22. Mai 2023

Financial Crime,

Forensics & Investigation,

Wirtschaftskriminalistik

Von der analogen zur digitalen polizeilichen Wirtschaftsermittlung – Aktuelle Herausforderungen in der Ermittlung von Betrugsfällen

<strong>Von der analogen zur digitalen polizeilichen Wirtschaftsermittlung – Aktuelle Herausforderungen in der Ermittlung von Betrugsfällen</strong>

Von Reto Manser

Die digitale Kriminalität ist auf dem Vormarsch. Im Jahr 2022 wurden gemäss der Polizeilichen Kriminalstatistik 75.6% aller erfassten Betrugsdelikte mit einem Modus Operandi der digitalen Kriminalität verübt. Um der Täterschaft das Handwerk zu legen, braucht es neue Ermittlungsansätze und alternative Formen der Zusammenarbeit – die Polizei ist gefordert.

Die technologischen Entwicklungen verändern nicht nur zunehmend unseren Alltag, sondern beeinflussen auch die Entwicklung der Kriminalität und damit auch die Strafverfolgung. Kriminelle setzen moderne Technologien, wie Internetdienste, soziale Medien oder Verschlüsselungen, ein, um ihre Ziele zu erreichen. Heutzutage beinhalten Delikte aus der Wirtschaftskriminalität immer auch eine digitale Komponente. Entsprechend bewegen sich die polizeilichen Wirtschaftsermittlerinnen und -ermittler bei ihrer Tätigkeit zunehmend vom analogen in den digitalen Raum.

Cyber-Wirtschaftskriminalität

In der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 wurden zum ersten Mal Straftaten mit einem digitalen Bezug ausgewiesen. Die Mehrheit der digitalen Straftaten entfiel dabei auf den Bereich der «Cyber-Wirtschaftskriminalität». Darunter fallen alle Arten des Cyberbetrugs, wie beispielsweise der CEO-Betrug, der Romance Scam, der Online-Anlagebetrug oder betrügerische Internet-Shops. Des Weiteren fallen unter diesen Begriff auch alle Cyberdelikte im engeren Sinne, wie zum Beispiel das Hacking, Maleware/Ransomeware oder das Phishing. Die aktuellen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 bestätigen die Verlagerung der Wirtschaftsdelikte vom analogen in den digitalen Raum. Von den insgesamt 24’195 begangenen Betrugsdelikte wurden 18’338 mit einer sogenannten digitalen Komponente registriert.

Die Ermittlerinnen und Ermittler der Polizei stehen bei der Untersuchung dieser digitalen Betrugsdelikte vor verschiedenen Herausforderungen. Im Unterschied zu früher finden die Handlungen online statt und die Täterschaft bleibt unbekannt. Der Bezug zur Schweiz wird zunehmend schwächer. Oftmals unterstehen nur noch die Geschädigten dem schweizerischen Recht. Bei der Täterschaft handelt es sich um sehr professionell organisierte Tätergruppierungen, die arbeitsteilig funktionieren und einen hohen finanziellen, organisatorischen und personellen Aufwand bezüglich der digitalen Strukturen betreiben. Sie agiert bewusst aus Drittstaaten heraus, die sich durch eine schwache Strafverfolgung und Korruption auszeichnen. Schliesslich ist die digitale Spurenlage aufgrund ihrer Volatilität und Datenmenge für die Strafverfolgerinnen und Strafverfolger eine zusätzliche Herausforderung, die spezialisiertes Know-how, unter anderem in der Sicherstellung, Auswertung und Analyse der erhobenen Daten, voraussetzt.

Ermittlungsansätze

Die Ermittlungsansätze bei den digitalen Betrugsdelikten sind, wie auch die Herausforderungen, vielseitig. Neuartige Ermittlungskonzepte, wie zum Beispiel die strukturelle Ermittlung, also das systematische Sammeln, Visualisieren und zentralisierte Auswerten von Daten, werden kombiniert mit operativen Ermittlungsverfahren, wie beispielsweise den gezielten Einsatz von geheimen Überwachungsmassnahmen. Die digitalen beziehungsweise technischen Ermittlungen, wie beispielsweise IP-Auswertungen, Quellcode-Analysen oder Open Source Intelligence (OSINT), sowie die klassischen Ermittlungsansätze, wie beispielsweise «Follow the Money» oder Registerabklärungen, ergänzen sich dabei gegenseitig. Dieser angewandte Methodenpluralismus bezweckt die Lokalisierung und Identifikation der unbekannten Täterschaft und weniger den Nachweis der Tatbestandsmässigkeit, also die Zuordnung der Betrugshandlungen zu den einzelnen Straftatbeständen.

Ein Patentrezept für einen garantierten Erfolg in der Ermittlung von digitalen Betrugsdelikten gibt es nicht. Jeder Fall ist anders und muss individuell angegangen werden. In der Praxis lassen sich dennoch eindeutige Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Ermittlung beziehungsweise Fallbearbeitung von digitalen Betrugsdelikten ableiten:

  • Ressourcen- und Know-how-Aufbau: Hier sind die Polizeikorps insbesondere bei der Rekrutierung und Weiterbildung von Spezialisten gefordert. Die Verlagerung der Kriminalität in den digitalen Raum ist Realität. Dementsprechend braucht es genügend spezialisierte Fachkräfte. Gut ausgebildetes und motiviertes Personal ist die Grundlage für den Ermittlungserfolg.
  • Intensivierte Zusammenarbeit: Eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Spezialisten der Polizei, also die sogenannte «Verbundsarbeit» zwischen der Wirtschafts- und Cyberermittlung sowie der IT-Forensik, ist das «A und O» für eine effiziente Ermittlung von digitalen Betrugsdelikten. Bekanntlich handelt es sich bei den digitalen Betrugsdelikten um überregionale Phänomene serieller Kriminalität. Seriendelikte sind Straftaten, die in gleicher Art und Weise wiederholt verübt werden. Oft handelt es sich um die gleiche Täterschaft beziehungsweise Tätergruppierung – das muss aber nicht sein. Die nationale und internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden ist daher von grösster Bedeutung.
  • Agile Ermittlung mittels Methodenpluralismus: Das Zusammenspiel von strukturellen Ermittlungsmethoden mit operativen Verfahren oder das mehrspurige Verfolgen von digitalen sowie klassischen Ermittlungsansätzen macht eine gute Fallbearbeitung aus und ist der Schlüssel zum Erfolg.
  • Zielorientierte Erhebung von Beweismitteln: Mit Blick auf die Verschlüsselung und Volatilität der Daten und der digitalen Vermögenswerte ist das taktische Vorgehen der Polizei bei Zwangsmassnahmen, wie zum Beispiel bei Hausdurchsuchungen, von Fall zu Fall auf die jeweiligen konkreten Umstände auszurichten. Darüber hinaus ist der frühzeitige Einbezug der IT-Forensik in die Ermittlungen ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um die immer grösser werdende Datenmenge bewältigen zu können.

Erfolgreiche Ermittlung digitaler Betrugsdelikte

Die erfolgreiche Ermittlung digitaler Betrugsdelikte misst sich nicht ausschliesslich daran, ob die Täterschaft verhaftet und überführt werden kann. Vielmehr sind neue Erkenntnisse, die Sicherstellung und Rückführung von Vermögenswerten oder die Erkennung von Serien, was unter Umständen für laufende oder nachfolgende Verfahren hilfreich sein kann, bereits als Erfolg zu werten.

Der nächste Beitrag auf dem Blog Economic Crime erscheint  am 5. Juni 2023.

Autor: Reto Manser

Reto Manser hat seine Masterarbeit im Rahmen des MAS Economic Crime Investigation zum Thema «Von der analogen zur digitalen polizeilichen Wirtschaftsermittlung – Aktuelle Herausforderungen in der Ermittlung von Betrugsfällen vor dem Hintergrund der Digitalisierung» verfasst. Er ist Ermittler im Dienst Cyber- und Wirtschaftsdelikte bei der Kriminalpolizei der Zuger Polizei. Bei seiner täglichen Arbeit beschäftigt er sich mit verschiedenen Arten von Wirtschaftskriminalität. Reto Manser verfügt über einen Master in Rechtswissenschaften (MLaw) sowie einen MAS in Economic Crime Investigation.

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