26. Mai 2025

Financial Crime,

Governance, Risk & Compliance

Der Fall Signa aus investigativ-journalistischer Sicht

Der Fall Signa aus investigativ-journalistischer Sicht

Von Sebastian J. Reinhart

Der spektakuläre Zusammenbruch des Signa-Imperiums um René Benko erschütterte nicht nur die Immobilien- und Finanzwelt, sondern öffnete auch den Blick auf ein System, das von Intransparenz, verschachtelten Beteiligungskonstruktionen und fragwürdigen Vermögensverschiebungen durchdrungen war. Was sind die Lehren aus diesem Fall?

René Benko errichtete sein Imperium auf einem undurchsichtigen Geflecht aus Gesellschaften und Privatstiftungen, das gezielt auf Intransparenz und Machtsicherung ausgerichtet war. Im Zentrum stand eine Stiftung, die als zentrale Kontrollinstanz fungierte, finanzielle Mittel für die Unternehmensgruppe bereitstellte und zugleich Finanzierungen in eine andere, eigene Schattenstruktur ermöglichte. Diese Konstruktion machte es selbst auf Ebene der Holding für dort engagierte Co-Investoren offenbar unmöglich, die tatsächlichen gesellschaftsrechtlichen Machtverhältnisse innerhalb der Signa-Gruppe zu durchschauen – eine bittere Erkenntnis, zu der sie erst im Zuge des Zusammenbruchs der Unternehmensgruppe gelangten. Als sich dann offenbarte, auf welchem Fundament die Signa-Gruppe gebaut war.

Die Architektur des Imperiums: Verschachtelung als System

Die Grundlage für die journalistische Aufdeckung dieser „hidden structures“ bildete die systematische Aufarbeitung mit öffentlich zugänglichen Quellen. Über hunderte Firmen- und Grundbuchabfragen – in Österreich deutlich transparenter als in anderen Ländern – konnten mithilfe von klassischen Open Source Intelligence (OSINT)-Methoden bereits bei ersten Recherchen Auffälligkeiten erkannt werden, die bis zum endgültigen Kollaps des Konglomerats ihre Gültigkeit bewahren sollten. So wurde frühzeitig sichtbar, dass gesetzlich vorgeschriebene Jahresabschlüsse zahlreicher Gesellschaften der Signa-Gruppe über Jahre hinweg nicht veröffentlicht wurden, wohl um die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage für externe Beobachter zu erschweren.

Hinzu kam eine aussergewöhnlich komplexe gesellschaftsrechtliche Struktur, die weit über die im Immobiliensektor übliche Struktur mit operativen Gesellschaften (OpCos) und Immobilienbesitzgesellschaften (PropCos) hinausging. Durch den gezielten Einsatz von Privatstiftungen wurde eine zusätzliche Holdingebene eingezogen, die nicht nur der Sicherung der Kontrolle diente, sondern auch ermöglichte, externe Investoren diskret zu beteiligen, ohne deren Einfluss und das wahre Mass deren Beteiligung nach aussen sichtbar werden zu lassen.

Entscheidende Hinweise in internationalen Datenbanken

Ein vollständigeres Bild dieser Verschachtelungen, die von Liechtenstein bis nach Delaware reichen sollten, ergab sich erst durch die Auswertung internationaler Register und Datenbanken. Auch wenn die dort hinterlegten Rechtsakte auf den ersten Blick wenig Transparenz boten, fanden sich darin entscheidende Hinweise, die halfen, das komplexe Geflecht besser zu verstehen. So wurde unter anderem deutlich, dass ein wesentlicher Co-Investor enge Geschäftsbeziehungen zu einer Schweizer Privatbank unterhielt, die später wegen schwerwiegender Verstösse gegen Geldwäschereibestimmungen liquidiert wurde. Solche Verbindungen warfen zusätzliche Fragen zur Herkunft und dem Einsatz der investierten Mittel auf – Fragen, die ohne diese grenzüberschreitenden Recherchen unbeantwortet geblieben wären.

Das Imperium war damit weniger ein stabiles wirtschaftliches Gebilde als vielmehr ein fragiles Konstrukt aus wechselseitigen Abhängigkeiten, verdeckten Beteiligungen und verschobenen Vermögenswerten. Die Architektur dieses Systems war scheinbar so angelegt, dass selbst bei wachsender finanzieller Schieflage kaum jemand von aussen erkennen konnte, wie dramatisch die Lage tatsächlich war. Die systematische Verschleierung wirtschaftlicher Realitäten wurde damit zu einem zentralen Element der Strategie – und zu einem der Hauptgründe für den spektakulären Zusammenbruch, da in der sich weiter zuspitzenden Krisenlage kein externer Investor gefunden werden konnte, der noch signifikant investieren hätte können. 

Compliance als blosse Fassade

Die Signa-Gruppe verfolgte über Jahre hinweg eine gezielte Strategie, gesetzliche Transparenz- und Veröffentlichungspflichten systematisch zu umgehen. Fehlende Jahresabschlüsse in den öffentlichen Firmenbüchern waren dabei ebenso Teil des Systems wie die bewusste Inkaufnahme von Strafzahlungen durch die Firmenbuchgerichte. Interne Dokumente belegen, dass diese Strafen nicht etwa als Warnsignal verstanden, sondern im Gegenteil als geldwerter Vorteil verbucht und steuerlich geltend gemacht wurden – ein Umgang mit Compliance-Fragen, der wenig an seriöse Unternehmensführung erinnerte.

Bemerkenswert bleibt, dass trotz dieser offensichtlichen „red flags“, die bereits durch OSINT-Recherchen klar erkennbar waren, grosse Finanzinstitute mit umfassenden Compliance-Abteilungen ausgestattet, keinerlei Alarm schlugen. Ebenso wenig schien jemand zu hinterfragen, dass René Benko zwar offiziell keine operative Funktion innehatte, jedoch als „Chairman of the Advisory Board“ die zentrale Rolle spielte. Trotz dieses formal beratenden Titels war Benko direkt in die Netzwerkpflege mit seinen Investoren eingebunden und nahm aktiv an komplexen Kreditverhandlungen teil. Besonders auffällig war sein Engagement auch gegenüber internationalen Finanzinstituten, insbesondere in der Schweiz, wo er persönlich in Gespräche mit Verwaltungsräten von Banken eintrat und bis in die Details involviert war. Die Ermittlungsbehörden sehen in René Benko heute den „faktischen Geschäftsführer“ seiner Signa-Gruppe.

Auch die gesellschaftsrechtliche Struktur der Signa war auf Intransparenz ausgelegt. Ein vertrauliches Gutachten des Steuerberaters der Signa-Gruppe aus dem Jahr 2018 empfahl ausdrücklich, die Stimmrechtsverhältnisse so zu gestalten, dass keine gesetzliche Konsolidierungspflicht entstehe. Damit konnte die Erstellung eines verpflichtenden Konzernabschlusses vermieden werden, was wiederum dazu beitrug, den tatsächlichen wirtschaftlichen Zustand der Gruppe über Jahre im Unklaren zu belassen. Bis auf einen wesentlichen Investor liess sich davon bis zum bitteren Ende kein beteiligter Investor beeindrucken. Trotz mehrfacher journalistischer Konfrontation mit der faktischen Lage.

Dass all diese Umstände weder bei Aufsichtsbehörden noch bei den internen Kontrollmechanismen grosser Finanzinstitute zu einem kritischen Hinterfragen führten, ist wohl eines der gravierendsten Versäumnisse im Kontext dieses Wirtschaftsskandals.

Die Rolle der Berater: Steuer-, Rechts- und Wirtschaftsberatung als systemtragendes Element

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsberater nahmen im System Signa eine Schlüsselrolle ein. Sie entwickelten Strukturen, die eine flexible Kapitalbeschaffung und Vermögensverwaltung ermöglichten und gleichzeitig die bestehenden rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen bis an deren Grenzen ausnutzten.

Besonders auffällig war dabei die Rolle einer Steuerberaterin, die über weit mehr als ein Jahrzehnt eng in zentrale Entscheidungs- und Kontrollstrukturen eingebunden war. Neben ihrer beratenden Tätigkeit übernahm sie eine führende Position im Vorstand einer Benko-Privatstiftung und war zugleich in einem Aufsichtsgremium im Handelsbereich der Gruppe aktiv. Diese enge personelle Verflechtung zwischen beratender Funktion und Kontrollorganen wurde bereits im Jahr 2020 im Rahmen von OSINT-Recherchen durch den Autor öffentlich sichtbar und warf schon damals Fragen zur Unabhängigkeit und Rollenvermischung auf – ohne dass dies jedoch unmittelbare Konsequenzen nach sich zog.

Beschönigende Finanzberichte

Auch in der Bilanzierung und Finanzberichterstattung waren die Berater eng eingebunden. Sie begleiteten die Unternehmensführung bei der Gestaltung von Finanzberichten, die nach aussen Stabilität signalisierten, obwohl intern bereits erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten bestanden.

Zudem bestanden über Jahre hinweg enge vertragliche Bindungen zwischen der Unternehmensgruppe und der steuerlichen Beratung, die eine bevorzugte Mandatsvergabe sicherstellten. Diese langfristigen Vereinbarungen förderten eine enge Zusammenarbeit, die in der Praxis zu einer starken personellen und organisatorischen Verflechtung führte. So wurden Beratungsleistungen nicht nur zur operativen Unterstützung eingesetzt, sondern leisteten auch einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau und Erhalt der komplexen und schwer durchschaubaren Konzernstrukturen.

In welchem Umfang die involvierten Berater über die tatsächliche wirtschaftliche Lage der Gruppe informiert waren und ob es dabei zu relevanten Unterlassungen kam, ist derzeit noch Gegenstand von zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem Insolvenzverwalter und betroffenen Rechtsschutzversicherern. Die umfassende Aufarbeitung dieser Fragen steht somit weiterhin aus.

Lehren aus dem Fall Signa

Der Fall Signa zeigt, wie ein undurchsichtiges System die Aufdeckung der realen wirtschaftlichen Verhältnisse über Jahre hinweg zu verhindern versuchte. Trotz der immensen Summen, die durch das Signa-Imperium flossen, fehlte es am Ende an einem entscheidenden Faktor: echter Liquidität. Compliance wurde im Konzern nicht als integraler Bestandteil verantwortungsvoller Unternehmensführung verstanden, sondern als blosse Formalität. Gesetze galten vielfach eher als flexible Gestaltungsmöglichkeit denn als verbindlicher Rahmen.

Erstaunlich bleibt, dass schon einfache OSINT-Recherchen zu Beginn einer möglichen Geschäftsbeziehung ausgereicht hätten, um erhebliche Warnsignale zu erkennen und solche Investitionsentscheidungen zu hinterfragen – möglicherweise sogar zu unterbinden. Doch viele Investoren schenkten diesen Aspekten offenbar zu wenig Beachtung, zeigten geringes Interesse an der Herstellung einer umfassenden Faktenlage und liessen sich stattdessen von hohen Dividendenausschüttungen und scheinbarer Sicherheit durch Optionsrechte dazu verleiten, ihr Engagement bis zum Schluss weiter auszubauen. Die Lehren aus dem Fall Signa sind eindeutig: Transparenz ist keine blosse Formalität, sondern eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltiges und stabiles Wirtschaften. Und selbst die ausgeklügeltsten Verschleierungstaktiken können den unausweichlichen Kollaps nur aufschieben, aber niemals verhindern. Gerade deshalb sollte die frühzeitige Anwendung von OSINT-Methoden im Rahmen der Due Diligence künftig einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen.

Verwendete Datenquelle:

  • Fleckl, Rainer / Reinhart, Sebastian (2024): Inside Signa: Aufstieg und Fall des René Benko. Wien: edition a.

Autor: Sebastian J. Reinhart

Sebastian J. Reinhart ist Investigativ-Journalist. Während der parlamentarischen Aufarbeitung eines Bankenskandals war er 2014 bis 2017 als Referent für Untersuchungsausschüsse im österreichischen Parlament tätig. Im Anschluss war er für die Rechercheplattform Addendum tätig, wo er seinen Schwerpunkt auf investigativen Wirtschaftsjournalismus legte. Seine Beiträge erscheinen unter anderem im Spiegel, aktuell berichtet er für das österreichische Nachrichtenmagazin News, mit besonderem Fokus auf wirtschaftsforensische Recherchen.

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