19. November 2018

Allgemein

Persönlichkeitsmerkmale von White-Collar-Straftätern – No-Go’s bei der Personalselektion im Finanzbereich

Persönlichkeitsmerkmale von White-Collar-Straftätern –  No-Go’s bei der Personalselektion im Finanzbereich

Dieser Beitrag entstand während des Weiterbildungslehrgangs MAS Economic Crime Investigation und wurde von der Studienleitung als überdurchschnittlich bewertet.

Von Pierina Frick

Zwischen der Persönlichkeit eines Menschen und dem Risiko, delinquent zu werden gibt es einen klaren Zusammenhang. Dieses Wissen hilft bei der Prävention von Wirtschaftskriminalität im Unternehmen.

In Europa werden schätzungsweise 42,5 Prozent der Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität. Kein Wirtschaftssektor ist davor geschützt oder davon ausgenommen.

Die häufigsten Deliktarten sind Unterschlagung und Veruntreuung [1]. Allerdings geht man davon aus, dass nur etwa 20 Prozent der Betrugsdelikte entdeckt werden, weshalb die Dunkelziffer der betroffenen Unternehmen deutlich höher liegen dürfte [2]. Bei all diesen Straftaten ist der entscheidende beziehungsweise auslösende Faktor ein Mensch. Und dies jeweils in seiner Funktion als Mitarbeiter eines Unternehmens [3].

Von diesen so genannten „White-Collar-Delikten“  kommt eine Vielzahl jener, die unternehmensintern aufgedeckt werden, nie zur Anzeige. Nebst dem eigentlichen finanziellen Schaden befürchtet die Unternehmensleitung oftmals ein noch erheblicherer Imageschaden, wenn der Fall publik würde. Gerade in der Finanzbranche, wo Diskretion und Vertrauen eine so wichtige Rolle spielen, gilt es, einen derartigen Imageverlust, falls irgendwie möglich, zu vermeiden. Aufgrund der Tragweite des Themas sowie der Grösse des drohenden Schadens, überrascht es nicht, dass  Unternehmen das Risiko für ein solches Fehlverhalten ihrer Mitarbeitenden auf ein Minimum reduzieren möchten.

Eine wirksame und bereits weitverbreitete präventive Massnahme zur Vermeidung von Wirtschaftskriminalität ist die Einrichtung einer Compliance-Abteilung, die laufend die Einhaltung rechtlicher Vorschriften und unternehmensinterner Richtlinien prüft.

Darüber hinaus gibt es vermehrt Erkenntnisse aus der Wirtschafts- und Kriminalpsychologie, die für Unternehmen bei der Prävention von Wirtschaftskriminalität relevant sein könnten.

Dass den Unternehmen eine wichtige Rolle zukommt, zeigt sich auch daran, dass White-Collar-Straftäter sich selten als Kriminelle bezeichnen und den Grund für ihre Straffälligkeit oftmals bei Dritten, meist beim Arbeitgeber, sehen [4]. Konkret werfen die delinquenten Mitarbeiter dem Arbeitgeber vor, er habe durch mangelnde Sicherheitsmassnahmen oder Überwachungihnen erst die Möglichkeit geschaffen, eine Straftat zu begehen. Ganz im Sinne des Sprichworts „Gelegenheit macht Diebe“.

Der Faktor Mensch

Forschungsergebnisse zeigen seit längerem, dass bei Wirtschaftskriminellen bestimmte Persönlichkeitseigenschaften gehäuft vorkommen. Bekannt ist ebenfalls, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften mit einem höheren Risiko für eine spätere mögliche Straffälligkeit einhergehen [5].

White-Collar Straftäter sind hedonistischer / genusssüchtiger als Personen in derselben Position, die nicht straffällig werden. Je eher Täter persönliches Vergnügen in ihren Leben anstreben, umso weniger können sie der Versuchung widerstehen, sich unerlaubterweise zu bereichern oder das eigene Vermögen zu vermehren.

White-Collar-Straftäter sind zudem deutlich narzisstischer als nicht delinquente Personen [6], und sie sind kompetitiver, zielorientierter, hartnäckiger, dominanter, autoritärer und haben weniger verhaltensbezogene Selbstkontrolle [7]. Die Kombination dieser Persönlichkeitseigenschaften erhöht in Summe die Wahrscheinlichkeit, dass Personen mit diesen Persönlichkeitsmerkmalen illegale „Abkürzungen“ auf dem Weg zu ihrer (wie auch immer ausgerichteten) Zielerreichung nehmen.

Spannenderweise lässt sich  zudem ein Geschlechterunterschied beobachten: Frauen werden bei gleicher Position weniger straffällig und damit zu White-Collar-Straftätern als Männer [8].

Alle diese Erkenntnisse sind vor dem Hintergrund zu bewerten, dass Persönlichkeitseigenschaften  relativ veränderungsresistent und deshalb über längere Zeit hinweg stabil sind [9].

Die Frage drängt sich auf, ob und wie ein Unternehmen dieses Wissen gewinnbringend in die Selektion von Mitarbeitenden einbinden kann. Offenbar scheinen allfällige für eine spätere Straffälligkeit riskante Persönlichkeitseigenschaften bereits im Rekrutierungszeitpunkt vorzuliegen. Ein rechtzeitiges Erkennen könnte die Einstellung der betreffenden Person verhindern und dadurch indirekt als Prävention eines zukünftigen White-Collar-Delikts dienen.

Die Rekrutierung

Die Selektion von Mitarbeitenden kostet ein Unternehmen Zeit und Geld. Die beruflichen Positionen in denen die White-Collar-Straftäter tätig sind, bedürfen oftmals einer langjährigen, guten und spezialisierten Ausbildung. Es ist daher bereits jetzt üblich, im Rahmen der Personalselektion für diese Stellen sogenannte Assessment Center durchzuführen, um neben den eingereichten Bewerbungsunterlagen zusätzliche Informationen über die potentiellen Arbeitnehmer zu erhalten. Zudem holt man auch Referenzen ein oder überprüft im Lebenslauf angegebene Informationen. Allerdings waren diese Methoden bis anhin wenig erfolgreich in Bezug auf die Verhinderung von späteren White-Collar-Delikten [10].

Psychologische Testverfahren, die eine Erhebung der interessierenden risikoreichen Persönlichkeitseigenschaften ermöglichen, sind zwar vorhanden, werden aber in den meisten von Unternehmen im Finanzbereich durchgeführten Assessments  kaum verwendet. Es gibt sogar Unternehmen, die ausschließlich Leistungstests in ihren Assessments einsetzen und die Motive und Persönlichkeitsaspekte allenfalls in einem Vorstellungsgespräch erfragen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Unternehmen einige der risikoreichen Persönlichkeitseigenschaften durchaus als wünschenswerte Eigenschaften von Mitarbeitern betrachten. Richtwert sollte dabei das Maß der Ausprägung sein: Extreme sind nie wünschenswert.

Zusammenfassung und Ausblick

Unbestritten ist, dass es zwischen der Persönlichkeit eines Menschen und dem Risiko, im Laufe seines Lebens delinquent zu werden einen Zusammenhang gibt [11].

Allein deshalb lohnt sich der Einsatz von Persönlichkeitsverfahren in der Personalselektion, um erhöhte Risiken frühzeitig festzustellen.

Der Einbau von Persönlichkeitstests in die Personalselektion bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Die Verantwortlichen der HR-Abteilungen sind dementsprechend zu schulen, damit die Tests durchgeführt und ausgewertet werden können. Auch die Anwendung der Verfahren zur Erhebung von Persönlichkeitsmerkmalen haben bestimmten Limitierungen und sind nicht uneingeschränkt gültig. Jeder Test hat immer auch eine potentielle Fehlerquote und kann zu Fehlentscheiden führen [12].

Die Kosten dürfen kein ausschlaggebendes Kriterium für oder gegen den Einsatz von Persönlichkeitstests sein. Bisherige Selektionsverfahren waren in der Regel ebenfalls kosten- und zeitintensiv, zusätzliche Persönlichkeitstests würden weder finanziell noch zeitlich groß ins Gewicht fallen. Erst recht nicht, wenn man sich den potenziellen finanziellen sowie Imageschaden vor Augen hält, der einem Unternehmen durch einen einzelnen Fall von White-Collar-Kriminalität entstehen könnte.

Relativierend lässt sich festhalten, dass neben der Persönlichkeit der Mitarbeitenden weitere Faktoren wie etwa Gelegenheit, fehlende Kontrolle oder Arbeitszufriedenheit bestimmen, ob ein Mitarbeiter zum White-Collar-Straftäter wird. Die spätere Delinquenz allein an der Persönlichkeit beziehungsweise den dort verankerten Persönlichkeitseigenschaften festzumachen, greift daher zu kurz [13].  Auch ersetzt eine angepasste Personalselektion keine laufende Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher und unternehmensinterner Regelungen, wie sie eine unternehmensinterne Compliance Abteilung vornimmt. Vielmehr kann die Persönlichkeit ein Mosaikstein in der gesamten Einschätzung sein, ob ein Mitarbeiter delinquent wird oder nicht, und dieser Aspekt sollte im Rahmen des Selektionsprozesses keinesfalls übersehen werden.

Autorin: Pierina Frick

Pierina Frick arbeitet seit 2013 bei der G-Expert Anstalt in Eschen, Liechtenstein. Der Tätigkeitsbereich der G-Expert Group umfasst einerseits die Beratung in Sachversicherungsfragen, Risikomanagement und Schaden-Service, ebenso wie die Beurteilung und Taxierung von Gebäuden und Betriebseinrichtungen andererseits. Kernaufgaben von Pierina Frick sind Vertrags- und allgemeine Rechtsangelegenheiten des Unternehmens sowie das Buchhaltungswesen. Derzeit absolviert sie den berufsbegleitenden MAS-Lehrgang Economic Crime Investigation an der Hochschule Luzern.

[1] Schlegel , 2003a; Schlegel,  2003b
[2] Oliphant & Olipant, 2001
[3] Ben-David, 1991
[4] O’Brien, 2015
[5] Tupes & Christal, 2006
[6] Paulhus & Williams, 2002
[7] Ben-David, 1991; Bresser, 1978
[8] Benson& Moore, 1992; Bundeskriminalamt der Bundesrepublik Deutschland, 2004
[9] Costa & McCrae, 1988
[10] Brody, 2010
[11] Barrick et al., 2001; Berry et al., 2007; Mount et al., 2006; Sackett & Devore, 2001; Salgado, 2002
[12] MacLane & Walmsley, 2010; Ones et al., 2003
[13] Henle & Gross, 2013

Literaturverzeichnis

Barrick, M- R-, Mount, M.K., & Judge, T.A. (2001). Personality and performance at the beginning of the new millennium: What do we know and where do we go next? International Journal of Selection and Assessment, 9(1-2), 9.30.

Ben-David, S. (1991).Personality traits in white-collar offenders.Med Law, 10(6), 527-36.

Benson, M. L., & Moore, E. (1992). Are white-collar and common offenders the same? An empirical and theoretical critique of a recently proposed general theory of crime.Journal of Crime and Delinquency, 29, 251–272.

Berry, C. M., Ones, D.S. & Sackett, P.R. (2007). Interpersonal deviance, organizational deviance, and their common correlates: a review and meta-analysis. Journal of Applied Psychology, 92(2), 410.

Blickle, G., Schlegel, A., Fassbender, P., & Klein, U. (2006). Some Personality Correlates of Business White-Collar Crime.  Applied Psychology: An international Review, 55(2), 22 – 233.

Bresser, P.H. (1978). Forensisch-psychologische Probleme bei Verfahren gegen Wirtschaftsdelinquenten. In H. Göppinger & H. Walder (Eds.), Wirtschaftskriminalität. Beurteilung der Schuldfähigkeit. Bericht über die XIX Tagungder Gesellschaft für die gesamte Kriminologie vom 7–9. Oktober 1977 in Bern(pp. 79 – 90). Stuttgart: Enke.

Brody, R. G. (2010). Beyond the basic background check: hiring the „right“ employees. Management Research Review, 33(3), 210-223.

Bundeskriminalamt der Bundesrepublik Deutschland (2004). Polizeiliche Kriminalstatistik 2003 Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: BKA

Costa, P. T., Jr., & McCrae, R. R. (1988). Personality, in adulthood: a six-year longitudinal study of self-reports and spouse ratings on the NEO Personality Inventory.Journal of Personality and Social Psychology, 54(5), 853.

Henle, C. A., & Gross, M.A. (2013). An examination of the relationship between workplace deviance and employee personality. Deviant and Criminal Behavior in the Workplace, 50-70.

MacLane, C. N., & Walmsley, P. T. (2010). Reducing counterproductive work behavior through employee selection. Human Resource Management Review, 20(1), 62-72.

Mount, M., Illies, R., & Johnson, E. (2006). Relationship of personality traits and counterproductive work behaviours: The mediating effects of job satisfaction. Personnel Psychology, 59(3), 591-622.

O’Brien, C. (2015). Behavioral Characteristics of White-Collar Crime and the Pre-Employment Hiring Process. Dissertation, Georgia State University, 2015.

Oliphant, B.J., & Oliphant, G. C. (2001). Using a behavior-based method to identify and reduce employee theft. International Journal of Retail & Distribution Management, 29 (10), 442 – 451.

Ones, D. S., Viswesvaran, C. & Schmidt, F. L. (2003). Personality and absenteeism: a meta-analysis of integrity tests. European Journal of Personality, 17(S1), 19-38.

Paulhus, D. L., & Williams, K. M. (2002). The dark triad of personality: Narcissism, machiavellism, and psychopathy. Journal of Research in Personality, 36, 556 –563.

Sackett, P. R., & Devore, C. J. (2001). Counterproductive behaviors at work. In N. Anderson, D. Ones, C. Sinangil, & C. Viswesvaran (Eds.), International Handbook of Work Psychology 1, 145 – 164. London: Sage.

Salgado, J.F. (2002). The Big Five personality dimensions and counterproductive behaviors. International Journal of Selection and Assessment, 10(1-2), 117-125.

Schlegel, A. ( Ed.) (2003a). Wirtschaftskriminalität und Werte. Theoretische Konzepte, empirische Befunde, praktische Lösungen. Niedernhausen: Bautz.

Schlegel, A. (2003b). Wirtschaftskriminalität. In A. Schlegel ( Ed.), Wirtschaftskriminalität(pp. 3 – 45). Niedernhausen: Bautz.

Tupes, E. C., & Christal, R. E. (2006). Recurrent personality factors based on trait ratings. Journal of Personality, 60(2) 225-251.

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.