Der Herausgeberband «Experten führen» von Peter Kels und Stephanie Kaudela-Baum beleuchtet empirisch fundiert und praxisnah ein breites Spektrum an Führungsthemen in Expertenorganisationen.
Stephanie Kaudela-Baum erzählt im Kurzinterview mit der LNL, was man bei der Führung von Expertinnen und Experten berücksichtigen muss. Stephanie Kaudela-Baum ist Führungsforscherin, Studienleiterin, leitet das Competence Center General Management und ist Co-Herausgeberin des Buches: «Experten führen. Modelle, Ideen und Praktiken für die Organisations- und Führungsentwicklung».
LNL: Warum haben Sie sich entschlossen, gemeinsam mit Ihrem Kollegen Peter Kels ein Buch zum Thema «Führung von Experten» herauszugeben? Was ist denn so speziell an der Führung von Experten?
SK: Die Leistungserbringung in Expertenorganisationen wie z.B. Hochschulen, Architekturbüros, Beratungen oder Rechtsanwaltskanzleien beruht ganz wesentlich auf dem Wissen und Können hochqualifizierter Experten/Expertinnen. Sie sind das eigentliche Produkt. Wenn ausgewählte Experten/Expertinnen z.B. die Organisation verlassen, hinterlässt das nicht selten grosse Lücken und die Organisation benötigt sehr lange, bis sie das Wissen wieder aufbauen kann. Verlässt bspw. ein bekannter Chefarzt oder eine bekannte Chefärztin ein Krankenhaus, dann werden vermutlich viele Patienten/Patientinnen dem Chefarzt bzw. der Chefärztin treu bleiben und nicht dem Krankenhaus. Experten/Expertinnen verfügen also häufig über eine sehr gute Verhandlungsposition gegenüber der Organisation und damit auch den Führungskräften. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Expertenmacht. Die Arbeitsmarktposition gesuchter Experten/Expertinnen hat sich im Kontext von Fachkräftemangel, demografischem Wandel und der wachsendenden Nachfrage nach hochqualifizierten Spezialisten/Spezialistinnen vielfach verbessert, so dass sich viele Experten/Expertinnen ihrer Alternativen am Arbeitsmarkt sehr bewusst sind und ihre Interessen wie auch Karriereziele sehr selbstbewusst verfolgen. Dies wirkt sich natürlich auch auf die Führungsbeziehung im engeren Sinne aus. Der Autonomiebedarf von Experten/Expertinnen ist im Vergleich zu anderen Organisationstypen sehr hoch. Natürlich sind auch «Manager/innen» Experten/Expertinnen, aber die Berufsausbildung ist im Fach Management nicht so stark reglementiert wie z.B. bei Ärzten/Ärztinnen, Anwälten/Anwältinnen oder Architekten/Architektinnen.
LNL: Wann spricht man eigentlich von «Experten/Expertinnen», was zeichnet diese aus?
SK: Experten/Expertinnen bzw. Professionals erlangen ihre Qualifikation in einer sehr stark formalisierten, langjährigen Ausbildung und die Einhaltung der Standards und Kriterien einer Expertentätigkeit wird häufig weder vom Markt noch von der Organisation kontrolliert, sondern durch die Profession/die Professionals selbst (z.B. die Qualifikation zum/r Professor/Professorin, zum/r Innenarchitekt/Innenarchitektin, zum/r Fachanwalt/Fachanwältin oder zum/r Facharzt/Fachärztin). Im Rahmen der beruflichen Sozialisation und Zusammenarbeit professioneller Gemeinschaften spielen z.B. gemeinsame Werte und Kollegialität eine wichtige Rolle. Das „Professional Commitment“ der Experten/Expertinnen ist oftmals wesentlich stärker ausgeprägt als ihr „Organizational Commitment“. Die Karrierewege klassischer Experten/Expertinnen folgen stärker der Logik der Profession als der der Organisation. Ein Strafrechtsprofessor und Rechtsanwalt macht z. B. in erster Linie eine Karriere als Wissenschaftler oder Fachanwalt für Strafrecht und nur in zweiter Linie als Lehrstuhlinhaber oder Partner einer Anwaltskanzlei. Prägend für die individuelle Karriere ist meistens die fachliche Entwicklung und nicht die Laufbahnentwicklung in einer Organisation. Die inhaltliche Profilierung in der Fachgemeinschaft steht nicht selten im Widerspruch zur Profilierung als Organisationsmitglied und zu dem damit verbundenen Commitment in Bezug auf den Arbeitgeber. Das erzeugt meist Dilemmata und Paradoxien, die es dann konstruktiv in Führungsbeziehungen zu gestalten gilt.
LNL: Kann man die von Ihnen genannten Experten/Expertinnen alle in einen Topf werfen?
SK: Jein, natürlich unterscheiden sich die Führungskontexte, wenn man z.B. die Führungskultur in einem Krankenhaus als Hochrisiko-Organisation mit der Führungskultur in einer Hochschule als Bildungsorganisation vergleicht, dann wird rasch klar, dass es in den jeweiligen Organisationstypen ganz spezifische Führungsthemen gibt. Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten. Die lange Ausbildungszeit, die Orientierung an Fachgemeinschaften und das hohe Commitment gegenüber diesen zeichnen beide Gruppen aus, ebenso der hohe Autonomiebedarf. Das erzeugt im Rahmen von Führungsbeziehungen nicht selten Spannungen, die es in beiden Organisationstypen gleichermassen zu bearbeiten gilt. Da sehen wir die Verbindung und das hat Peter Kels und mich auch motiviert, das Buchprojekt gemeinsam mit ganz vielen «Experten/Expertinnen» auf diesem Gebiet zu lancieren. Ich denke, die Führungsverantwortlichen dieser verschiedenen Organisationstypen könnten viel davon profitieren, wenn sie ihr Wissen systematischer austauschen würden und sich gegenseitig ihre Führungsherausforderungen vor Augen führen würden und gemeinsam ihren Führungshorizont erweitern würden.
LNL: Welche Paradoxien bzw. Widersprüche tauchen denn genau auf?
SK: Die allermeisten Expertenorganisationen stehen heute in einem Spannungsfeld multipler, miteinander konkurrierender Ansprüche und Rationalitäten und müssen ihre Leistungen in einem Kontext dynamischer Umfeldentwicklungen erbringen (u. a. Ökonomisierungsdruck, erhöhte Anforderungen an organisationale Agilität, beschleunigte Halbwertszeit von Wissen, Fachkräftemangel, Wertewandel etc.). Z.B. kämpfen Ärzte/Ärztinnen gegen immer neue Vorschriften oder Gebührenverordnungen, die die Organisation umsetzen muss, Hochschulforschende gegen Spardruck oder IT-Beratungen gegen Fachkräftemangel. Expertenorganisationen befinden sich in einer andauernden Transformationsphase, in der Experten/Expertinnen mit Führungskräften «Führung» gestalten, die mit ziemlich paradoxe Anforderungen (z.B. Qualitätsanspruch vs. Kostendruck) zu kämpfen haben. Führung in Expertenorganisationen ist daher eine äussert fordernde, voraussetzungsreiche Gestaltungsaufgabe – und erfordert reflektierende Führungspersonen, die mit Multirationalität, Komplexität, Ambiguität sowie Konflikten umgehen können und bestrebt sind, Führung trotz spannungsreichem Organisationskontext konstruktiv zu gestalten. Eigentlich muss man als Expert Leader jeden Morgen seine Bürotüre öffnen und mit der Haltung eintreten: «Paradoxien, herzlich willkommen!». Wer das nicht übt, der wird vermutlich irgendwann scheitern.
LNL: Wie ist das Buch aufgebaut? An wen richtet sich das Buch?
SK.: Neben einleitenden und vertiefenden theoretisch-konzeptionellen Beiträgen zum Wandel von Führungsanforderungen und neuen Führungsansätzen im ersten Teil des Buches werden im zweiten Teil des Buches die vielschichtigen Führungsherausforderungen exemplarisch beleuchtet. Im Zentrum dieses Teils stehen Bildungsinstitutionen, Gesundheitsorganisationen und auch Professional Service Organizations (wie z. B. Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen oder die öffentliche Verwaltung). Der dritte Teil fokussiert auf ganz konkrete Gestaltungsansätze, wie man die Führung von Experten/Expertinnen wirksam gestalten kann und welche Lehr- und Lernformen sich eignen, welche Weiterbildungskonzepte sich für diese Führungskonstellationen eignen. Das ist besonders innovativ, denn im Bereich der Weiterbildung fehlen fundierte Konzepte, wie man Führungspersonen in Expertenorganisationen führen bzw. coachen kann. Die vorhandenen Ansätze sind relativ dünn und unterscheiden sich kaum von generellen Führungsentwicklungsprogrammen.
Kontakt: Stephanie.Kaudela@hslu.ch
Kommentare
0 Kommentare
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.