Soziokultur

«Ich kann es mir nicht erlauben, schlecht über meine Arbeit zu sprechen»

«Ich kann es mir nicht erlauben, schlecht über meine Arbeit zu sprechen»

Blick auf die Studierendentagung
«Teilhabe von Migrantinnen und Migranten»

Gegenwärtig sind es gut zwei Millionen Menschen, die in der Schweiz Heimat gefunden haben und in ihren Mitwirkungsrechten dennoch stark eingeschränkt sind. Deshalb haben Dozierende und Studierende der Soziokulturellen Animation eine spannende Tagung zum Thema «Teilhabe von Migrantinnen und Migranten» organisiert. In verschiedenen Beiträgen und Ateliers beleuchteten wir die sozialen, kulturellen politischen und wirtschaftlichen Teilhabemöglichkeiten von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz.

Eylem Demirci – Beraterin der Fachstelle Migration Zug, Ethnologin und Aktivistin – brachte es in ihrem Referat auf den Punkt: «Integration beginnt mit Partizipation und der Möglichkeit, gemeinsam etwas zu gestalten.» Die Soziale Arbeit ist aufgefordert, Partizipation auf Augenhöhe zu leben und sich dafür einzusetzen, dass Migrantinnen und Migranten aktiv mitwirken können.

Der Stand der in der Schweiz lebenden Migrantinnen und Migranten entspricht dem der Schweizer Frauen vor 1991 – bevor das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Es kann nicht sein, dass Zuwanderinnen und Zuwanderer mit ihrer Arbeitskraft die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes vorantreiben und gleichzeitig von soziokulturellen und politischen Fragen ausgeschlossen sind. Wo bleibt die Umsetzung des Konzeptes der Citoyenneté? Wer hier lebt soll hier mitbestimmen und nicht (wie in vielen Deutschschweizer Städten und Kantonen) maximal in einem «Ausländerbeirat» angehört werden, ohne je aktiv mitentscheiden zu können.

Eindrücklich schildert dies eine Frau in einem Interview in einer Videoproduktion, welche im Bachelor-Modul «Kultur und kulturelle Vermittlung» zum Tagungsthema produziert wurde. Die Frau erzählt, dass sie als Ausländerin nie schlecht über ihre Arbeit sprechen dürfe. Im Vergleich einer neu publizierten Studie: Wir Schweizerinnen und Schweizer lästern jedoch bis zu vier Stunden wöchentlich über unsere Vorgesetzten. Aber als Migrantin kann sich diese Frau das nicht leisten. Sie muss immer ihre Dankbarkeit, dass sie hier leben und arbeiten darf, in den Vordergrund stellen. Dies ist auch der Grund, weshalb wir diese Videoarbeit hier nicht online stellen. Die Angst der Protagonistinnen und Protagonisten vor Repressionen war zu gross.

Angst bzw. Ängste stellen ein verbindendes Thema zwischen Migrantinnen wie auch Migranten und Schweizerinnen sowie Schweizern dar. Die Angst vor Überfremdung, vor dem Verlust der eigenen Position in der Gesellschaft steht den Ängsten des plötzlichen nicht-mehr-geduldet-Werdens gegenüber. Doch in einem Klima der Angst ist es kaum möglich, sich kreativ und innovativ einzubringen und sich selbst und das Land weiter zu entwickeln. Wir, die schweizerische Gesellschaft als Ganzes, müssen uns von einer solchen Angstkultur befreien, damit das Know-how und die vielen Ressourcen jedes und jeder Einzelnen Früchte tragen können.

Ein junger Migrant berichtete im abschliessenden Podiumsgespräch, dass er während seiner Schulzeit jahrelang ausgegrenzt und als Ausländer stigmatisiert wurde. Erst die Hip-Hop-Kultur habe ihn «gerettet». Er wurde mit seinem Künstlernamen nicht mehr als Ausländer wahrgenommen wurde, sondern als einer von vielen coolen Jungs, die das das Rappen beherrschen. Dies erinnerte mich an einen lesenswerten Artikel «Engagement und Ausgrenzung – theoretische Zugänge zur Klärung eines ambivalenten Verhältnisses» von Chantal Munsch. In dem sie u.a. am Beispiel der Rapkultur beschreibt, wie wichtig es sei, genau hinzuhören welche Themen die Menschen beschäftigen und ihnen dann auch eine Plattform zu bieten, diese in den politischen Raum zu transferieren. Denn auch solche jugendkulturelle Engagements sind Ausdruck von Partizipation und Mitsprache und sollte von der Mehrheitsgesellschaft entsprechend aufgenommen werden. Dazu gehört die i.slam Bewegung – es lohnt sich, hinzuhören, welche (Alltags-)Geschichten junge Musliminnen und Muslime in ihren i.Slams be- und verarbeiten.

Was sind die Wünsche von Migrantinnen und Migranten? In einem zweiten Videoprojekt «Mein Wunsch» tastete sich eine Gruppe an das Thema heran und interviewte vier Migrantinnen und Migranten und setzten diese eindrücklich in Szene. Es sind dieselben Wünsche nach Anerkennung, Liebe und (beruflicher) Entfaltung, die auch wir Schweizerinnen und Schweizer hegen. Um die Teilhabe der Migrantinnen und Migranten zu stärken, braucht es auf der politischen Ebene einen Kulturwandel. Aber auch die Soziokulturelle Animation ist aufgefordert, sich daran zu beteiligen.

Katharina Barandun, Siedlungssozialarbeiterin, hat dies in ihrem Projekt zum Thema «Zusammenleben in multikulturellen Siedlungen» vorbildlich aufgezeigt. Sie ist von Tür zu Tür gegangen, hat sich für das Leben der Menschen interessiert und sie eingeladen, sich einzubringen, um gemeinsam das Zusammenleben in der Siedlung zu gestalten. Dank dieser persönlichen Einladung und dem Vertrauen, das aufgebaut wurde, haben sich viele Menschen aktiv an der Gestaltung der Siedlung beteiligt. Vätertreffs wurden aufgebaut, Kinderspielnachmittage, Frauensportkurse sowie gemeinsame Grünflächen-Putzaktionen. Wollen wir Integration, müssen wir Migrantinnen und Migranten einbeziehen. Dies beginnt damit, dass wir einen Schritt auf sie zugehen und sie einladen, sich einzubringen. Die neusten Resultate des Freiwilligenmonitors 2016 zeigen unter anderem klar auf, dass viele – vor allem ältere Migrantinnen und Migranten– Lust und Kapazität hätten, zivilgesellschaftlich zu partizipieren. Nutzen wir diese Ressourcen!

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