Soziokultur

Überwachung und Kontrolle

Überwachung und Kontrolle

Soziokulturelle Animation in Coronazeiten 2

Es ist offensichtlich, dass ein grosser Teil der Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie mit der Überwachung des Virus zu tun hat. Neben der Erforschung des Virus, seiner Weiterentwicklung, der Immunität der Infizierten etc. interessiert vor allem die Ausbreitung und Übertragung des Virus. Und da Menschen dem Virus als Aufenthaltsort dienen, heisst das Virus überwachen: Menschen überwachen. Es ist ebenfalls offensichtlich, dass die Corona-Krise auch Kontrollverlust mit sich bringt, auf der persönlichen wie auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Für die Sozialanthropologin Brigitta Hauser-Schäublin ist das Horten von Toilettenpapier ein Versuch, wenigstens die eigenen Körperöffnungen zu kontrollieren. Um die Krankheit auf gesellschaftlicher Ebene kontrollieren zu können, müssen wohl auch die einzelnen Menschen kontrolliert werden. Der Datenschützer des Kantons Zürich hält fest, eine solche Überwachung könnte aus Datenschutzsicht ohne Probleme verpflichtend eingeführt werden, sofern der gesundheitliche Nutzen erwiesen sei, beispielsweise per App. Die europäische Covid-19-App PEPP-PT setzt jedoch auf Freiwilligkeit. In der Soziokulturellen Animation gilt ebenfalls das Primat der Freiwilligkeit. Wer sich freiwillig beteiligt, tut dies aus Überzeugung und nicht aus Zwang, so die Überlegung. Und dieser Entscheid solle und könne nicht erzwungen werden, jedenfalls nicht in der gleichen Qualität. So sieht das auch Audrey Tang, die Digitalministerin Taiwans – übrigens eine Schulabbrecherin mit einem IQ über 160 und Transgender. Sie führt aus, in der Corona-Krise sei in Taiwan die Demokratie gestärkt worden. Wie geht das zusammen mit Überwachung und Kontrolle, wie sie auch in Taiwan – wenn auch in geringerem Ausmass als beispielsweise in China – zur Pandemie-Eindämmung eingesetzt wurden? Tang ist überzeugt, dass aus eigener Einsicht umgesetzte Massnahmen – also freiwillig eingehaltene Massnahmen wie beispielsweise möglichst oft zuhause zu bleiben – eine viel nachhaltigere Wirkung zeigten als die gleichen Massnahmen, wenn sie autoritär verordnet würden und man sie befolge, weil man dies einfach tun müsse. Was macht den Unterschied? Einerseits seien bloss ausgeführte, ohne eigenen (freiwilligen) Entscheid durchgeführte Massnahmen viel anfälliger auf Verschwörungstheorien und Fake News, wie sie tatsächlich auch im Zusammenhang mit Covid-19 wie Pilze aus dem Boden schiessen. Andererseits böten informierte Entscheidungen der Zivilgesellschaft die Chance eines Gefühls der Ermächtigung: WIR meistern diese Krise, WIR schaffen es, das Virus zu kontrollieren.

Es wird sich weisen, wie viele Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz die Tracking-App freiwillig herunterladen werden. Bisherige Meinungsumfragen zeigen eine hohe Zustimmung zur App, wenn sie vom Staat kommt. Fest steht, dass eine Überwachung des Virus und damit eine Kontrolle der Krankheit per App nur dann etwas bringt, wenn möglichst viele Personen sie benutzen. Bisherige Erfahrungen mit internetbasierten Applikationen zeigen, dass sie nur funktionieren, wenn sie von möglichst vielen genutzt werden.

Apps sind gut, wenn sie für den Schutz der Allgemeinheit eingesetzt werden, aber schlecht, wenn es um Ausgrenzung (der Infizierten) geht. Viele sehen in einer Tracking-App aber ein Einfallstor für weitergehende Überwachung und Kontrolle. Die Grenzen zum Zwang und zur Diskriminierung sind fliessend. Es ist deshalb wichtig, möglichst schnell wieder in eine demokratische Entscheidungsfindung zu kommen. Die Zeit des Lockdowns mit verordneten Massnahmen war verständlich und kurzfristig sicher richtig. Aber damit die Bekämpfung des Virus zu einer Sache aller wird, ist Partizipation an den Entscheidungen wichtig und unabdingbar. Eine Bedingung dafür ist (gute) Information. Eine andere ist Vertrauen in den Staat. Im Moment ist in der Schweiz beides vorhanden. Das ist erfreulich, aber nicht selbstverständlich, und muss auch von beiden Seiten gepflegt werden.


von: Simone Gretler Heusser

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