29. April 2019

Wirtschaftskriminalistik

Der Mehrwertsteuer-Strafdienst der Eidgenössischen Steuerverwaltung

Der Mehrwertsteuer-Strafdienst der Eidgenössischen Steuerverwaltung

Von Andreas Bigler

Der Mehrwertsteuer-Strafdienst der Eidgenössischen Steuerverwaltung führt Strafverfahren durch, welche sich nach den Regeln des Verwaltungsstrafrechts sowie des Mehrwertsteuergesetzes richten. Damit trägt er dazu bei, den Steueranspruch des Bundes sicherzustellen, rechtswidriges Verhalten zu bestrafen und die Steuerrechtsordnung zu schützen.

Der Mehrwertsteuer-Strafdienst (SD MWST) der Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) verfolgt und ahndet Widerhandlungen im Bereich der Mehrwertsteuer und der damit zusammenhängenden Aufgaben wie die Festsetzung der Steuernachforderung. Das interdisziplinär arbeitende Team setzt sich aus Ökonomen und Juristen zusammen und deckt die MWST-Straffälle aus der ganzen Schweiz ab. Pro Jahr erledigt der SD MWST rund 200 Verfahren.

Die MWST ist als Selbstveranlagungssteuer konzipiert. Folglich kommt den Steuerpflichtigen eine hohe Verantwortung bei der Steuerfestsetzung zu. Das Mehrwertsteuergesetz (MWSTG) in der heutigen Form führte zu einer grundlegenden Änderung der Führung von Strafverfahren und beinhaltet auch Normen bezüglich Rechte des Beschuldigten. Das Steuerdossier bildet nicht mehr die Grundlage für die Sanktion, sondern löst lediglich das Beweisverfahren nach strafprozessualen Vorschriften aus. Der Sachverhalt wird dabei von Amtes wegen festgestellt. Zu deren Umsetzung braucht es eine Organisation mit wirksamen Befugnissen zum Einfrieren, zur Beschlagnahme und zur Einziehung von Vermögenswerten. All dies veranlasste, dass per Anfang 2013 der SD MWST seine Tätigkeit unter Berücksichtigung der strafprozessualen Vorschriften aufnahm.

Die Aufgabenbereiche des SD MWST ergeben sich aus dem MWSTG sowie aus dem Verwaltungsstrafrechtsgesetz (VStrR) in Verbindung mit der Strafprozessordnung (StPO). Häufige Deliktsarten sind die in Art. 98 MWSTG aufgeführten Verfahrenspflichtverletzungen. Eher schwerwiegendere und damit seltenere Delikte stellen Vergehen wie der Abgabebetrug gemäss Art. 14 Abs. 2 VStrR dar. Hauptanwendungsfall ist indes die Steuerhinterziehung nach Art. 96 MWSTG, die in ihrer üblichen Ausgestaltung mit Busse bis zu 800’000 Schweizer Franken bestraft werden kann.

Den Auslöser für ein Steuerstrafverfahren des SD MWST bilden meist Feststellungen eines externen Prüfers der ESTV anlässlich einer MWST-Kontrolle, die Anzeigen von Behörden (Steuerverwaltungen, Staatsanwaltschaften) oder die Anzeigen von Privaten, sogenannte Denunziationen. Ergibt die Voruntersuchung einen hinreichenden Tatverdacht, wird eine Strafuntersuchung eröffnet. Diese Eröffnung ist der beschuldigten Person unverzüglich schriftlich mitzuteilen, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Ab diesem Zeitpunkt steht auch die Festsetzungsverjährung der Steuerforderung still.

Zur Untersuchung der strafbaren Handlung stehen dem SD MWST als Verwaltungsbehörde des Bundes umfangreiche strafprozessuale Massnahmen zur Verfügung, namentlich – nebst der Rechts- und Amtshilfe unter Behörden – auch Zwangsmassnahmen. Üblicherweise erfolgen vorab Einwohnerkontrollabfragen für Editionen (Einholen von Bank- und Steuerunterlagen). Der Beweis wird im Steuerrecht oftmals schriftlich geführt, doch auch mündliche Einvernahmen sind möglich. Wenn mildere Mittel wie ein Herausgabebefehl fruchtlos bleiben, rechtfertigen sich unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit auch schwerwiegendere Zwangsmassnahmen, die – wie die Hausdurchsuchung oder die Verhaftung – in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen. Die Zwangsmassnahmen müssen erforderlich und geeignet sein. Auch nach Inkrafttreten der StPO richtet sich das Verfahren im Verwaltungsstrafverfahren grundsätzlich nach dem VStrR und es wird nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen subsidiär oder analog auf die StPO gegriffen.

In diesem Stadium des Verfahrens laufen die verschiedenen Arbeiten unter der Führung des Untersuchungsleiters teilweise parallel. In einem aktuellen Fall wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt, in deren Rahmen diverse physische Datenträger sichergestellt sowie die Geschäftsserver gespiegelt wurden. Nun kümmern sich IT-Experten um das Lesbarmachen der elektronischen Daten, während den wirtschaftlich geschulten Mitarbeitern im Anschluss die fiskalische Auswertung der Steuernachforderung obliegt.

Hält der Untersuchungsleiter des SD MWST die Untersuchung für abgeschlossen, erlässt er ein Schlussprotokoll, worauf der Beschuldigte die Möglichkeit erhält, innert einer Frist von zehn Tagen mittels von ihm zu beantragenden Beweismassnahmen den Sachverhalt zu ergänzen, bspw. mit weiteren Dokumenten oder einer Einvernahme. Dies ist Ausfluss des rechtlichen Gehörs und gehört zu den Verteidigungsrechten. Zudem kann der Beschuldigte Akteneinsicht beantragen.

In einem zweiten Schritt erlässt der SD MWST einen Strafbescheid und wechselt seine Rolle von der ermittelnden zur urteilenden Rolle. Der Strafbescheid kann vom Beschuldigten innert dreissig Tagen mit Einsprache angefochten werden, worauf der SD MWST das Einspracheverfahren nach nochmaliger Überprüfung und gegebenenfalls ergänzenden Beweisen mit einer Strafverfügung abschliesst. Diese kann an die kantonalen Strafgerichte weitergezogen werden, von wo das Verfahren dann dem üblichen Instanzenzug bis vor Bundesgericht folgt. In diesem Stadium ist der SD MWST nicht mehr die urteilende Behörde, sondern vertritt – zusammen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft – als Anklägerin den Strafanspruch der Eidgenossenschaft.

Bemerkenswert ist ferner die Mehrstufigkeit bzw. Parallelität der Verfahren. Das auf die Festsetzung der Steuer gerichtete Verwaltungsverfahren und das (Verwaltungs-)Strafverfahren sind eng miteinander verknüpft. An den Schnittstellen der beiden durch gegenteilige Maximen geprägten Verfahren können Schwierigkeiten entstehen. Im Steuererhebungsverfahren gilt nämlich die Mitwirkungspflicht, während sich der Beschuldigte im Strafverfahren nicht selbst belasten muss. Wird im Rahmen des Verwaltungsverfahrens strafrechtlich relevantes Verhalten festgestellt, wird das Verfahren unterbrochen und ein Strafverfahren durchgeführt.

Der SD MWST hat neben der Kernfunktion als Strafverfolgungsbehörde weitere Aufgaben. So wirkt er bei der Gesetzgebung im Bereich des Steuerstrafrechts mit und arbeitet mit anderen (Strafverfolgungs-)Behörden zusammen. Er zeigt im Rahmen der Amts- und Rechtshilfe die bei seiner Ermittlung entdeckten anderen Delikte bei den zuständigen Stellen an. Zudem nimmt insbesondere die in Art. 75 MWSTG statuierte Amtshilfe heutzutage einen immer höheren Stellenwert ein. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Behörden wird zunehmend wichtiger.

Autor: Andreas Bigler

Rechtsanwalt Andreas Bigler ist Untersuchungsleiter im Strafdienst der Hauptabteilung Mehrwertsteuer der Eidgenössischen Steuerverwaltung. In seiner Tätigkeit widmet er sich der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Bereich der Mehrwertsteuer.

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