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Ist die Welt noch immer ein Dorf?

Ist die Welt noch immer ein Dorf?
Brückenbauerin

Quo Vadis, interkulturelles Leadership im 21. Jahrhundert

Lange galt die Zusammenarbeit über Landes- und Kulturgrenzen in Teams, Projekten, zwischen Firmen und anderen Organisationen als Selbstverständlichkeit – ganz besonders für Unternehmen in der international stark vernetzten Schweizer Wirtschaft. Führungskräfte in Unternehmen fast jeder Grösse agierten tagtäglich in einer global vernetzten Welt mit Mitarbeitenden, Partnern, Lieferanten und Kunden aus unterschiedlichen Regionen, Kulturen und Zeitzonen. Diese globale Kooperation erfuhr im Verlauf der letzten 24 Monate eine ungewohnte Disruption. Heute diskutieren wir mit den HSLU-Experten Jillaine Farrar und Sebastian Huber, was das für die interkulturelle Führungsarbeit des 21. Jahrhunderts bedeutet.

Interview: Beat Hauenstein

Nach einem heftigen Exporteinbruch im Jahr 2020 erholten sich in der Schweiz schon bis Ende 2021 fast alle Branchen und konnten mit ihrer internationalen Geschäftstätigkeit an den Erfolg der Vorjahre anknüpfen. Kehrt das internationale Geschäft jetzt zurück zum Modus Operandi von vor der Pandemie?

Sebastian Huber: Das ist sehr unwahrscheinlich. In vielen Bereichen und Branchen sind die Unterbrüche in den Produktions- und Lieferketten weiterhin spürbar und werden auch noch einige Monate das internationale Geschäft bestimmen. Ausserdem haben sich einige Veränderungen unumkehrbar etabliert – viele Geschäftsprozesse wurden in den letzten Monaten digitalisiert, die Zusammenarbeit auch über Landesgrenzen an die neuen Gegebenheiten angepasst. Es gibt wenig Gründe, diese Verbesserungen nicht auch künftig fortzuführen. Ausserdem haben sich die Erwartungen von Kunden und Mitarbeitenden nachhaltig verändert, sodass auch künftig Themen wie Nachhaltigkeit, ortsunabhängiges Arbeiten, lokale Beschaffung, CO2-Fussabdruck, Reise- und Transportkosten im In- und Ausland eine Rolle bei Managemententscheidungen spielen werden.

Jillaine Farrar: Genau! Es gilt zu akzeptieren, dass eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen in naher Zukunft wahrscheinlich nicht möglich und für viele auch nicht wünschenswert ist. Die nächste Normalität wird für Führungskräfte, Arbeitnehmende, Studierende, Lehrkräfte und Forschende anders sein. Es wird aber immer noch eine Welt sein, in der globaler Fortschritt nur durch internationale Zusammenarbeit und interkulturelles Bewusstsein erreicht werden kann.

Zur Überraschung vieler Unternehmen und Führungskräfte brach das internationale Geschäft trotz aller Einschränkungen in den letzten zwei Jahren nicht zusammen. Wie erklären Sie diese Resilienz?

Jillaine Farrar: Gute Führungskompetenzen! Wenn die Führungskraft zeigt, dass sie Interkulturalität lebt und eine nachhaltig globale Führungsrolle anstrebt, wird das Team offener für eine globale Zusammenarbeit sein. Globale Teams stehen vor Herausforderungen, aber dank der Pandemie haben sich auch viele Türen geöffnet. Kollegen, die sich vielleicht einmal im Jahr getroffen hätten, tauschen sich jetzt mehrmals im Monat per Videokonferenz aus. Das ist zwar nicht dasselbe wie eine Zusammenarbeit vor Ort, kann aber dazu beitragen, den Kontakt aufrechtzuerhalten und an der Erreichung gemeinsamer Ziele zu arbeiten.

Sebastian Huber: Insgesamt ist es vielen Unternehmerinnen und Unternehmern gelungen, ihre Geschäftsmodelle während den Herausforderungen der Pandemie so weiterzuentwickeln, dass diese eben auch mit Einschränkungen beim internationalen Personen- und Warenverkehr funktionieren. Oftmals waren Vorbereitungen beispielweise zur Digitalisierung schon getroffen worden; in der Dringlichkeit der Disruptionen konnten diese dann zügig umgesetzt werden. Auch hat die gemeinsame Betroffenheit über Branchen- und Landesgrenzen hinweg zu einer grösseren Bereitschaft geführt, auch unkonventionelle Lösungen zu finden.

In den Monaten von Lockdown und Reisebeschränkungen haben viele Firmen und Teams gelernt, erfolgreich in virtuellen Räumen und mit digitalen Werkzeugen international zusammenzuarbeiten. Und dies ganz ohne Reisezeit und -kosten. Führen wir künftig unsere internationalen Projekte und Geschäftsabschlüsse ganz ohne Geschäftsreisen durch?

Jillaine Farrar: Natürlich nicht… Die virtuelle Welt schreitet stetig voran, und es hat durchaus Vorteile, auch in Bezug auf Zeit und Kosten, wenn man nicht für jedes Treffen reisen muss. Persönliche und geschäftliche Beziehungen erreichen jedoch eine andere Ebene, wenn man sich vor Ort treffen und gemeinsam die lokale Umgebung erleben kann. Beziehungen sind wichtig!

Sebastian Huber: Rein technisch werden Innovationen die Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit immer weiterentwickeln, nicht nur im internationalen Kontext, sondern auch für generell ortsungebundenes Arbeiten. Gleichzeitig wird die Bedeutung der persönlichen Kontakte, der Aufbau vertrauensvoller Geschäfts- und Zusammenarbeitsbeziehungen zunehmen. Während die Frequenz von internationalen Reisen womöglich abnimmt, werden die Inhalte von persönlichen Treffen sich stärker auf Kernfragen des Leadership in Teams und Projekten ausrichten. Operative Aufgaben hingegen können virtuell, zeitlich und räumlich flexibel abgewickelt werden und sollten weniger der wertvollen persönlichen Zeit in Anspruch nehmen.

Was heisst das für die Anforderungen und Kompetenzen an Führungskräfte, die sich im internationalen Umfeld bewegen? Wie sind sie auch künftig erfolgreich?

Sebastian Huber: Nur weil wir uns weniger persönlich begegnen, werden die Führungsaufgaben nicht weniger. Im Gegenteil: Führungspersonen im internationalen Kontext sind erst recht gefordert, mit einer geeigneten Kombination von persönlichen und virtuellen Interaktionen die bestmögliche Wirkung in den Beziehungen mit Mitarbeitenden und Geschäftspartnern aus anderen Kulturen zu erzielen. Die bewusste Wahl für das geeignete Format und technische Werkzeug wird als zusätzliche Führungsaufgabe an Bedeutung gewinnen, gerade weil man sich nicht mehr so regelmässig und informell persönlich begegnen wird.

Jillaine Farrar: Diese neuen Kompetenzen im virtuellen und persönlichen Leadership von Teams und Projekten müssen sich Führungspersonen gezielt aneignen und fortlaufend weiterentwickeln. Dies kann heute die virtuelle Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden in der Schweiz sein, die aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen kommen und sich deswegen einen unterschiedlichen Umgang mit digitalen Werkzeugen gewohnt sind. Später müssen gezielte Entscheidungen getroffen werden, wie künftig in Projekten über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg zusammengearbeitet wird. Möglichkeiten gibt es viele; das eigene Leadership-Verständnis in der Auswahl und dem Umgang mit diesen Möglichkeiten und Herausforderungen erfordert aber eigene, neue Kompetenzen und bedarf einer gezielten Weiterbildung in internationalem Leadership.

Beat Hauenstein: Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Jillaine Farrar, Hochschule Luzern – Wirtschaft, unterrichtet interkulturelle Führungsthemen und forscht über die Internationalisierung von KMU. Mit Prof. Dr. Ingo Stolz leitet sie gemeinsam die englischsprachige Weiterbildung CAS Leading Global Teams and Projects. In ihrer Freizeit engagiert sie sich ehrenamtlich als Vizepräsidentin SIETAR Switzerland (Society for Intercultural Education, Training and Research) und ist Mitherausgeberin des Swiss Journal of Intercultural Education, Training and Research. Sie stammt ursprünglich aus Kanada und besitzt sowohl die schweizerische als auch die kanadische Staatsbürgerschaft.

Sebastian Huber lehrt und forscht an der Hochschule Luzern – Wirtschaft zu Themen des internationalen Managements und Geschäftsmodelltransformation im Luxusmarkt. Er leitet verschiedene Weiterbildungsangebote in Business Excellence und internationalem Management am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie und forscht im Rahmen seines Doktorats an der Silpakorn University in Thailand zur Business-to-Business Sharing Economy für KMU.

Das in Englisch durchgeführte CAS Leading Global Teams and Projects vermittelt die internationalen Führungskompetenzen, um Mitarbeitende, Projekte und Unternehmen erfolgreich im «Global Village» des 21. Jahrhunderts zu managen. 

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