29. Juni 2020
Von Rodolfo Paredes
Gewisse Formen von auf Short-Selling beruhenden Geschäftsmodellen können den Schweizer Insiderstraftatbestand erfüllen. Dass die Investoren im Interesse des Kapitalmarktes handeln, dürfte ihre Tat nicht rechtfertigen.
Der Begriff des «Short & Shout» stammt aus einem Artikel des Economist. Dieser hat sich mit einem Geschäftsmodell befasst, dass von spezialisierten Investoren, insbesondere Hegde Funds, weltweit betrieben wird.
Das Geschäftsmodell «Short & Shout»
Beim Geschäftsmodell «Short & Shout» suchen Investoren börsenkotierte Unternehmen, die sie wirtschaftskrimineller Machenschaften verdächtigen, deren Bücher manipuliert sein könnten und deren Wertschriften an der Börse deshalb einen viel zu hohen Wert aufweisen. Wurde ein verdächtiges Unternehmen durch den Investor ausgemacht, konzentriert er sich auf dessen vertiefte Untersuchung, um sich so ein möglichst genaues Bild zu machen. Er betreibt dazu eine aufwändige und kostspielige Analyse, beschäftigt die dafür notwendigen Fachleute und macht sich vor Ort ein Bild von Infrastrukturen, Lieferanten und Kunden. Bestätigt seine Analyse den Verdacht und damit die Zweifel am Wert der Unternehmung, geht er eine entsprechende Short-Position ein. Dazu leiht er beispielsweise Aktien des verdächtigten Unternehmens aus und verkauft diese an der Börse. Diese Short-Position macht er dann zusammen mit seinem Analyseergebnis öffentlich bekannt. Wenn der Kurs der Aktie nach dieser Publikation fällt, nützt er dies gewinnbringend aus, indem er die Aktien an der Börse nun billiger wieder kauft. Berühmtheit erlangte auf diese Weise vor allem der Vermögensverwalter James Chanos, der mit seiner Gesellschaft Kynikos Associates Ltd. im Jahr 2001 wesentlich zum Untergang von Enron beitrug – einem damals langjährigen Börsenliebling. Mit diesem Short Selling soll Kynikos Associates Ltd. einen Gewinn von rund USD 500 Millionen erzielt haben. Es gibt immer wieder auch Fälle mit potentiellem Bezug zum Schweizer Kapitalmarkt, so zum Beispiel jenen von Folli Follie.
Die Investoren «Shorter & Shouter»
Diese Investoren, die wir hier «Shorter & Shouter» nennen wollen, legen den Fokus auf Wirtschaftsdelikte börsenkotierter Unternehmen. Mit ihren fundierten Analysen und seriösen Publikationen beseitigen sie die Unvollständigkeit und Intransparenz der Informationslage und nehmen damit eine an sich erwünschte Marktpolizeifunktion wahr. Zur Finanzierung ihres teilweise sehr aufwändigen Geschäftsmodells und ihres Gewinns sind sie darauf angewiesen, die Unvollständigkeit der Informationen, die sie bekämpfen, selbst wirtschaftlich auszunützen. Begehen «Shorter & Shouter», die am Schweizer Kapitalmarkt handeln, bei der Bekämpfung von Wirtschaftsdelikten damit aber selbst ein Wirtschaftsdelikt im Sinne der Insiderstrafnorm?
Beurteilung der Strafbarkeit von «Short & Shout» in der Schweiz
In der Schweiz gibt es neben dem strafrechtlichen ein praktisch identisches aufsichtsrechtliches Insiderhandelsverbot. Zur Auslegung der Strafnorm kann deshalb auch die Interpretation der Aufsichtsnorm durch die FINMA und ihre Rechtsmittelinstanzen beigezogen werden.
Der «Shorter & Shouter» schafft seine Insiderinformation, also die «vertrauliche Information, deren Bekanntwerden geeignet ist, den Kurs von Effekten, die an einem Handelsplatz in der Schweiz zum Handel zugelassen sind, erheblich zu beeinflussen», selbst. Diese besteht aus dem Analyseergebnis und/oder der gestützt darauf eingegangen Short-Position. Hinzu kommt, was entscheidend ist, die Information, dass mindestens eine dieser beiden Informationen publiziert werden soll.
Es stellt sich die Frage, ob unternehmensexterne Informationen eine Insiderinformation darstellen können, auch wenn sie nicht ad hoc-meldepflichtig sind. Das kann nach meiner Ansicht klar bejaht werden. Der Adressatenkreis der Insiderstrafnorm ist offen. Deshalb können unternehmensexterne Informationen, die bei Dritten entstehen und von denen eine Emittentin keine Kenntnis hat, als Insiderinformation qualifizieren, ohne ad hoc meldepflichtig zu sein.
«Short & Shout» erfüllt alle objektiven Tatbestandselemente der Insiderstrafnorm:
Der am Schweizer Kapitalmarkt handelnde «Shorter & Shouter» macht sich damit grundsätzlich als Insider strafbar.
Auswirkung der Interessenkollision
Wie wirkt sich nun die eingangs erwähnte Interessenkollision aus? Kann der Einsatz zur Bekämpfung wirtschaftskrimineller börsenkotierter Gesellschaften die Straftat rechtfertigen, weil sie aus Sicht des Marktes und der Gesellschaft erwünscht ist?
Die Schweizer Insider-Gesetzgebung bietet Investoren für die wirtschaftlich und gesellschaftlich grundsätzlich erwünschten M&A-Transaktionen einen sogenannten Safe Harbour. Dieser «sichere Hafen» ist auch bekannt unter dem eingängigen Merksatz «Niemand kann sein eigener Insider sein» oder als «Umsetzung eigener Pläne». Der «Shorter & Shouter» fasst seinen Entschluss gestützt auf die von ihm selbst geschaffene Insiderinformation. Er hat also keinen Safe Harbour.
Schliesslich kann die Tatsache, dass «Short & Shout» durch das Schaffen von Transparenz auch das vom Insiderhandelsverbot selbst geschützte Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes schützt, die Straftat nicht rechtfertigen. Dieselbe Transparenz könnte auch geschaffen werden, ohne ein Insiderdelikt zu begehen. Man könnte seine Erkenntnisse schlicht publizieren oder Strafanzeige erstatten.
«Short & Shout» dürfte somit nach Schweizer Recht strafbar sein.
Kommentare
0 Kommentare
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.