlichen Vertretung, sondern auch alle anwaltstypischen Tätigkeiten wie rechtliche Beratung und Sachverhaltsermittlungen.
Ein zentraler Punkt des Urteils ist, dass die Sachverhaltsermittlung zur anwaltlichen Kernkompetenz gehört. Diese Aufgabe umfasst, so das Bundesgericht, die Abklärung des rechtlich relevanten Sachverhalts, welche eine fundierte rechtliche Beratung und Vertretung erst ermöglicht. Ohne detaillierte Kenntnis des Sachverhalts könne ein Anwalt keine fachgerechte Verteidigung bieten. Damit stellt das Gericht klar, dass die Tätigkeit des Anwalts in diesem Kontext als klassische Anwaltsarbeit gilt und daher vom Anwaltsgeheimnis erfasst ist.
Anwaltsgeheimnisschutz für interne Untersuchungen (vs. Compliance-Aktivitäten)
Das Urteil grenzt zudem interne anwaltliche Untersuchungen von Compliance-Aktivitäten ab und präzisiert frühere Entscheide, die Unsicherheiten zur Reichweite des Anwaltsgeheimnisses bei internen Untersuchungen hervorgerufen hatten. Dies betrifft insbesondere die Urteile «Bruno-Manser-Fonds» und «Griechische Rüstungsaffäre», in denen das Anwaltsgeheimnis für geldwäschereirechtliche Prüfungen eingeschränkt wurde, da diese als «Compliance-Aktivität» und nicht als anwaltliche Tätigkeit eingestuft wurden. In seinem neuen Entscheid hob das Bundesgericht nun jedoch hervor, dass Untersuchungen, die der Abwehr strafrechtlicher Vorwürfe bzw. bestehender oder drohender Rechtsstreitigkeiten dienen, grundsätzlich als geschützte Anwaltstätigkeit gelten.
In diesem Zusammenhang stellte das Bundesgericht ausserdem klar, dass die Notwendigkeit des Beizugs einer Anwaltskanzlei (bzw. die Frage, ob die Aufgabe auch durch einen Nicht-Anwalt hätte erledigt werden können) kein taugliches Kriterium darstellt, um die typische anwaltliche von der akzessorischen Tätigkeit abzugrenzen. Als massgebend erachtet das Bundesgericht nur, ob gesetzlich vorgeschriebene Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten dadurch umgangen werden, dass sie an eine Anwaltskanzlei delegiert werden. Im vorliegenden Fall kam das Bundesgericht zum Schluss, dass dies nicht der Fall sei.
Anwaltsgeheimnisschutz für «vorbestehende» Dokumente
Abschliessend befasste sich das Bundesgericht auch mit der Frage, ob „vorbestehende“ Beweismittel, die in einem Untersuchungsbericht referenziert oder beigelegt wurden, durch das Anwaltsgeheimnis geschützt sind.
Grundsätzlich erfasst das Anwaltsgeheimnis sämtliche Dokumente, die im Rahmen des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Klient eingebracht werden, wie Korrespondenzen oder Dokumente, die die Rechtsvertretung beschafft oder vom Klienten erhalten hat – unabhängig davon, ob sie in physischer oder elektronischer Form vorliegen. Nicht geschützt sind jedoch Beweismittel, die sich noch beim Klienten befinden oder lediglich durch Übergabe an die Anwaltskanzlei vor Ermittlungszugriffen geschützt werden sollen, da ein solches Vorgehen als rechtsmissbräuchlich gelten kann.
Im vorliegenden Fall entschied die Vorinstanz, dass das Selektieren und Analysieren eines Datenpools durch die Anwälte eine anwaltstypische Leistung darstellt und die daraus gewonnenen Dokumente daher unter das Anwaltsgeheimnis fallen. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass vorbestehende Dokumente, die nicht speziell für die anwaltliche Beratung erstellt wurden, diesem Schutz nicht unterliegen. Da die Originale der betroffenen Unterlagen jedoch weiterhin bei der Bank zugänglich waren, schloss das Bundesgericht die Gefahr einer dauerhaften Beweisentziehung aus und erkannte das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient als schützenswert an – selbst wenn dies der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen erschwert.
Kein automatischer Verlust des Anwaltsgeheimnisses bei Offenlegung an Dritte
Die als Anwaltskorrespondenz geltenden Unterlagen wurden der FINMA offengelegt, weshalb die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass sie ihren Geheimnischarakter verloren hätten.
Das Bundesgericht entschied, dass Informationen weiterhin als geheim gelten, wenn sie nur einem engen Personenkreis bekannt sind und ein Geheimhaltungsinteresse besteht. Es sei nur mit Zurückhaltung anzunehmen, dass eine Tatsache infolge allgemeiner Bekanntheit oder Zugänglichkeit nicht mehr vertraulich sei oder es an einem Geheimhaltungsinteresse bzw. Geheimhaltungswillen des Geheimnisherrn fehle. Das Bundesgericht hielt insbesondere fest, dass selbst eine freiwillige Herausgabe von solchen Tatsachen an «ausgewählte Dritte» (wie z.B. FINMA) nicht automatisch zum Verlust des Geheimnisschutzes führt, solange der Wille zur Vertraulichkeit aufrechterhalten wird. Da die Bank bei jeder Übermittlung an die FINMA klarstellte, am Anwaltsgeheimnis festhalten zu wollen, kam das Bundesgericht zum Schluss, dass das Anwaltsgeheimnis in Bezug auf die der FINMA offengelegten Unterlagen nicht aufgegeben wurde.
Stärkung des Anwaltsgeheimnisses bei internen Untersuchungen
Für Unternehmen bedeutet der neue Bundesgerichtsentscheid eine bedeutende Stärkung des Anwaltsgeheimnisses, insbesondere wenn sie interne Untersuchungen in Zusammenhang mit bestehenden oder drohenden Rechtsstreitigkeiten durchführen lassen. Der Entscheid betont die Bedeutung einer korrekten Strukturierung und Dokumentation solcher Untersuchungen. Unternehmen sollten sicherstellen, dass ein klarer Bezug zu potenziellen oder laufenden Rechtsstreitigkeiten besteht und richtig dokumentiert wird, um den Schutz des Anwaltsgeheimnisses zu gewährleisten.
Zusammengefasst schafft das Urteil wertvolle Klarheit und Rechtssicherheit. Der erweiterte Schutz des Anwaltsgeheimnisses bei internen Untersuchungen erleichtert die vertrauliche Zusammenarbeit mit Anwaltskanzleien und gewährleistet eine umfassende anwaltliche Beratung und Vertretung von Unternehmen in Rechtsstreitigkeiten, insbesondere in Strafverfahren.
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