19. September 2022

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Whistleblower – Helden oder Verpfeifer?

Whistleblower – Helden oder Verpfeifer?

Von Manuel Zweifel

Die Schweiz wird in absehbarer Zeit über keine eigene Gesetzgebung für Whistleblowing verfügen, nachdem eine Vorlage im National- und Ständerat im Jahr 2020 definitiv gescheitert ist. Schweizerische Unternehmen müssen ausländische Regelungen zu Hinweisgebersystemen dennoch beachten, sofern sie in diesen Märkten vertreten sind. Solche Unternehmen haben einige Punkte für den Aufbau und den Betrieb eines Hinweisgebersystems zu berücksichtigen.

Verschiedene Fälle von Whistleblowing in der Vergangenheit zeigen auf, dass sich die Schweiz bereits mehrfach mit dem Thema beschäftigen musste. Als die Rolle der Schweiz während der Nazizeit aufgearbeitet wurde, war Christoph Meili Wachmann bei der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft SBG, der heutigen UBS. Im Januar 1997 übergab er brisante, zur Vernichtung vorgesehene Dokumente an die Israelitische Cultusgemeinde Zürich – trotz gesetzlichem Verbot seit Dezember 1996. Im Jahr 2008 wurde der Fall «Adam Quadroni» bekannt. Er wollte das kantonale Tiefbauamt über illegale Preisabsprachen der Bauunternehmer im Unterengadin informieren und wurde zunächst nicht ernst genommen. Nach der Meldung des in ihren Augen als Laien illegalen oder unethischen Verhaltens blieb für Meili und Quadroni kein Stein mehr auf dem anderen. Von einigen Medien wurden sie als Helden gefeiert. Andere Kreise betitelten sie als Verpfeifer, Denunzianten oder Nestbeschmutzer.

Situation in der Schweiz und im Ausland

Whistleblower, auch Hinweisgeber, Enthüller oder Aufdecker genannt, handeln aus ethischen Gründen oder aus ihrem Pflichtgefühl heraus und weisen auf Missstände oder illegales Verhalten hin. Sie offenbaren dabei geheime oder geschützte Informationen. In der Schweiz haben es diese Personen besonders schwer. Der Gesetzesvorschlag des Bundesrats zum «Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz» wurde vom Nationalrat im Jahr 2020 zum zweiten Mal nach 2015 – und damit definitiv – abgelehnt.

Anders sieht es im Ausland aus. In den USA sind Hinweisgebersysteme im Sarbanes-Oxley Act und in Grossbritannien im Bribery Act gesetzlich verankert. In der Europäischen Union (EU) trat am 16. Dezember 2019 die «Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstösse gegen das Unionsrecht melden», kurz «EU-Hinweisgeberrichtlinie», in Kraft. Die Richtlinie nimmt Unternehmen in die Pflicht, Massnahmen zu ergreifen, um Mitarbeitenden und andere Anspruchsgruppen, wie beispielsweise Kunden oder Lieferanten, unethisches oder illegales Verhalten zu melden, ohne dass sie selbst Sanktionen, wie beispielsweise eine Entlassung, befürchten müssen. Als wichtige Massnahme in der EU gilt die Einrichtung eines vertraulichen Meldekanals für Unternehmen ab 50 Mitarbeitende.

Während im Ausland Hinweisgebersysteme also gesetzlich seit einigen Jahren verankert sind, bleibt die Schweiz einstweilen ohne gesetzliche Regelung im Bereich Whistleblowing.

Vorteile eines Hinweisgebersystems

Trotz fehlenden gesetzlichen Vorschriften gibt es für Schweizer Unternehmen viele gute Gründe, um ein Hinweisgebersystem einzurichten. Es gilt als effektives Frühwarnsystem zur rechtzeitigen Erkennung von Risiken sowie zur Verhinderung von Sanktionen, wie beispielsweise Strafzahlungen oder Reputationsschäden. Dies zeigen auch die Ergebnisse im «Whistleblowing Report 2021» der EQS Gruppe und der Fachhochschule Graubünden. Darin sind die Ergebnisse einer Befragung von 1’239 Unternehmen aus Deutschland, Grossbritannien, Frankreich und der Schweiz veröffentlicht. Es kam bei gut einem Drittel der befragten Unternehmen zu Missständen. Mehr als 60 Prozent der Befragten gaben an, eine Meldestelle zu besitzen. Die grosse Mehrheit der Unternehmen mit Meldestelle ist von deren Nutzen und Effektivität überzeugt. Im Schnitt haben diese Unternehmen im Jahr 2020 34 Meldungen erhalten. Ungefähr ein Drittel der untersuchten Unternehmen konnten über 80 % des finanziellen Gesamtschadens mithilfe der Meldestelle aufdecken.

Trotz dieser positiven Zahlen darf der Kontext nicht vergessen werden, in dem eine Meldung abgesetzt wird: Die Aufdeckung von internen Verstössen ist schwierig, da solches Handeln oft im Verborgenen stattfindet und die Unternehmen um Geheimhaltung bemüht sind. Wer Kenntnisse von Verstössen hat, die auf ein unzulässiges, gesetzeswidriges Verhalten hindeuten, kann mit einer Meldung einen entscheidenden Beitrag zur Aufdeckung und Verfolgung dieser Verstösse leisten. Die Informationen können zur Beendigung der illegalen Handlungen führen und weitere Schäden für das Unternehmen abwenden.

Erfolgsfaktoren

Zu den Voraussetzungen eines funktionierenden Hinweisgebersystems gehört die Schaffung einer offenen Unternehmenskultur, mittels eines starken Bekenntnisses zu Compliance von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, dem sogenannten «tone from the top». Darüber hinaus ist zu beachten, dass Mitarbeitende und Stakeholder einem Hinweisgebersystem oft skeptisch gegenüberstehen und dieses beispielsweise als «Verpetzer-Hotline» bezeichnen oder eine «Denunziationsoffensive» wittern. Folglich müssen sie davon überzeugt werden, dass es um den Erhalt der ethischen und moralischen Werte des Unternehmens geht. Für ein funktionierendes Hinweisgebersystem sind alle Stakeholder einzubeziehen. Dazu gehören neben den Mitarbeitenden das Management, der Verwaltungsrat sowie Personen in der Compliance und Informatik. Zudem senkt die Möglichkeit, eine Meldung im Hinweisgebersystem anonym aufzugeben, die natürliche menschliche Hemmschwelle eines jeden Whistleblowers.

Meldeinhalt und Verfahren

Inhaltlich können verschiedene Meldekategorien unterschieden werden. Dazu gehören Bestechung, Korruption, Datenschutz und IT-Sicherheit, Diskriminierung, Belästigungen sowie weitere arbeitsrechtliche Probleme, Veruntreuung, Diebstahl, Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz, Geldwäscherei, Steuerdelikte und viele mehr.

Ist eine Meldung eingegangen, wird eine erste Analyse und Triage vorgenommen. Konkretisiert sich der Verdacht oder die Beschwerde, gilt es, rasche, diskrete und faire Abklärungen durchzuführen sowie provisorische Massnahmen zum Schutz der betroffenen Personen und des Unternehmens zu ergreifen. Dabei ist wichtig, auf eine durchdachte und gradlinige Kommunikation gegen innen und aussen zu achten. Gegebenenfalls sind externe, unabhängige Fachpersonen mit einer umfassenden Untersuchung zu beauftragen. Die Ergebnisse und Vorschläge des Untersuchungsberichts sind in der Folge konsequent umzusetzen.

Schlussbemerkungen

Illegales oder unethisches Verhalten kann für Unternehmen schwerwiegende Folgen haben. Aus Sicht einer guten Corporate Governance und Compliance bietet ein internes Meldesystem, ungeachtet gesetzlicher Vorschriften, eine Chance, konkreten Hinweisen rasch, diskret und fair nachzugehen. Wichtig als betroffenes Unternehmen ist es, sich auf die Meldung, das heisst die Sache selbst, zu konzentrieren und gleichzeitig Whistleblower vor allfälligen Repressionen zu schützen. Für den Einsatz eines erfolgreichen Hinweisgebersystems braucht es eine passende Unternehmenskultur, ein taugliches internes Regelwerk, klare Zuständigkeiten, verlässliche Prozesse und die richtige technische Unterstützung.

Autor: Manuel Zweifel

Manuel Zweifel ist Rechtsanwalt, Mediator und Betriebsökonom. Er arbeitet in seiner eigenen Anwaltskanzlei in einer zürcherischen Vorortsgemeinde und ist Spezialist für Regulierung, Compliance, Corporate Governance, Whistleblowing und Wirtschaftsstrafrecht.

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