Erziehung, Bildung und Betreuung,
In vielen Schulen wird derzeit gezielt nach vermehrter sozialpädagogischer Unterstützung gefragt. Uri Ziegele, Dozent und Projektleiter an der HSLU – Soziale Arbeit, sieht darin eine wichtige Entwicklung – warnt aber zugleich davor, die Soziale Arbeit in der Schule zu eng zu denken.
Uri Ziegele, was hat sich aus Ihrer Sicht in der Schulsozialarbeit zuletzt am stärksten verändert?
Wir beobachten insbesondere in grösseren Städten, dass Schulen heute vermehrt einen bestimmten Aspekt der Sozialen Arbeit in der Schule nachfragen: die Schulsozialpädagogik. Also jene Unterstützung, die stark auf erzieherische und betreuende Aufgaben ausgerichtet ist. Das ist verständlich, weil sich die Schulsituation deutlich verändert hat – aber der Fokus auf dieses Thema allein greift zu kurz. Und welche Aufgaben hätte dann noch die Schulsozialarbeit?
Was genau fehlt Ihnen in dieser Entwicklung?
Ein von uns entwickeltes Konzept zur Sozialen Arbeit in der Schule geht deutlich weiter: Es beschreibt drei zentrale Funktionen: Prävention, Früherkennung und Behandlung von biopsychosozialen Problemen – ergänzt durch die Förderung von biopsychosozialen Potenzialen. Für uns war früh klar: Schulsozialarbeit muss über reine Krisenintervention hinausgehen. Sie soll Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung begleiten und fördern – auch jenseits von akuten Problemlagen.
Und trotzdem rückt aktuell gerade der erzieherische Aspekt stärker in den Vordergrund. Warum?
Weil der Alltag in der Schule komplexer geworden ist – etwa durch die integrative Schule. Der Grundsatz, dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen die Regelschule besuchen, ist zu begrüssen, bringt jedoch eine enorme Vielfalt ins Klassenzimmer. Unterschiedliche Lernniveaus, komplexe soziale und emotionale Aufgaben, verschiedene Verhaltensmuster – all das trifft aufeinander. Für die Lehrpersonen ist das eine grosse Herausforderung, wenn nach wie vor die Wissensvermittlung vordergründig bleibt.
Braucht es dafür neue Weiterbildungsangebote?
Diese Diskussion ist absolut legitim, und wir führen sie auch bei uns intern. Ich bin allerdings der Meinung, dass ein CAS Schulsozialpädagogik zum jetzigen Zeitpunkt zu voreilig angeboten wird, da die Bedürfnislagen der Schulen noch zu unklar sind und es eine klare konzeptionelle Unterscheidung von Schulsozialarbeit und Schulsozialpädagogik bräuchte. Wir vermitteln seit Jahren das Konzept des Luzerner Modelles, das auf den genannten drei Funktionen Prävention, Früherkennung und Behandlung von biopsychosozialen Problemen beruht und das genau für solche komplexen schulischen Situationen gedacht ist. Wird dieses Konzept konsequent umgesetzt, ist eine separate Schulsozialpädagogik innerhalb der obligatorischen Schulzeit meines Erachtens nicht nötig.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass das vorhandene Potenzial nicht ausgeschöpft wird?
Es braucht mehr Ressourcen und neue Kooperationsformen, einen engeren Austausch zwischen den unterschiedlichen Fachpersonen im Schulhaus – und vor allem: einen stärkeren Einbezug der Kinder und Jugendlichen selbst. Soziale Arbeit in der Schule funktioniert nicht im Alleingang. Sie wirkt am besten, wenn sie Teil eines gemeinsamen Verständnisses von Schule ist – und wenn alle bereit sind, an der Schule als Lern- und Lebensort mitzuwirken.
Was heisst das konkret? Wie könnte sich Schule in diesem Sinn weiterentwickeln?
Ich bin überzeugt, dass wir uns stärker mit dem Konzept der Ermöglichungsdidaktik beschäftigen sollten. Die zentrale Frage lautet: Wie kann ich Lernen ermöglichen, statt Lernen zu erzeugen? Das ist ein entscheidender Unterschied. Es geht darum, die Bedürfnisse und die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler ins Zentrum zu stellen. Dazu gehört auch, dass sie den Schulalltag stärker mitgestalten dürfen. Das heisst: Sie entscheiden mit, was, wie, wo, wann und mit wem sie lernen wollen. Dazu braucht es fachliche und überfachliche Kompetenzen sowie viel Verantwortungsbewusstsein, für mich als Individuum und die ganze Welt.
Worin liegt der Vorteil dieses Ansatzes?
Ein solches Verständnis von Unterricht verändert die Rolle aller Beteiligten. Lehrerinnen und Lehrer, weitere Fachpersonen sowie die Kinder und Jugendlichen gestalten den Schulalltag gemeinsam. Die Verantwortung verteilt sich – und genau das führt zu mehr Selbstwirksamkeit bei den Lernenden und zu weniger disziplinarischen Herausforderungen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel für eine solche Praxis?
In Skandinavien wird Schule vielfach genauso gedacht. Individuelles und projektorientiertes Arbeiten statt Frontalunterricht. Mit Kindern und Jugendlichen, die eigene Lernvorhaben umsetzen. Das führt zu den Kompetenzen, die sie später für ein selbstbestimmtes Leben brauchen – und es stärkt auch die Inklusion, Sozialisation und Kohäsion der jungen Menschen in ihrer Lebenswelt. An solchen Ansätzen sollten wir uns orientieren.
Welche Rolle spielt die Soziale Arbeit in der Schule in diesem Setting?
Nebst ihren angestammten Aufgaben kann sie diese Prozesse fördern und mittragen. Eine integrale Schulsozialarbeit bedeutet dann nicht mehr nur, in herausfordernden Einzelsituationen präsent zu sein, sondern ganze Gruppen zu begleiten, Projekte und eine gemeinsam getragene Schulhauskultur mitzugestalten, bei Konflikten zu vermitteln und lern- bzw. lebensspezifische Entwicklungen mitanzustossen. In einem solchen Schulverständnis wird Soziale Arbeit in der Schule zu einer echten Partnerin der Schule bzw. der Schulentwicklung.
Von: Ismail Osman
Veröffentlicht: 12. Mai 2025
CAS Soziale Arbeit in der Schule
Im CAS-Programm schauen wir genau auf die verschiedenen Blickwinkel von Schule und Sozialer Arbeit. Ziel ist es, dass wir verstehen, wie beide Bereiche zusammenarbeiten können. Dafür verbinden wir die verschiedenen Aufgaben zu einem gemeinsamen Verständnis.
Die Soziale Arbeit in der Schule hat drei Hauptaufgaben:
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Uri Ziegele ist seit 2011 Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Vorher war er als Schulsozialarbeiter tätig, kennt aber auch die beruflichen Herausforderungen einer Lehrerperson und eines Soziokulturellen Animators. In unterschiedlichen Forschungsprojekten evaluierte er die Schulsozialarbeit in verschiedenen Regionen und hat mit anderen Dozierenden das Luzerner Modell für die Soziale Arbeit in der Schule entwickelt.
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