25. November 2024

Cybercrime,

Forensics & Investigation,

Wirtschaftskriminalistik

KI: Ein mächtiges Tool für und gegen Kriminelle

KI: Ein mächtiges Tool für und gegen Kriminelle

Von Mona Fahmy

Mal wähnte man sich in einem Science-Fiction Film, in welchem Künstliche Intelligenz alle Grenzen sprengt, mal erfuhr man praxisnah und strukturiert, wie KI die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität deutlich effizienter gestaltet. Die 20. Tagung der SEBWK bot eine spannende Mischung an Vorträgen.

Unter dem Titel «(Cyber)-Wirtschaftskriminalität: Quo vadis in Zeiten von KI?» trafen sich am 15. November 2024 über hundert Fachleute an der Tagung der Schweizerischen Expertenvereinigung «Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität» (SEBWK) im Saal des Berner Bellevue Palace.

Wie hat sich die Wirtschaftskriminalität in den letzten 15 Jahren entwickelt? Vor welche Herausforderungen stellt uns die mit KI aufgerüstete Cyberkriminalität, und wie kann dieselbe KI die Ermittler bei ihrer Arbeit unterstützen? Diese Fragen wurden in den ersten beiden Referaten beleuchtet.

Komplexe Definition von Wirtschaftskriminalität

Olivier Beaudet-Labrecque, Professor am Institut de Lutte contre la Criminalité Economique der Hochschule Neuchâtel, hat bestehende Statistiken zur Wirtschaftskriminalität durchforscht und festgestellt, dass es schwieriger wird, Wirtschaftskriminalität aus den Statistiken zu erfassen. «Bei einem Betrug im Stil von Madoff, ist es klar, worum es sich handelt», sagt er. «Bei einem Online-Betrug jedoch weniger. Das würde eher unter Cybercrime fallen».

Generell stellt Beaudet-Labrecque fest, dass die Definition von Wirtschaftskriminalität komplex bleibt. Auch ist es weiterhin schwierig, die Kosten der Wirtschaftskriminalität richtig zu beziffern. Klar ist, dass die Digitalisierung von Straftaten Ermittler zunehmend vor grosse Herausforderungen stellen wird.

Chat GPT als krimineller Gehilfe

Stefan Gruner, Dienstchef Cyber-Ermittlungen und Lenz Baumann, Cybercrime/Digital Forensics Investigator bei der Kantonspolizei Zürich zeigten in ihrem Vortrag eindrücklich, wie erfolgreich Straftäter dank KI sein können und was Ermittler tun können, um auf Augenhöhe zu bleiben. Kreativität, Intelligenz, IT-Knowhow, all dies sind wertvolle Ressourcen, um eine Straftat zu begehen, sagt Lenz Baumann. «In der kriminellen Szene beherrscht niemand alles gleich gut. Die Idee liegt nahe, die Prozesse zu digitalisieren.» Der Mensch kontrolliert dann, was die KI ausführt.

Mit den richtigen Prompts liefern Chat Bots beispielsweise Programme für den Versand von Spam-Mails, sagt Stefan Gruner. Programmier-Wissen ist nicht dafür nicht mehr nötig. Ein anderes Thema ist Voice Cloning. «Stellen Sie sich vor, Sie telefonieren mit einer bekannten Person, die sie um eine Zahlung bittet», sagt Gruner. «Die Schwelle, sie auszuführen, ist naturgemäss tief. Sie kennen ja die Person.» Mit KI sei die Qualität des Anrufs mittlerweile so gut, dass kaum einer merkt, dass er keinen Menschen am anderen Ende der Leitung hat.

Wie kann man sich davor schützen? «Kritisch sein und bleiben», sagt Lenz Baumann. Wer sich nicht vorschnell zu etwas verleiten lasse, sondern sich Zeit nehme, zu überlegen, merke oft an kleinen Unschärfen, dass etwas nicht stimmen könne. KI habe beispielsweise teilweise noch Mühe Hände und Kleidung akkurat darzustellen.

Mit KI gegen Produktepiraterie

Carole Aubert ist Head of Legal Division des Verbands der Schweizer Uhrenindustrie. Sie beleuchtete die Bekämpfung der Produktepiraterie im Zeitalter der KI. Zwischen 2020 und 2023 hat sich die Anzahl beschlagnahmter gefälschter Artikel in Europa vervierfacht. 2022 hat China 111 Milliarden Pakete exportiert. Der exponentielle Anstieg der sozialen Netzwerke und Online-Marktplätze sowie die Komplexität der kriminellen Netzwerke und der technologische Fortschritt in der Logistik haben den Kampf gegen Produktepiraterie zu einer Herkulesaufgabe gemacht. Der Schweizer Uhrenindustrie entgingen wegen Produktefälschungen gemäss einer OECD-Studie von 2018 nahezu 2 Milliarden Franken, was einem Schaden der öffentlichen Hand von über 66 Millionen Franken an entgangenen Steuereinnahmen entspricht.

Produktfälscher nutzen KI, um Duplikate täuschend echt herzustellen oder Markenlogos unkenntlich zu machen, um die Online-Entdeckung zu erschweren.

«KI hilf uns aber auch, effizienter gegen Produktepiraterie vorzugehen», sagt Carole Aubert. Etwa durch proaktive Überwachung von Online-Marktplätzen und Social Media oder durch die automatisierte Erkennung von Fälschungen. «KI wird mit Bildern von beschlagnahmten Fälschungen gefüttert und erkennt damit Fälschungen zuverlässig.» Der Verband der Schweizer Uhrenindustrie verfüge mittlerweile über 4.8 Millionen Bilder von Fälschungen diverser Modelle und Marken. Eine andere Möglichkeit bieten durch KI unterstützte Übersetzungstools bei der Überwachung von Online-Plattformen weltweit.

Aus Science-Fiction wird Realität

Nach der Mittagspause sprach Jean-Marc Rickli, Head of Global and Emerging Risks beim Geneva Centre for Security Policy, welche systemischen Risiken unserer Gesellschaft drohen, wenn die Grenzen beim Umgang mit KI fallen. Neurotechnologien erlaubten es heute, technische Werkzeuge alleine mit der Kraft der Gedanken zu bedienen. Dies sei keine Utopie, sondern längst Realität, so Rickli.

«Unser Blind Spot kommt davon, dass wir in einer linearen Welt gelebt haben. Die Entwicklungen heute sind jedoch exponentiell», sagt er. Für ein paar hundert Dollar können DNA-Sequenzen hergestellt werden, die in der Biologie und Medizin im Guten wie Schlechten zum Gamechanger werden können. KI schaltet im Krieg ohne Gewissensbisse definierte Ziele aus. Algorithmen erlauben grossflächige Überwachung und Beeinflussung von Menschen. Bilder und Videos werden täuschend echt gefälscht. Und Chat GPT wird angewiesen, die vernichtendste Waffe der Menschheit zu finden.

Jean-Marc Rickli sieht offene Gesellschaften grösseren Risiken ausgesetzt, aber auch grösseren Chancen. «Es braucht Voraussicht, Resilienz und verantwortungsvolle Innovation».

KI versteht nur 0 und 1

Katja Böttcher, Partner bei Beyondlegal, holte mit ihrem Vortrag «AI halluziniert immer: Die Kunst, zwischen Wahrheit und Täuschung zu unterscheiden» die Expertinnen und Experten in der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität auf sichereren Boden zurück. «KI denkt nicht», sagt Katja Böttcher, «sie versteht im Prinzip immer noch nur 0 und 1». Künstliche Intelligenz basiere auf Wahrscheinlichkeiten, sie lerne Muster und Zusammenhänge, von Beispielen und Erfahrungen. Unvollständige oder unsaubere Daten, oder gar falsche Trainingsdaten, seien u.a. Gründe für falsche Resultate der KI. «Menschliche Prüfung bleibt bei komplexen und sensiblen Entscheidungen unerlässlich», sagt Katja Böttcher. Daten und Quellen müssten regelmässig validiert werden. Nachvollziehbarkeit und Transparenz werde die grosse Herausforderung für die Zukunft. «Bei richtigem Einsatz ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass KI richtig liegt. Eine Kontrolle ist aber gerade im Bereich der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und insbesondere bei Ermittlungen unabdingbar.»

Verantwortlicher Umgang ist der Schlüssel

Im letzten Referat der Tagung sprach Marco Pauli, Assistant Manager bei Forvis Mazars über die Einsatzmöglichkeiten von Datenanalysen bei der Aufdeckung von Wirtschaftskriminalität. Stiehlt ein «AI-Detektiv» bald all unsere Jobs? Oder ist AI nur ein Hype? Bei Untersuchungen können Datenanalysen dank KI deutlich effizienter sein, etwa bei einer Spesenanalyse. Mittels Datenvisualisierungen von MS PowerBI und Analysen diverser KI-Tools können verdächtige Spesenabrechnungen deutlich schneller identifiziert werden, v.a., wenn es sich um eine grosse Anzahl von Abrechnungen handelt. Auch bei der Transaktionsanalyse kann KI den entscheidenden Vorteil verschaffen.

«Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz ist auch für technisch wenig versierte Personen leicht und meist günstig zugänglich», sagt Marco Pauli. Fortgeschrittene Methoden ermöglichten auch die deutlich frühzeitige Erkennung von Betrügern und Schemen. Allerdings «müssen ethische Grundlagen speziell bei Voraussagen stets vorsichtig berücksichtigt werden». Und gerade bei gratis Dienstleistungen müsse zwingend der Datenschutz und die Kontrolle über die Daten gewährleistet sein. Nicht zuletzt sei die Datenqualität absolut entscheidend, um belastbare Ergebnisse zu erhalten. Marco Paulis Fazit: Künstliche Intelligenz bietet viele Chancen. «Jedoch muss man sich immer seiner Verantwortung bewusst sein, dass man Menschen und ihre potenziellen Verfehlungen untersucht, nicht einen Roboter».

Wir freuen uns auf die Tagung im nächsten Jahr, welche am Freitag, den 21. November 2025 wiederum im Hotel Bellevue Palace Bern stattfinden wird.


Autorin: Mona Fahmy

Mona Fahmy ist Ökonomin (MA UZH) und Absolventin des MAS Economic Crime Investigation. Sie ist Partner OSINT bei der auf IT-Forensik, Cybersecurity und Open Source Intelligence (OSINT) spezialisierten Firma Forentec AG und Vizepräsidentin der Schweizerischen Expertenvereinigung zur «Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität» SEBWK

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