Autorin: Christa Smith Lopez
Seit Monaten arbeiten wir im Homeoffice, oft jagt ein Zoom-Meeting das nächste, Kaffeepausen verbringen wir meist nur virtuell zusammen: Wie sich das auswirkt und was Führungspersonen zur Entlastung der Mitarbeitenden beitragen können, verrät Arbeits- und Organisationspsychologin Sylvia Manchen Spörri.
In einer Studie der Universität Basel lässt sich von Februar bis November 2020 verfolgen, wie die psychische Belastung der Bevölkerung zunimmt. Besonders betroffen sind jüngere Menschen zwischen 14 und 24 Jahren: Bei der ersten Messung litten weniger als 5 Prozent an depressiven Symptomen. Bis November ist dieser Wert auf 29 Prozent angestiegen. Viele sind von der veränderten Situation auf der Arbeit und in der Ausbildung belastet sowie durch häufigere Konflikte zuhause. Zudem fürchten sie sich vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie.
Ältere oder erfahrenere Personen gehen laut einer aktuellen Studie aus Deutschland tendenziell gelassener mit der Situation um. Sie haben bereits schwierige Situationen bewältigt und Strategien entwickelt im Umgang mit Krisen. Daher sind sie oft resilienter als die Jüngeren.
Menschen werden gestärkt, wenn sie eingebunden sind, Verantwortung übernehmen und an Lösungen mitarbeiten. Dadurch verlassen sie die «Opferrolle» und erleben weniger Kontrollverlust in der Krise.
Sylvia Manchen Spörri, Arbeits- und Organisationspsychologin
Das Schwierigste ist für die meisten, nicht genau zu wissen, was auf sie zukommt und keinen Einfluss darauf zu haben. Die Krise überrollt mich dann wie ein Tsunami. Führungskräfte können gegensteuern, indem sie aufzeigen, was die eigene Firma plant, um die Krise zu bewältigen. Sie sollten die Prozesse möglichst transparent machen und aufzeigen, wo die Mitarbeitenden mitwirken und wie sie Einfluss nehmen können. Aus der Resilienzforschung wissen wir: Menschen werden gestärkt, wenn sie eingebunden sind, Verantwortung übernehmen und an Lösungen mitarbeiten. Dadurch verlassen sie die «Opferrolle» und erleben weniger Kontrollverlust in der Krise.
Richtig gestaltet birgt Homeoffice sicher das Potenzial, die Gesundheit und Produktivität der Mitarbeitenden zu fördern. Fakt ist: Tendenziell arbeiten wir zuhause mehr. Laut einer Studie der Universität Basel leisten Mitarbeitende im Homeoffice zwischen eineinhalb und sechs Stunden Mehraufwand pro Woche. Deshalb sind sie aber nicht automatisch produktiver. Schwierigkeiten lassen sich im Homeoffice leichter verbergen. Manche überfordern sich sogar – etwa wenn sie zu stark auf die Resultate fokussieren und zu wenig beachten, wie viel Zeit sie investieren. Der informelle Kontakt zwischendurch ist deshalb essenziell, um den Puls zu fühlen, wie es den Mitarbeitenden geht und wie sie vorankommen.
Mit Boundary Management: Ich überlege mir, wie ich Arbeit und Freizeit voneinander abgrenzen möchte und stärke damit meine Work-Life-Balance. Meine Kollegin Leila Gisin hat herausgefunden, dass es unterschiedliche Boundary-Typen gibt: Jene die segmentieren und Arbeit und Privatleben strikte voneinander trennen. Jene, die die Lebensbereiche vermischen und ineinander integrieren. Die meisten sind jedoch Mischtypen und trennen oder integrieren Arbeit und Privatleben je nach Aufgabe.
Für Integrierer sind Arbeit und Leben oft gleichbedeutend und erfüllend. Es spielt ihnen daher keine Rolle, wann und wo sie arbeiten. Besonders herausfordernd ist das ständige Homeoffice für Mischtypen. Auch mir geht es so: Aufgaben, die Ruhe und Konzentration erfordern, erledige ich gerne zuhause. Telefongespräche beispielsweise lieber im Büro. Jetzt sind aber alle Aufgaben bei mir zuhause angekommen. Ich muss mein gewohntes Boundary Management ins Homeoffice übertragen und neue Grenzen ziehen. An welchem Tag will ich alle Telefongespräche führen, wann in Ruhe und konzentriert an etwas arbeiten? Nach wie vielen Stunden fahre ich den Computer herunter? Setze ich mich am Abend noch einmal vor den Bildschirm? Im Homeoffice verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben, was das Abschalten erschwert und zu Schlafproblemen führen kann.
Wenn innerhalb des Teams komplett andere Vorstellungen herrschen, düngt dies den Nährboden für Konflikte. Idealerweise entwickelt das Team die Boundary-Strategie gemeinsam. Was soll vor Ort stattfinden? Was zuhause? Wann bin ich erreichbar?
Eine Schlüsselrolle spielen die Führungspersonen. Sie sollten die Grenzen respektieren und als gutes Beispiel vorangehen. Das klingt selbstverständlicher, als es ist. Vorgesetzte arbeiten oft sehr viel und sind auch ausserhalb der normalen Bürozeiten erreichbar. Mails am Wochenende oder Anrufe am Abend können Mitarbeitenden jedoch signalisieren, dass dies auch von ihnen erwartet wird. Auch hier sind klare Absprachen und Grenzen nötig. Sie stärken die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden – und der Führungskräfte.
Ideen entstehen oft im direkten, informellen Austausch – auf dem Gang oder am Kopierer. Das Gegenüber in der direkten sozialen Interaktion zu spüren, fördert zudem Empathie. Fehlt dieser direkte Austausch, wird beispielsweise das Wir-Gefühl geschwächt. Auch die Vertrauensbasis in Führungsbeziehungen oder virtuellen Teams lässt sich analog leichter aufbauen, danach ist digital vieles möglich.
Ich finde es wichtig, als Arbeitgeber zu signalisieren, dass wir auch über informelle Dinge sprechen müssen. Gerade im Homeoffice geht das rasch vergessen. Eine virtuelle Kaffeepause mit allen Mitarbeitenden gleichzeitig entspricht jedoch wenig der Realität. Im echten Café bilden sich automatisch Untergruppen und jeweils zwei, drei Leute führen einen Dialog. Manchmal möchte man ja auch nicht, dass alle mithören.
Der strukturierte Gesprächsablauf bei Video-Meetings mit grossen Gruppen bremst den informellen Austausch zusätzlich. Ich würde daher Breakout-Sessions und eher virtuelle Pausen zu zweit oder in kleineren Kreisen anregen. Auch die Begegnung im virtuellen Office ist hier eine Hilfe.
In der Vergangenheit hat man bereits versucht, die informelle Begegnung in virtuellen Teams nachzubauen – mit geringem Erfolg. Neue Impulse kommen nun durch Entwicklungen im Bereich der Virtual Reality und aus der Welt der Games, die ein realistischeres Feeling ermöglichen. Mit «Wonder» beispielsweise lässt sich das eigene Büro virtuell nachbauen: Wenn ich morgens ankomme, kann ich die Kollegen erst einmal virtuell begrüssen oder durch die offene Tür der Chefin laufen und mich spontan austauschen. Die Zukunft wird zeigen, ob uns diese neuen Tools in der sozialen Interaktion unterstützen können.
Generell gilt: Je komplexer die Aufgabe, desto ungeeigneter sind digitale Medien. Denn der digitale Austausch führt durch die begrenzte Anzahl der Kanäle zu einer gewissen Verarmung in der Kommunikation . Diverse Signale sind schwieriger wahrnehmbar oder entfallen komplett wie beispielsweise die Körpersprache. Dadurch erhalte ich weniger Resonanz auf meine Aussagen, spüre mein Gegenüber weniger. Schwierigkeiten tauchen deshalb immer dann auf, wenn ich das Verständnis sicherstellen muss oder Feedback benötige. Will ich beispielsweise gemeinsam etwas Neues entwickeln, brauche ich zusätzliche Kanäle wie Stimmlage und Gesichtsausdruck, um Missverständnisse zu vermeiden.
Der digitale Austausch führt durch die begrenzte Anzahl der Kanäle zu einer gewissen Verarmung in der Kommunikation.
Sylvia Manchen Spörri, Arbeits- und Organisationspsychologin
Durch Videokonferenzen ist es sehr einfach geworden, die Leute zusammenzubringen. Das verleitet dazu, mehr Meetings zu planen als vorher. Bei manchen reiht sich in der Agenda Call an Call, Pausen gehen vergessen, da der Raumwechsel wegfällt. Diese Dichte ermüdet uns.
Da es in Videokonferenzen schwerer fällt, Mimik, Stimmlage oder Körpersprache zu lesen, müssen wir uns zudem stärker konzentrieren, um die Inhalte aufzunehmen. Das ist anstrengend. Die Gespräche müssen stärker moderiert werden und verlangsamen sich durch die koordinierte, sequenzielle Abfolge. Dadurch benötigst du mehr Zeit, um ans Ziel zu gelangen.
Indem wir überlegen, welche gemeinsamen Aufgaben wir unterstützt durch welche Medien erledigen wollen. Wenn Aufgabe und Medium zusammenpassen, erhöht das nicht nur die Produktivität, sondern entlastet auch die Mitarbeitenden. Nicht für alles ist ein Zoom-Meeting die erste Wahl. Manche Aufgaben lassen sich mit einem anderen Team-Tool, schriftlich per Email oder bei einem bilateralen Telefongespräch besser erledigen. Wenn es eine Videokonferenz sein soll, darauf achten, dass sie nicht zu lange dauert – nach 45 Minuten nimmt unsere Konzentrationsfähigkeit deutlich ab.
Im ganzen Tagesablauf gezielt Pausen und Bewegung einplanen, um ab und zu vom Bildschirm wegzukommen. Wir unterschätzen oft, wie anstrengend die Arbeit am Computer ist. Bei Einführung des Internets lautete die Empfehlung, nicht mehr als vier Stunden pro Tag am Bildschirm zu arbeiten. Heute kann sich das niemand mehr vorstellen.
Prof. Dr. Sylvia Manchen Spörri ist Arbeits- und Organisationspsychologin und leitet seit 2019 den Bachelorstudiengang Business Psychologie an der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Im Zentrum ihrer Forschungstätigkeit steht das Thema Leadership: Wie entwickeln Führungskräfte zusammen mit ihren Mitarbeitenden ein gemeinsames Führungsverständnis? Gibt es unterschiedliche Führungsstile und Erwartungen an männliche oder weibliche Führungspersonen? Wie kann ich virtuelle Teams erfolgreich führen? Seit den Anfängen des Internets beschäftigt sie sich zudem mit der digitalen Kommunikation und untersucht, wie sich neue Technologien auf die Kommunikation, Zusammenarbeit und Gesundheit auswirken.
Universität Basel (2020). Starker Anstieg an psychischer Belastung in der zweiten Covid-19-Welle
Swiss Corona Study. Zusammenfassung der Originalstudie von Dominique de Quervain et al. Abgerufen am 25.1.2021 von https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Corona-Stress-Study-Resultate-der-zweiten-Befragung.html
Röhr, Susanne, Reininghaus, Ulrich & Riedel-Heller, Steffi G. (2020). Mental and social health in the German old age population largely unaltered during COVID-19 lockdown: results of a representative survey. Preprint. Abgerufen am 25.1.2021 von https://psyarxiv.com/7n2bm/
Rupietta, Kira & Beckmann, Michael (2016). Arbeit im Homeoffice: Förderung der Arbeitsbereitschaft oder Einladung zum Faulenzen? PERSONALquarterly 03 / 16, 16-21.
Gisin, Leila (2019). Dem persönlichen Bedürfnis entsprechende Grenzen zwischen Arbeit und privat setzen: Wie Sie anhand Boundary Management sich und Ihre Mitarbeitenden zu einer gesunden Work-Life-Balance in einer von Entgrenzung bedrohten Arbeitswelt anleiten können. Organisator: Das Magazin für KMU, 101/04(04/19), 30-31. Abgerufen am 2.2.2021 von https://zenodo.org/record/3248860#.YBkwV-hKhzo
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