Mehr als drei Viertel aller Veränderungsprojekte in Unternehmen scheitern. Grund dafür ist nicht schlechtes Projektmanagement, sondern das Verhalten der Menschen und insbesondere der Führungskräfte, sagt Beat Knechtli. Wie sich Veränderungen in Unternehmen erfolgreich gestalten lassen und was dabei in unserem Gehirn abläuft, erklärt der Changemanagement-Experte im Interview.
Herr Knechtli, Veränderungen sind seit jeher Bestandteil unseres Lebens. Wieso ist Changemanagement gerade jetzt so aktuell?
Beschleunigung ist ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang. Wir erleben dies tagtäglich, selbst der Klimawandel ist nun plötzlich doch viel rascher Realität, als wir gehofft hatten. Durch die Digitalisierung ist zudem alles viel stärker vernetzt und transparenter geworden. Der Konsument hat viel mehr Optionen und verändert dadurch auch sein Konsumverhalten. Für Unternehmen bedeutet das, dass sie sich anpassen müssen, um in dieser neuen Welt zu überleben.
Ist die Digitalisierung hauptsächlich Auslöser für Veränderung?
Nicht nur, Digitalisierung im Sinne von Automatisierung geistiger Arbeitsschritte kann auch gleichzeitig gute Voraussetzungen für Veränderung schaffen. Oft sträuben sich Mitarbeiter gegen den Wandel, weil sie überlastet sind. Durch die Digitalisierung könnte man sie in der Arbeit soweit entlasten, dass sie sich wieder aktiv mit Veränderungen beschäftigen können. Überlastung ist einer der kritischen Schlüsselfaktoren, damit Veränderung überhaupt ernsthaft angegangen werden kann.
Welche Rolle spielen Führungskräften bei Veränderungsvorhaben?
Führungskräfte haben den Auftrag in Organisationen eine gewisse Form von Stabilisierung zu erreichen – in der Regel geschieht dies über Prozesse, Vorgaben oder auch Kontrollen. Aktives und authentisch gelebtes Changemanagement (nicht nur) durch Führungskräfte ist in diesem Zusammenhang ein Schlüsselfaktor für Organisationen, die sich verändern möchten. Aber viele Führungskräfte müssen ihre Einstellung gegenüber dem Wandel erst ändern, damit sie im organisationalen Kontext erfolgreich sein können.
Was meinen Sie damit?
Führung läuft in erster Linie nicht über Prozesse, sondern über das eigene, authentische Verhalten. Viele Führungskräfte fürchten sich selber vor Veränderung. Mitarbeitende haben in der Regel weniger Probleme damit, wenn sich Prozesse oder Strukturen in einer Organisation verändern. Führungskräfte sind da oft resistenter – sie haben mehr zu verlieren. Mit dieser Einstellung können sie bei ihren Mitarbeitenden kein Vertrauen aufbauen und diese auch nicht dazu bringen, sich auf Veränderung einzulassen.
Wie gehen Unternehmen Veränderungen an? Was beobachten Sie aktuell?
Die meisten Organisationen gehen Veränderungsvorhaben mangels Know-how mit klassischen Projektmanagementmethoden an und scheitern damit in der Regel erfolgreich. Diese Methoden stammen aus einem industriellen Zeitalter und sind sehr linear. Wenn es um das Verhalten von Menschen geht, scheitern lineare Vorgehensweisen jedoch in 8 von 10 Fällen. In den meisten dieser Veränderungsprojekte stellt nicht die technische Komponente das Problem dar, sondern die Menschen, die sich mitverändern sollen. Die technische Lösung wird zwar eingeführt, aber der Rest der Organisation hat sich überhaupt nicht angepasst. Meist wird dies dann trotzdem als Erfolg taxiert.
Wie gelingen Veränderungsprozesse wirklich?
Bei jedem Veränderungsvorhaben gibt es drei Dynamiken: Die individuelle Dynamik der Einzelperson, die am Anfang jeder Überlegung zu Veränderung steht, eine Teamdynamik bestehend aus 5 bis 30 Personen, die sich in irgendeiner Form gemeinsam um eine Aufgabe kümmern und die grosse, organisationale Dynamik. Als erstes müssen Führungskräfte verstehen, welche Dynamiken auf diesen drei Ebenen ablaufen. Erst dann können sie einen Plan entwerfen, wie sie diese angehen und wo Widerstand zu erwarten ist. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von «agilem Vorgehen»: Es ist kurzzyklisch und wenig linear. In der Regel handelt es sich um Experimente und Massnahmen, die relativ rasch umgesetzt werden können, um anschliessend eine Standortbestimmung vorzunehmen und den nächsten Schritt zu planen.
Welches ist die grösste Herausforderung in diesem Zusammenhang?
Führungskräfte müssen wieder lernen Individuen zu führen und nicht Kollektive. Wir führen Menschen, keine Abteilungen: Veränderung beginnt immer auf der individuellen Ebene. Wenn es mir nicht gelingt, dem Einzelnen seinen persönlichen Nutzen aufzuzeigen, werden die Leute sich nicht begeistern oder ein Veränderungsvorhaben gar blockieren.
Und wenn die Leute trotzdem nicht mitmachen?
Wir sollten den Widerstand als Glücksfall betrachten. Denn ohne Reaktion wissen wir nicht, woran wir sind. Es geht also darum, frühzeitig Widerstand auszulösen, um herauszufinden, wo die Hürden für einen Veränderungsprozess liegen und den Widerstand – wenn er begründet ist – mit in die Veränderung aufzunehmen. Unbegründeter Widerstand ist meist Resultat ungenügender Information. Offene und transparente Kommunikation darüber, in welche Richtung sich ein Unternehmen entwickeln möchte, kann diesen aus der Welt schaffen.
Welche Rolle spielt Vertrauen dabei?
Wandel ist immer auch mit Unsicherheit verbunden, weil man nicht weiss, ob eine Veränderung auch tatsächlich in die richtige Richtung geht, deshalb ist Vertrauen in diesen Situationen ein Schlüsselthema. Es baut sich langsam auf durch die Abfolge von Erfahrungen mit Menschen, die das einhalten, was sie sagen. Es lässt sich jedoch mit einem Schlag zerstören, indem ich etwas sage und etwas anderes mache.
Was braucht es sonst noch für eine erfolgreiche Veränderung?
Es gibt keinen Standardprozess oder ein systematisches Vorgehen mit welchem man immer erfolgreich ist – jede Veränderung ist individuell. Ein wesentliches Element für das Verständnis von Veränderung liefert jedoch die moderne Hirnforschung: Dank ihr wissen wir, dass Botenstoffe im Hirn dafür sorgen, dass wir Veränderung erfolgreich vorantreiben können. Menschen sollten beispielsweise ein gewisses Mass an Vorfreude erleben, was der Botenstoff Dopamin auslöst. Dieser weckt in uns Neugierde und Mut.
Wie kann ich als Führungskraft diese Botenstoffe steuern?
Dopamin wird ausgelöst, wenn Menschen verstehen, dass für sie eine positive Entwicklung stattfindet. Es geht also wieder um den Umgang mit Widerstand. Während der Veränderung braucht es kleine Erfolgserlebnisse. Diese lösen Endorphine aus, die sogenannten Glückshormone die sich auch bei einer sportlichen Leistung einstellen. Das dritte wichtige Element ist das Beziehungshormon Oxitozin, das in der Mutter-Kind-Beziehung eine zentrale Rolle spielt und beim Thema Vertrauen wichtig ist. Mit diesen drei Botenstoffen lässt sich jede Veränderung erfolgreich orchestrieren. Führung ist in diesem Sinne nichts anderes als die Umwandlung von Impulsen in biologisch-chemische Abläufe im Gehirn – dessen sollten sich Führungskräfte stärker bewusst sein.
Ab Januar 2020 dozieren Sie im CAS Change Management an der Hochschule Luzern. Was erwartet die Teilnehmenden?
Das CAS ist entlang der drei Dimensionen Individuum – Team – Organisation aufgebaut. Jeder Teilnehmer bringt ein aktuelles Fallbeispiel aus seiner Organisation mit, dies kann eine persönliche, eine Team- oder eine Organisationsveränderung sein. Die Teilnehmenden bearbeiten die eignen Fälle parallel entlang des gesamten Programms mit Hilfe unserer Inputs und individuellen Fallcoachings. So findet der Wissenstransfer aus der Theorie in die Praxis nicht erst am Schluss, sondern laufend statt – und wir befähigen die Leute bereits während dem CAS, das Gelernte in ihrer eigenen Organisation anzuwenden und Wirkung zu erzielen.
Interview und Bild: Christa Smith Lopez
Beat Knechtli beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Changemanagement und begleitet verschiedene erfolgreiche Schweizer Firmen bei Veränderungsvorhaben. Daneben ist er als selbstständiger Berater tätig und doziert an mehreren Schweizer Fachhochschulen – ab Januar 2020 auch an der Hochschule Luzern im neuen CAS Change Management.
Die Weiterbildung zum Thema: CAS Change Management – Studienstart: 23. Januar 2020 | Info-Veranstaltung: 29. Oktober 2019 in Luzern
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